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WIENER STAATSOPER: „DON CARLOS“ (Vorstellung am 7.10)


Jonas Kaufmann, Igor Golovatenko. Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

WIENER STAATSOPER: „DON CARLOS“ am 7.102020

 Was hat der Don Carlos mit Hoffmanns Erzählungen gemeinsam? Von beiden Werken existieren viele verschiedene Fassungen. Während aber Offenbach bereits vor der Fertigstellung auch nur einer Fassung starb, war Verdi an der Anpassung seines Werkes an verschiedene Anforderungen selbst beteiligt. Der Produktion in Wien, die 2004 auf Grund einer Hamburger Inszenierung aus dem Jahr 2001 entstand, verwendet sozusagen einen „Directors cut“ des Werkes und ist damit länger als das Werk bei seiner Uraufführung in Paris war. Die Mode, möglichst komplette „Urfassungen“ zu präsentieren führt aber schon auch zu der Frage, ob den Schöpfern der Werke das Recht aberkannt wird, nachträglich Änderungen vorzunehmen, die ihm besser erscheinen. Wenn zum Beispiel Richard Wagner beim Lohengrin noch vor der ersten Aufführung die zweite Strophe der Gralserzählung gestrichen hat, scheint es mir respektlos, diese seine Entscheidung nicht zu akzeptieren.

Diese Neueinstudierung brachte durch eine Änderung der Pausengestaltung und des von Vera Nemirova gestalteten Autodafés auch eine „natürlichere“ Pauseneinteilung. Nun ist die erste Pause wieder nach der ersten Gartenszene und nicht erst unmittelbar vor dem Autodafé. Der Zug der Hofgesellschaft und der Ketzer durch das Haus ist nur noch auf einer Videowand auf der Bühne zu sehen und findet, Corona sei Dank, nicht mehr live statt. Die wichtigste Aktion im Sinn von Peter Konwitschny, das Werfen der Flugblätter, wird aber von den Billeteuren zuverlässig ausgeführt. Der Regisseur freut sich aber sicher auch, dass die geplanten Provokationen immer noch zuverlässig funktionieren. Auch in der 37.Aufführung ertönen nach „Ebolis Traum“, dem Slapstick der statt des hanebüchenen Ballettes im dritten Akt als Satyrspiel eingeschoben wird, die erwarteten Buhrufe. Fast hat man den Eindruck, diese Buhs sind Teil der Inszenierung. Schwer vorstellbar, dass diese Buh-Rufer lieber tanzende Perlen sehen würden, wie es das Libretto vorschreibt.

Insgesamt sind viele Details von Konwitschny sehr durchdacht, beginnend mit dem Ende des ersten Aktes, wo Elisabeth von ihrem bunten französischen Kleid in ein strenges, schwarzes spanisches Hofkleid wechselt und als Symbol des strengen Zeremoniells eine Art Gefängnishof mit einer Unzahl niedriger Türen herunter senkt. Niemanden, auch dem König oder dem Inquisitor ist es möglich, aufrecht diesen Kreis zu betreten oder zu verlassen. (Erst am Ende, wenn der Mönch Carlos und Elisabeth in eine bessere Welt entführt, öffnet sich ein großes Tor in die Freiheit.) Manches in der Regie ist zwar aus dem Text gut erklärbar, wirft dennoch Fragen auf. Nach ihrem Fluch auf ihre eigene Schönheit sticht sich Eboli offenbar ein Auge aus. (Historisch hatte sie das Auge bei einem Fechtunfall verloren.) Dass sie aber innerhalb kürzester Zeit mit einer Augenbinde Carlos aus dem Kerker befreien kann, lässt vermutlich sogar amerikanische Präsidenten vor Neid erblassen.

