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WIESBADEN/DARMSTADT: Igor Strawinskys Ballett „Le sacre du printemps“ mit dem Hessischen Staatsballett

13.05.2021 | Ballett/Performance

Stream: Igor Strawinskys Ballett „Le sacre du printemps“ mit dem Hessischen Staatsballett in den Staatstheatern Darmstadt und Wiesbaden am 12. Mai 2021/WIESBADEN

Fesselnde Erregung

Einen aufregenden Doppelabend präsentiert das Hessische Staatstheater Wiesbaden mit Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ in zwei zeitgenössischen Versionen von Bryan Arias und Edward Clug. Arias setzt sich in dem Auftragswerk „29 May 1913“ mit der skandalumwitterten Pariser Uraufführung dieses Werkes auseinander, wo es zu heftigen Tumulten kam. Die suggestive Musik hierzu hat Dimitri Savchenko Belski komponiert.

In dem Stream-Mitschnitt aus dem Staatstheater Darmstadt dominieren allerdings Pas-de-deux-Sequenzen, wobei das Mädchenopfer deutlich thematisiert wird. Clug dagegen schuf in seiner 2012 am Slowenischen Nationaltheater in Maribor uraufgeführten Choreografie des berühmten Strawinsky-Werkes eine feinsinnige Symbiose aus archaischer Grundthematik und hypnotischer Hingabe des Tanzes an die wunderbare Magie der Musik. Eine differenzierte Betrachtung der Rezeptionsgeschichte des Stoffes kommt hinzu. Und in der Tat: Der fesselnden Kraft dieser Produktion kann man sich als Zuschauer nicht entziehen. In Edward Clugs Choreografie imponiert vor allem das bombastische Bühnenbild von Marko Japelj. Auch die eher schlichten Kostüme von Leo Kulas tragen zu einer subtilen Wirkung bei. Die unglaubliche Elementarkraft des  Rhythmus ist hier von einer gewaltigen Wirkung. Man begreift, welchen Schock die Uraufführung auslösen musste. Wie Strawinsky hier den D-Dur- und Es-Dur-Akkord aufeinanderschichtet, kann man aufgrund der plastischen tänzerischen Darbietung gut nachvollziehen. Bezirke der Bi- und Polytonalität werden dabei gestreift und oftmals wild durcheinandergewirbelt. Und so wirbeln auch die Tänzer durch die Luft. Das Spannungs- und Kontrast-Verhältnis zur Harmonik mit ihren schroffen Reibungen lässt sich dabei gut nachvollziehen. Und die betont primitiven Themen werden auch tänzerisch aufgespalten. Der panische Schrecken der Natur vor der ewigen Schönheit fesselt den Zuschauer, man spürt gleichsam die heilige Furcht vor der Mittagssonne.  Den zweiten Teil „Das Opfer“ eröffnet ein schattenhafter Tanz. Der geheimnisvolle Gesang der Largo-Introduktion prägt sich tief ein. Die Auserwählte soll dem Frühling die Kraft wiedergeben, die die Jugend ihm geraubt hat. So werden die Urväter in geheimnisvoller Weise angerufen und umkreisen den weihevollen Tanz. Und von der Bühnenhöhe herab ergießen sich  Wassermassen. Die fesselnde Erregung lässt sich hier nicht mehr bremsen. Die Jünglinge verkünden den Pulsschlag des Frühlings durch ihren verhaltenen Rhythmus. Edward Clug geht den Bewegungen der Tänzer dabei ganz auf den Grund. Das „Spiel der Entführung“ erscheint dann als wildjagendes Presto. Aus den sich formenden Gestalten entstehen so immer wieder neue Rhyhmen. Es ist auch ein unglaubliches Wechselspiel der Gefühle, das den Zuschauer überfällt. Ekstatisch entfesselt wirkt die „Verherrlichung der Auserwählten“ als kultische Zeremonie. Mit pochender Begleitung zeigt sich plötzlich die „Rituelle Handlung der Urväter“, die das fast atemlose Mädchen wie gierige Ungeheuer emporheben. Das Kopfmotiv dieses Ritualtanzes symbolisiert hier eher totale Erschöpfung, die Auserwählte wird zuletzt mit Hilfe des Wassers heftig nach hinten geschoben. 

Alexander Walther

 

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