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WIESBADEN: DON CARLO .   Internationale Mai-Festspiele 2022  am Hessischen Staatstheater Wiesbaden

30.05.2022 | Oper international

Wiesbaden: „DON CARLO“ – 28.05.2022

 

                       Internationale Mai-Festspiele 2022  am Hessischen Staatstheater Wiesbaden

carlo
Das Carlo-Team. Foto: Instagram

So schön kann also modernes Regietheater sein sind die absoluten Kenner der Materie am Werk, bewies (auch nach exemplarischen Fehlgriffen) erneut Uwe Eric Laufenberg mit seiner „Don Carlo“-Inszenierung von Giuseppe Verdi am Hessischen Staatstheater Wiesbaden deren Anklänge mehr in realistischen Schauspielwelten der Textvorlagen von Friedrich Schiller ihre beklemmende Grundierung fanden. Man spielte die vieraktige Mailänder Fassung anno 1884, sogleich zu Beginn der Klosterszene im relativ kargen, jedoch sehr ausdrucksstarken Bühnenbild von Rolf Glittenberg wurde  unmissverständlich die unbarmherzige Allmacht der Inquisition offenbar: das Kreuz sowie einer Anhäufung von Totenköpfen. Variable, düstere Bühnenelemente verstärkten konsequent die strenge atmosphärische Etikette am spanischen Hofe und formatierten zudem symbolisch die ausweglosen Konstellationen der menschlichen Beziehungen.

Großartig verstand es Laufenberg in bestechender Stringenz die Abläufe der Details, die personifizierten Charaktere der Protagonisten in vielschichtigen Facetten zu formen, demonstrierte beklemmend die allwissende und bestens informierte Inquisition durch anwesende im Hintergrund lauernde Mönchs-Spione selbst in Form eines halbnackten Novizen im Bett des Monarchen. Elegante Kostüme-Créationen (Marianne Glittenberg) verliehen der Optik zudem eine überwältigende Ästhetik. Die lebendigen realistischen Figuren-Zeichnungen der Garten-Szene, in Filippos Kabinett oder dem überwältigenden  Finale gingen in ihren elementar-dramatischen Abfolgen regelrecht unter die Haut.

Transparent, federnd leicht, rhythmisch, dramatisch auftrumpfend ohne überproportionierte Fortissimo, dynamisiert mit Lust und Wonne in selten gehörten nuancierten Abstufungen musiziert und herrlichen Soli von Celli, Flöten, Bläsern formierte Maestro Antonello Allemandi  das Hessische Staatsorchester Wiesbaden zu einer im wahrsten Sinne orchestralen Sternstunde. Minuziös verstand es der italienische Gastdirigent Verdis in so tiefe Couleurs getauchte geniale Carlo-Partitur eine vielschichtige mannigfaltige Transparenz, den multilateralen Klangstrukturen  perfekte Dynamisierungen  zu verleihen und so den prächtig aufspielenden Klangkörper zu überragender Instrumenalkultur zu animieren.

Obwohl den männlichen Solisten die Krone des Abends gebührt, nenne ich galanter Weise die Damen zuerst. In höchst darstellerischer Präsenz wie alle Protagonisten verkörperte Cristina Pasaroiu die unglückliche zerbrechlich wirkende Elisabetta in bewundernswerter High Heels-Balance, schenkte ihrer Vokalise eine noble Gestaltung. Klang ihr Sopran mit den feinen Legatobögen zunächst leise verhalten, steigerte sich die Sängerin zunehmend in dramatische Gefilde der klangvollen oberen Sopranlagen, gipfelnd zu stilistisch konstruktiver Stimmführung in der ergreifend überwältigenden Final-Arie und Szene.

Bedächtige Flexibilität schenkte Ketevan Kemoklidze den Koloraturen des Schleierliedes, verlieh ihrer Eboli dank prächtiger Mittellage und dunklen Schattierungen zunehmend dramatischen Aplomb und krönte ihr vortreffliches Rollenportrait mit einem fulminant obertonreich interpretierten O don fatale.

