WIESBADEN/ Hessische Staatstheater: LADY MACBETH VON MZENSK – Großer Opernabend am Hessischen Staatstheater Wiesbaden
Cornelia Beskow. Copyright by Karl und Monika Forster
Am 29. September 2023 erlebte das Hessische Staatstheater Wiesbaden mit der Wiederaufnahme von Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzsenk“ unter der musikalischen Leitung von Michael Güttler einen triumphalen Abend. Diese Aufführung hatte etwas von einer Premiere, da zum ersten Mal seit Beginn der Covid-19-Pandemie das Orchester bei dieser Produktion wieder im Orchestergraben saß, und das Publikum konnte die Wirkung dieser Rückkehr nun in vollem Maße genießen. Die Oper basiert auf Nikolai Leskows gleichnamiger Novelle und ist ein düsteres und provokantes Werk, das die menschliche Natur in all ihrer Widersprüchlichkeit erforscht. In musikwissenschaftlicher Hinsicht ist Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzsenk“ ein faszinierendes Werk. Die Oper bricht mit konventionellen Erwartungen an Melodie und Harmonie und nutzt dissonante Klänge und unkonventionelle Instrumentation, um die emotionalen Spannungen der Handlung zu verstärken.
Copyright by Karl und Monika Forster
Der russische Regisseur Evgeny Titov führte in seiner ersten Operninszenierung eine kluge Auswahl von Szenen aus, um die Geschichte von Katerina zu erzählen. Er vermied jede Beschönigung und zeigte die schwache Rolle der Frauen im damaligen Russland schonungslos auf. Starke Bilder und eindringliche Szenen wurden gekonnt in Szene gesetzt, ohne dabei ins Obszöne abzurutschen. Titov konzentrierte sich auf die Darstellung einer emotional ausgehungerten Frau in einer unterdrückerischen Gesellschaft, die von Trieben und moralischem Verfall gezeichnet ist. Die Inszenierung war direkt und schonungslos, aber nie übertrieben, und Titov nutzte subtile Symbolik, um seine Botschaft zu vermitteln. Seine Personenführung war gekonnt und stets aus dem Kontext der Handlung abgeleitet. Dabei arbeitete er eine ganze Reihe kluger Details heraus. Der Liebhaber Katerinas, Sergej, ist bis zu derer gemeinsamen Hochzeit vielschichtiger als üblich gezeichnet. Sein Erschrecken über den vollzogenen Mord an Sinowi sitzt bei ihm tief. Katerinas Aufstieg und Niedergang wird packend erzählt. Während Katerina im letzten Akt unablässig Erde aus einer riesigen Grube ausgräbt und verwahrlost wirkt, ist Sonjetka in Katerinas schönes Blumenkleid vom Anfang der Handlung gekleidet und hat ebenso wie Katerina, lange blonde Haare. Kein Wunder also, dass Sergej, dieser Frau, die seiner früheren Katerina so sehr ähnelt, verfällt.
Die Bühnenbildgestaltung von Christian Schmidt war beeindruckend. Ein fensterloser Plattenbau-Kasten, der in schmutzigem Grüngrau erstrahlte, vermittelte konstante Trostlosigkeit und Tristesse. Mit einer schräg gestellten Decke war dieses Bühnenbild mit seiner fabelhaften Akustik eine große Hilfe für das Sänger-Ensemble. Das aufgerissene Loch im Boden wurde zu einem Symbol für Katerinas Tragik, und die Verwendung des Ortes im Verlauf der Handlung war dabei äußerst wirkungsvoll. Die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer fingen die Charaktere und ihre Entwicklung auf bemerkenswerte Weise ein, und das Schlussbild mit dem tiefen schwarzen See war ein ergreifendes visuelles Element. Besonders beeindruckend waren die Zwischenspiele, die bei geschlossenem Bühnenvorhang vehement vorgetragen wurden und eine intensive emotionale Atmosphäre schufen.
Die Hauptrolle der Katerina, die in einem trostlosen Umfeld gefangen ist, wurde von der schwedischen Sopranistin Cornelia Beskow sehr gut interpretiert. Beskow verlieh der Figur nicht nur eine kraftvolle stimmliche Präsenz, sondern brachte auch die emotionalen Facetten von Katerinas Charakter eindringlich zum Ausdruck. Ihre Darstellung der Entwicklung von einer unterdrückten Ehefrau zu einer verzweifelten Mörderin war tief bewegend. Ihre Rollenhingabe war exemplarisch und auch sängerisch war das eine starke Leistung. Leichte Höhengefährdungen ergänzten sogar das vielschichtige Charakterbild, welches Beskov überzeugend zu gestalten wusste.
