WIENER STAATSOPER: „PELLÉAS UND MÉLISANDE“ am 27.6.2017
Bernarda Fink (Genevieve). Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Ein starkes Märchen? Immer wieder an Rapunzel (Brüder Grimm) erinnernd durch das lange Haar, in das sich wie der Prinz auch Pelleas einhüllen will. Die hoffnungslose Liebe erinnert natürlich ebenso an Tristan und Isolde und auch da kommt das Haar ins Spiel – „Isolde, la blonde“. Wer ist oder was ist Melisande, ein Wasserwesen wie Rusalka, eine Waldelfe oder doch ein verwirrtes menschliches Geschöpf. Die Spekulation ist sehr weitgefächert. Am Ende wird sie endlich wieder ihrer geliebten Sonne entgegengeführt, wie ein endlich befreites Wesen
Die Inszenierung lässt sie zu Beginn nicht gerade gut aussehen, ein toter Mann?, Notwehr, oder doch Zufall und sie sieht die Leiche und ist voll Schock. Alles viele Fragen, auch die Theorie einer entkommen Frau des Blaubart wäre möglich, also alle diese vielen Fragen werden allesamt ohne Antwort bleiben. Und das macht das Stück eigentlich so besonders reizvoll. Das Bühnenbild von Marco Arturo Marelli könnte auch ein mittelalterlicher Donjon sein, mit Wassergraben, also ein nicht ungewöhnlicher, wenn auch nicht sehr gemütlicher Wohnort. Daher ist es sehr verständlich, dass Melisande in einem fast fensterlosen Gemäuer klaustrophobische Anwandlungen bekommt. Schon toll, dass um Österreich herum viel Trockenheit ist, aber wir, doch tatsächlich auf einer Insel der „Seligen“, uns eine Wasserverschwendung leisten können. Ich hoffe, dass dies nur Nutz- und nicht Trinkwasser ist und es dennoch nach der Vorstellung abgepumpt und wiederverwendet wird! Dass diese Umsetzung reizvoll ist, ist aber keine Frage. Die Kostüme gehen mit der Phantasiewelt leider gar nicht mit, sie sind von Dagmar Niefind wie immer unpassend, geschmacklos und völlig phantasielos. Die Regie von Marelli erzählt die Geschichte sehr gut, er lässt viele Protagonisten auftreten, auch wenn sie musikalisch nicht dran sind, aber diese Details lösen sehr viele szenische Probleme. Nachdem ja eindeutig eine Art „Krankenstation“ in der Burg ist, der Vater von Pelleas wird erfolgreich behandelt, später halten ebendort dieser Vater, die Mutter Genevieve und der kleine Yniold die Totenwache für den ermordeten Pelleas. Muss nicht sein, aber wirkt sehr gut.
Die musikalische Umsetzung war von Alain Altinoglu sehr fein und subtil gearbeitet. Diese sehr zarte, verträumte transparente Musik, fast kammermusikartig ist wie ein zartes blumiges Aquarell, das erst bei der Ermordung des Pelleas dramatisch auftrumpft um dann wieder in zarter Poesie das Ende von Melisande zu skizzieren, das kein Ende sondern eine Hoffnung oder gar Befreiung ist.
In der Rolle der Melisande bringt Olga Bezsmertna stimmlich alles was es dafür braucht, das Unschuldige, das Geheimnisvolle, ihre wahre Identität kann sie bis zu ihrem Fortgehen verbergen. Sie singt die Melisande wunderbar, mit viel feinen leisen Untertönen, und ist auch mit der wunderschönen Langhaarperücke eine Augenweide. Der Pelleas ist Adrian Eröd großartig in die Kehle gelegt. Die Umsetzung dieser eigentlich unschuldigen und doch nicht so ganz sympathischen Figur gelingt ihm hervorragend. Ist Pelleas soviel jünger und dadurch noch pubertär oder ein Spätzünder, ? Ist er nur in das lange Haar verliebt, ? Stimmlich ist alles da und klingt wunderschön. Golaud, sein wesentlich ältere Bruder, wohl vom ersten Mann von Genevieve, ist eine Paraderolle des Simon Keenlyside, auch der Bruder ist nicht gerade ein Sympathieträger, er ist eifersüchtig, herrschsüchtig und schiessfreudig. Er jagte ein weißes Reh, verletzte es schwer und findet es nicht. Ist Melisande die Inkarnation dieses armen Tieres? Das wäre eine Parallele zu Rusalka. Er nimmt dieses Wesen mit auf die dunkle Burg, (den Koffer muss sie selber tragen!), sie wird dort zwar liebevoll aufgenommen und bleibt dennoch unglücklich. Keenlyside singt prachtvoll, und spielt auch diesen nicht einfachen Menschen so intensiv, wie man von ihm erwartet. Arkel , der Großvater der beiden sehr unterschiedlichen Brüder ist Franz-Josef Selig mit wohlklingender samtigen Bassstimme. Als kranker alter blinder Mann wird er von Anfang bis Ende medizinisch gut betreut, und wird wohl weiter Allemonde regieren müssen. Genevieve, seine Tochter und Mutter der beiden Brüder ist Bernarda Fink. Ein spätes, aber sicher nicht zu spätes Debüt an der Wiener Staatsoper. Sie hat leider viel zu wenig zu singen, ist aber szenisch oft sehr präsent. Ihre Rolle hat am Beginn des Stückes mit einer Briefszene viel zur Handlung beizutagen. Diese weiß sie großartig zum Tragen zu bringen. Warum man sie wie die Schwester des Arkel und nicht wie die Tochter kleidete, (Frau Niefind, heute würde sich sogar Frau Holle über eine solche Kleidung beschweren.!) ist unerklärbar. In Grimms Märchen sind die Omas heute schicker! Maria Nazarova ist der kleine bezaubernde Yniold, in ihren kurzen musikalischen Szenen singt sie wunderschön, und als frecher kleiner Lauser ist sie einfach zum Verlieben. Der immer diensthabende Arzt ist Marcus Pelz, der erst gegen Ende tatsächlich Stimme geben darf.
Andreas Bettinger ist der Vater des Pelleas und hat hauptsächlich eine liegende Aufgabe.
Der Chor hatte nicht viel zu tun, aber die Arbeit von Martin Schebesta ist bewährt wie immer.
Elena Habermann