Als „Tebaldo“  im eleganten kleinen Schwarzen ließ Fleuranne Brockway ihren herrlich timbrierten Mezzosopran erklingen. „Der Stimme vom Himmel“ schenkte Sumi Hwang in irdener Gestalt silbernen Glanz.

Im Insider-Gespräch nach der Aufführung erfuhr ich vom Rollendebüt des phänomenalen Günther Groissböck als Filippo II. Von majestätischer Aura umflort, verstand es der grandiose Sängerdarsteller den in Zwängen der Hofetikette, seinen Gefühlen und der Allmacht der Kirche gefangenen Monarchen eindrucksvoll in überwältigender Darstellung zu  gestalten, gewährte zudem in Skalen von intensiven Ausdrucksformen, Einblicke in die bröckelnde Fassade des schicksalshaften unglücklichen Menschen. Ein unglücklicher Gefangener seiner Emotionen sehnte sich ebenso nach Liebe, Wärme, Freundschaft  scheiterte schließlich im Bannkreis der Konventionen. Zur noblen Gestaltung überraschte der stimmgewaltige Bass (wie unlängst beim Liederabend während des Heidelberger Frühlings) mit unübertrefflicher vokaler Weltklasse-Leistung. Ob nun im tieferschütternden Monolog, den eindrucksvollen leidenschaftlichen Duetten mit Elisabetta, Posa, Großinquisitor oder im Überstrahlen der Ensembles Günther Groissböck führte sein prächtiges, herrlich timbriertes, voluminöses, höchst kultiviertes Bass-Potenzial auf wunderbare Weise zu eindrucksvoller Prädikation. Bravissimo!

Ebenso wie Ketevan Kemoklidze wurde auch der Bariton Aluda Todua in Georgien, im Land in welchem Künstler aller Genres auf den Bäumen zu wachsen scheinen, geboren. Gesegnet mit allerbesten Tributen eines vortrefflichen Verdi-Baritons bestach der Sänger mit klangvoller Intonation, kraftvoll-charakteristischem, schönstimmigem Potenzial und verlieh seinem Posa nobles darstellerisches Format. Faszinierend mit Gänsehaut-Effekten gestaltete der beeindruckende Sänger die Duette mit Carlo und Filippo sowie das Terzett mit Eboli.

Zunächst noch verhalten, leicht kehlig unsicherer Stimmführung steigerte sich Riccardo Massi in virtuose Spitzentöne geprägt von  pulsierender Energie. Stilistisch harmonisch entfaltete sich das schöne Timbre seines Tenors in virilen Farben zu hymnischer Ekstase. Darstellerisch glänzte Massi ebenso als selbstbewusster, eleganter und maskuliner Infant.

Übermächtig in schier alles  sprengendem, nachtschwarzem Bass-Potenzial erschien die Stimme von Timo Riihonen und verlieh dem Großinquisitor darstellerisch wie vokal diegefährlichen Dimensionen der Autorität.

Kraftvolle, schönstimmige, würdevolle  Basstöne verlieh Gabriele Ascani dem Mönch Carlo V. Tenoral ließ Julian Habermann als Graf von Lerma aufhorchen. Sechs wunderschöne differenzierte Stimmen Benjamin Hee, Josua Bernbeck, Christopher Jähnig, Tim-Lukas Reuter, Agostino Subacchi, Seongbeom Gu schenkten den Flämischen Deputati Gehör. Den Mönch verkörperte Seunwon Choi.

In fein abgestuftem Vokalklang präsentierten sich präzise in bester Qualität Chorsolisten, Chor und Extrachor des HSW (Albert Horne) und verliehen der Aufführung auf sehr hohem Niveau zusätzliche Glanzpunkte.

Zwar Ovationen für Groissböck, die Solisten, Orchester und Dirigent jedoch nach relativ kurzer Begeisterung verabschiedete sich das Publikum, hätte doch diese vortreffliche Darbietung eine längere Würdigung verdient.

Gerhard Hoffmann

 

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