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WIEN/Wien modern/ „Sirene operntheater“: DIE REISE von Jean Barraqué. Uraufführung

07.11.2017 | Oper

 

Uraufführung beim Musik-Festival „Wien Modern“: „Die Reise“ von Jean Barraqué (Premiere: 6. 11. 2017)

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Copyright: sirene-operntheater

Im Rahmen des Musik-Festivals „Wien Modern“ brachte das sirene-Operntheater das Werk „Die Reise“ des französischen Komponisten Jean Barraqué am 6. 11. 2017 zur Uraufführung. Das sirene-Operntheater, das im Jahr 1998 aus der Zusammenarbeit von Kristine Tornquist und Jury Everhartz als Werkstatt für neues Musiktheater entstand und bisher mehr als 50 Opern uraufgeführt hat – der Online-Merker veröffentlichte des Öfteren Rezensionen über diese Werke –, erhielt in diesem Jahr den Österreichischen Musiktheaterpreis.

 Jean Barraqué (1928 – 1973) verbrachte sein Leben fast ausschließlich in Paris. Er gilt neben Pierre Boulez als der bedeutendste französische Vertreter der seriellen Musik. Sein Œuvre ist relativ klein, aber von starker Radikalität und Konsequenz geprägt. Seine Musik hat „eine fieberhafte Expressivität von packender Dramatik, wie sie Musikern seiner Generation häufig fehlte“, formulierte der russisch-ukrainische Schriftsteller Pierre Souvtchinsky 1974 in einem Beitrag über Jean Barraqué. Der Komponist selbst sagte in einem unter dem Titel Propos impromptu im Jahr 1969 erschienenen Gespräch, das einem künstlerischen Credo gleichkommt: „Für mich ist die Musik alles, sie ist das ganze Leben. Die Musik ist das Drama, die Leidenschaft, sie ist der Tod. Sie geht aufs Ganze, ist die Erregung bis zum Suizid. Wenn die Musik das nicht ist, wenn sie nicht die letzten Grenzen überschreitet, ist sie nichts.“

 Die Spielstätte der Uraufführung des Werks „Die Reise“ – von den Veranstaltern Mondschein genannt – war das ehemalige k.u.k. Post- und Telegraphenamt in der Zollergasse 31, einer Quergasse zur Mondscheingasse im 7. Wiener Bezirk. Gespielt wurde in elf Räumen des 1. Stocks und in vier Räumen des 4. Stocks, wobei es der Regisseurin Helga Utz gut gelang, in den verschiedenen Räumlichkeiten mit nur wenigen Requisiten auszukommen und das Werk mit Studierenden der Universität für Angewandte Kunst Wien kreativ in Szene zu setzen. Es wurde eine phantastische Reise durch ein verlassenes Haus, wie es das Programmheft versprach.

Schicksal Riesenhände: Benjamin-Lew Klon.
Benjamin-Lew Klon. Copyright: Armin Bardel

In einer der größeren Räume – Im besten Hotel der Stadt genannt – wurde zu Beginn quasi als Ouvertüre Musique de Scène mit originalen Theaterminiaturen von Jean Thibaudeau (aus dem Jahr 1958) gespielt. Dieser etwa 15 Minuten dauernde Sketch zeigt einen armen Mann, von Benjamin-Lew Klon sehr witzig dargestellt, der Besuch von einem Ehepaar (gespielt von Ewa Konstanciak und Krzysztof Leszczyński) bekommt. Im Laufe der Handlung stellt sich heraus, dass die Frau die Geliebte des „armen“ Mannes ist. Das etwa 20-köpfige ensemble sirene wurde von François-Pierre Descamps souverän geleitet.  Für die Kostüme zeichneten Marie Declerfayt und Mara Metzmacher verantwortlich.

Das Publikum hatte danach die Qual der Wahl bei der Auswahl der verschiedenen Räume, die zu unterschiedlichen Zeiten bespielt wurden. Es erlebte dabei so manche Überraschung bei den kurzen Szenen während der imaginären Reise bis ans Meer. Ein paar Beispiele: Beim Sehtest, der etwa sieben Minuten dauerte und bei dem „der arme Mann“ Benjamin-Lew Klon in einen regelrechten Clinch mit der Augenärztin, köstlich gespielt von der Sopranistin Ingrid Habermann, gerät. Als „Einäugiger“ nach dem Verlust meines linken Auges war mein Mitgefühl besonders stark.

In einem kleineren Raum wurde der drei Minuten dauernde Film Die Großmutter von Philip Seybold gezeigt, in dem „der arme Mann“ Benjamin-Lew Klon seine eigene Großmutter spielt und dabei seine schauspielerische Wandlungsfähigkeit weiter unter Beweis stellen konnte. Wie auch in der kurzen Szene Auf dem weiten Meer als rudernder Mann.

Für Überraschung sorgte auch der Raum Totengericht, in dem der Besucher von einem „Anubis“ (ägyptischer Gott mit dem Kopf eines Schakals) auf ein Totenbett platziert wird, ehe er zur Tür mit der Aufschrift Hölle geschickt wird. Durch diese Tür gelangt man in die Bar „Modern“, wo unter anderem eine große Anzahl an Weinen angeboten wird. „Ich sagte immer schon, dass es in der Hölle lustiger zugehen wird als im Himmel“, hörte ich kurz danach eine junge Dame sagen. Niemand widersprach ihr!

Kleinere Probleme bereitete Theaterbesucherinnen ein kleiner, völlig finsterer Raum (als Tastenraum bezeichnet). Da auch dieser dunkle Raum nur allein zu betreten war, wollten zwei Frauen, die in der Reihe warteten, aus Furcht gar nicht eintreten. Bei der derzeitigen öffentlichen Diskussion um die sexuellen Übergriffe mancher Männer wagte auch niemand, den Damen anzubieten, mit ihnen den Tastenraum zu betreten. Als ich nach zwei Minuten unversehrt wiederkam, betraten die Damen dennoch den finsteren Raum, der im Programmheft „Und wenn es ein Wolf ist …“ genannt wurde.

Interessant im vierten Stock der Raum Insomnia, in dem die Geigerin Joanna Lewis die Sonate Pour Violon seul des Komponisten zum Besten gab. Es waren acht wundervolle Minuten, die vom Publikum mit viel Applaus aufgenommen wurden.

Reizvoll auch die Schlusssequenz mit dem Titel Einladung. Zur Musik von Barraqué agierten als „armer Mann“ wieder der Schauspieler Benjamin-Lew Klon und als Frau die Schauspielerin Birgit Würz, die einander auf der Straße treffen, Sympathie füreinander  empfinden und sich gegenseitig einladen – und dennoch schließlich (Zitat: „In Wahrheit sind wir sehr weit von meiner Wohnung entfernt…!“) getrennt ihre Wege gehen.     

 Am Schluss der ausverkauften Vorstellung im Mondschein starker Beifall des Publikums, das den unterhaltsamen Abend sichtlich genossen hatte.

Udo Pacolt

 

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