Die Serie war durch eine ganze Reihe von Rollen- und Hausdebuts gekennzeichnet, wobei das von Michele Pertusi als Philippe nicht geplant war, aber der ursprünglich vorgesehene Ildar Abrazakov musste nach einer Corona-Erkrankung absagen. Pertusi ist nach dem Konzept der Regie nicht der Herrscher über die halbe Welt, sondern ein König mit jeder Menge privater Probleme. Stimmlich ist er solide, kann aber auch mit einer gut gesungenen Arie keinen großen Jubel auslösen. Die Kontroverse mit dem Großinquisitor von Roberto Scandiuzzi gerät nicht zu dem dramatischen Disput zweier Machtmenschen. Dass Eboli, die dem schlaflosen König auch während seines Monologs Gesellschaft geleistet hat, vergeblich versucht, ihr Kleid unter den Füssen des blinden Greises hervorzuziehen, um verschwinden zu können, gibt der Szene einen eher ironischen Touch. Als Eboli war die Schweizerin Eve-Maude Hubeaux erstmals in Wien. Eine attraktive Erscheinung und eine samtene, profunde Tiefe, die auch die Koloraturen des Schleierliedes tadellos meistert. Das „O don fatale et détesté“ war sicher einer der musikalischen Höhepunkte des Abends. Auf mindestens dem gleichen hohen Niveau war der Rodrigue des jungen Russen Igor Golovatenko. Ein warmer, voller Bariton mit sicherer Höhe und schöner Phrasierung ließ schon beim „L’Infant Carlos, notre espérance“ im ersten Garten aufhorchen, um in der Gefängnisszene endgültig zu überzeugen. Mit Malin Byström tritt am Wiener Opernhaus wieder eine Hofsängerin auf. Die für Wien neue Elisabeth ist das nämlich in Schweden. (Bei uns wurde der Hof ja zu einer Kammer.) Diese Fassung des Carlos ist für die Sängerin der Elisabeth besonders herausfordernd, muss sie doch auf ihre große Arie „Toi qui sus le néant des grandeurs de ce monde“ fast fünf Stunden warten. Sie kann damit aber einige sehr verschliffenene Höhen im Quartett vergessen machen, ebenso wie es Jonas Kaufmann im letzten Duett „Au revoir dans un monde où la vie est meilleure“ gelang,  mit sehr schön auf Linie gesungenem Piano einiges weniger Gelungenes während des Abends zu überlagern. Der Carlos ist eine Partie, um die sich auch große Verdi-Tenöre nicht unbedingt gerissen haben. Virginie Verrez ist ein guter Thibault und Robert Bartneck darf sowohl die heikle Acapella-Stelle des Herold im Autodafé singen, als dann als Lerma das Bettzeug wegtragen, nachdem er Eboli ihre Verbannung verkündet hat. Unbedingt zu erwähnen ist natürlich der Mönch des Dan Paul Dumitrescu, der diese Rolle in allen Vorstellungen verkörpert hat und nicht nur (viel zu selten) mit samtigen Bass von den Schmerzen der Welt singt, sondern auch schon zu Beginn das Pflänzchen Hoffnung neben dem Souffleurkasten pflanzt. Er wirkt so wunderbar menschlich wie Paul Hörbiger als Bruder Martin.

An das Pult ist Bertrand de Billy zurückgekehrt Das Problem ist, es klingt vieles zwar schön, aber oft viel zu laut. Der vor 300 Jahren geborene Freiherr Münchhausen hätte vielleicht eine Erklärung folgender Art gefunden: In den vier Monaten der Theatersperre hatten sich viele Töne, die nicht gespielt werden durften in den Wänden eingenistet. Jetzt, da wieder gespielt wird, lösen sie sich wie die Töne des eingefrorenen Posthornes und verstärken die tatsächlich gespielten Töne. Vielleicht ändert aber auch die coronabedingte Unterbelegung des Auditoriums die Akustik. Unvorstellbar, dass Eboli bei dem Lärm träumen kann, denn dazu müsste sie ja schlafen können.

Wolfgang Habermann

 

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