Andrey Valentiy. Copyright by Karl und Monika Forster
Andrey Valentiy, ein ukrainischer Bass, begeisterte in der Rolle des alten Kaufmanns Boris. Seine kraftvolle und markante Stimme verlieh der Figur große, finstere Autorität und Präsenz. Valentiy brachte die ambivalenten Charakterzüge von Boris, seine Herrschsucht und auch seine Verletzlichkeit, auf bezwingende Weise zur Geltung. Wann immer er die Bühne betrat, war er das Zentrum der Szene. Mit dominanter Körpersprache und seiner fulminanten Stimme ist er eine perfekte Besetzung für diese spannende Rolle. Tenor Paul Curievici verkörperte die Rolle des Kaufmannssohns Sinowi. Sein schauspielerisches Talent und sein warmes Stimmtimbre machten ihn zu einer guten Besetzung für diese Partie. Gemeinsam mit dem heldischen Tenor Aaron Cawley, der den Arbeiter Sergej sehr überzeugend spielte und höchst souverän sang, schufen sie ein fesselndes Duo, das die Spannungen und Konflikte zwischen den Charakteren auf dramatische Weise darstellte. Cawley gelang eine vielschichtige Charakterstudie, die weit über einen tumben Kraftprotz hinausging. Die Mezzosopranistin Fleuranne Brockway überzeugte als attraktive Strafgefangene Sonjetka. Ihre sinnliche und zugleich manipulative Darstellung wirkte überaus deutlich. Erik Biegel sorgte als betrunkener und verrückter Schäbiger für humorvoll-groteske Momente und trug zur Vielschichtigkeit der Inszenierung bei. Gute Besetzungen auch in den übrigen Rollen, herausragend war hier Mikhail Biryukov, der ein schrulliger Pope und bewegender alter Zwangsarbeiter war.
Die musikalische Sprache von „Lady Macbeth von Mzsenk“ ist geprägt von einer düsteren und dissonanten Klangwelt, die die inneren Konflikte der Charaktere widerspiegelt. Dirigent Michael Güttler verstand es meisterhaft, diese Komplexität und Intensität herauszuarbeiten. Die musikalische Leistung unter seiner Leitung war nichts weniger als herausragend. In bester Kapellmeistermanier zeigte Güttler bislang in Wiesbaden sein bestes Opern-Dirigat. Er empfahl sich als großer Kenner dieses Werkes und beherrschte vorzüglich die komplexe Partitur. Die Balance zwischen Graben und Bühne war vorbildlich. Güttler führte seine Sänger mustergültig, mit größter Aufmerksamkeit. Mit hohem Engagement und ausgewogenen Tempi gelang ihm eine spannende Partiturauslegung, die den unendlichen Reichtum dieser so besonderen Oper mitreißend zu Gehör brachte. Wenn notwendig, dann reizte Güttler die Dynamik aus, ebenso geizte er nicht mit grotesken und derben Effekten. Auffällig war seine gute Vorarbeit in der Einstudierung des Orchesters: denn das Hessische Staatsorchester erreichte ungeahnte Höchstform und lieferte eine packende und emotionale Interpretation der anspruchsvollen Partitur von Schostakowitsch! Mit ausdauernder Konzentration musizierte der Klangkörper vorzüglich miteinander in großer Aufmerksamkeit. Der Tuttiklang hatte Kraft und Substanz. Die zahllosen Solobeiträge, wie bei Violine, Cello oder in den Holz- und Blechbläsern gelangen vortrefflich. Besonderes Lob haben sich die Blechbläser in Graben und Seitenloge verdient, die konditionsstark und souverän für besondere Klangerlebnisse sorgten. Gelungen war auch die Live-Zuspielung des zahlreichen Schlagzeugs, welches nicht im Orchestergraben saß. Das Klangbild wirkte dennoch jederzeit natürlich und kraftvoll. Ein großer Abend für das Hessische Staatsorchester und auch für das Staatstheater Wiesbaden. Dies empfand auch das euphorisierte Publikum so, das diesen spektakulären Abend mit intensivem Jubel bedankte.
Die Wiederaufnahme von „Lady Macbeth von Mzsenk“ in Wiesbaden ist ein künstlerisches Highlight und in ihrer Geschlossenheit, eine besondere Produktion. Die beeindruckenden Sängerleistungen, die einfühlsame Regiearbeit und die herausragende musikalische Interpretation machten diese Aufführung zu einem unvergesslichen Erlebnis. Schostakowitschs Oper bleibt eines der größten Opernwerke des 20. Jahrhunderts, das die menschliche Natur und die Abgründe der Gesellschaft auf provokante und tiefgründigste Weise erforscht. Opernabende in dieser besonderen Qualität und Geschlossenheit sind inzwischen selten geworden. In Wiesbaden gibt es daher eine attraktive Gelegenheit, eine vorzügliche Produktion zu bestaunen. Es gibt es noch weitere Vorstellungen im Oktober und November. Ein Besuch dieser so gelungenen Produktion sei jedem Opernfreund unbedingt empfohlen.
Dirk Schauß, 30. September 2023
Besuchte Vorstellung am 29. September 2023 am Hessischen Staatstheater Wiesbaden
Dmitri Schostakowitsch
Lady Macbeth von Mzensk