WIENER STAATSOPER: Bericht über die Matinée zu „DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL“ (Premiere 12.10.2020)
Helena Ludwig war für uns dabei!
Die Veranstaltung war sehr gelungen, interessant, kurzweilig und informativ. Es machte so richtig Freude auf die Neuinszenierung dieser, von vielen geringgeschätzen, Mozart Oper.
Seit Wochen wird die aufsehenerregende Regiearbeit von Hans Neuenfels aus dem Jahr 1998 an der Staatsoper unter Mitwirkung des 1941 geborenen Multitalents geprobt. Die Premiere ist am 12. Oktober unter der musikalischen Leitung von Antonello Manacorda.
Die Gäste an diesem strahlenden, warmen Herbstvormittag waren:
Daniel Behle
Andreas Grötzinger
Goran Jurić
Hans Neuenfels
Antonello Manacorda
Regula Mühlemann
Christian Nickel
Lisette Oropesa
Michael Laurenz
Die Matinee durfte der 1974 geborene deutsche Tenor und Komponist Daniel Behle eröffnen, der nun hoffentlich öfter bei uns gastieren wird. Ausser bei einem Einspringen als Nemorino 2007 und einer tollen Arabella Serie als Matteo im Februar 2019 konnten wir ihn hier noch nie begrüßen.
Er sang überraschenderweise die wunderbare Arie „Un´aura amorosa“ aus Cosí fan tutte. Den Sinn dahinter erklärte danach Staatsoperndirektor Bogdan Roščić. Belmontes Baumeisterarie im 3. Akt („ich baue ganz auf deine Stärke…“) wurde nämlich schon 1872 durch die Cosi-Arie ersetzt, Auch Gustav Mahler nahm es mit der Werkstreue nicht so genau und fügte zB den türkischen Marsch in die Entführung ein. Erst 1989 wurde die Original Arie von Nikolaus Harnoncourt wieder etabliert.
Wieso die Entführung aus dem Serail in dieser Neuproduktion, die zu den Besten zählt, nach 20 Jahren wieder ins Programm aufgenommen wird?
1.) weil dieses Singspiel wie kaum ein anderes Stück mit diesem Haus verbunden ist. Es wurde auch in Wien – damals aber noch am alten Burgtheater – im Auftrag von Kaiser Josef II am 16.7.1782 uraufgeführt. Bis zum Jahr 2000 wird das Werk alleine 700 mal am hier, am ersten Haus am Ring gespielt. Es war zB. in den Jahren 1959-64 dreißig bis vierzig mal pro Saison zu sehen. Zuletzt kam es im Jahr 2006, zu Mozarts 250. Geburtstag, unter der Leitung von Philippe Jordan zu einer Jubiläumsvorstellung, allerdings am Burgtheater.
2.) Das Werk gibt ein Zeugnis von Mozarts Genie, wie sonst kaum eines. Eine Hitrakete nach der anderen lässt er auf uns los, als ob er unerschöpfliche Vorräte habe.
Da das Konzept von Hans Neuenfels in der Verdopplung der Sänger durch Schauspieler besteht, wurde vom Direktor nun der Schauspieler und Hörspielsprecher Andreas Grötzinger vorgestellt, der den Osmin verkörpern wird. Er las Briefe von Wolfgang A. Mozart an seinen Vater Leopold in denen er seinem „mon très cher Père“ von den Arbeiten bzw. den Aufführung seines türkischen Singspiels berichtete. „Die Poesie muss der Musik gehorsamste Tochter sein“ schreibt er zB am 13.10.1781.
Der singende Osmin wurde als nächstes von Herrn Roščić begrüßt. Der 1983 in Kroation geborene Bass Goran Jurić wird in dieser Rolle an der Staatsoper sein Hausdebüt geben. Er sang Mozarts Bassarie „Männer suchen stets zu naschen“ und das ganz wunderbar. Im Gespräch sagte er u.a., dass die Rolle des Osmin für Bässe das sei, was die Arie der Königin der Nacht für Sopranistinnen ist. Dass er sich besonders auf sein Debüt an der Wiener Staatsoper freut glaubt man dem sympathischen Sänger ung’schaut.
Nun war es an der Reihe über und mit dem Schöpfer der Inszenierung zu sprechen. Hans Neuenfels, 1941 in Krefeld geboren, ist Schriftsteller, Filmemacher, Librettist, Dichter, Filmemacher, Theater- und Opernregisseur. Sein Autobiografisches Werk „Das Bastardbuch“ wurde vom Direktor allen Theater- und Opernbegeisterten wärmstens empfohlen. Herr Neuenfels erzählte von seiner Aufnahme am Reinhardt Seminar. Als er dann noch angab Regie führen zu wollen meinte einer der Juroren „sein Sie froh, dass sie Schauspieler werden dürfen“. Das war damals Otto Schenk. Herr Neuenfels studierte dann aber sehr wohl auch Regie.
Es war äußerst interessant und aufschlussreich seinen Ausführungen über Mozart und im Besonderen über die Entführung aus dem Serail zu folgen.
„Die Entführung ist kein minderes Werk, es hat einen unendlichen Zauber…. Das Hauptthema ist Identität. Was braucht und will der Mensch…. Mozarts Figuren denken immer, in der Wiederholung Halt zu finden in ihrer Existenz, einen Sinn des Diesseits zu finden….. Mozart nimmt das Libretto immer nur als Ausgangspunkt. Fremdheit und Anderssein sind immer Themen bei ihm – nicht nur Liebe und Tod……. Es ist keine Oper sondern ein Singspiel. Damals konnten Sänger auch Schauspielen und Akrobatik. Das ist heute für Sänger sehr schwierig zwischen gesanglichen Höchstleistungen und Sprechrollen zu wechseln. Deswegen die Lösung mit dem alter Ego auf der Bühne. Jeder Charakter hat auch einen schauspielenden Zwilling der aber seinen eigenen Willen hat. Es war interessant während der Proben zu beobachten wie die anfängliche Distanz der Künstler zu einer Symbiose führte.“
Herr Neuenfels sieht diese Neuauflage nicht als Wiederholung an, es ist eine Neuinterpretation und es ist ein tolles Gefühl das miterleben zu können. Er ist sehr glücklich darüber.
Dann betrat die reizende schweizer Sopranistin Regula Mühlemann die Bühne. Sie debütierte vorige Saison als Adina.. Auch sie gab keine Arie aus der Entführung, sondern Susannas „“Giunse alfin il momento – Deh Vieni“ aus „Le Nozze di Figaro“, und das so wunderbar, dass mir die Tränen kamen. Großartg! In der nächsten Saison wird sie in dieser Partie auch bei uns zu erleben sein. Nun singt sie aber die Blonde – auch mit einer mächtig blonden Perücke. Sie betonte, dass sie sich bei Mozart mehr als zuhause fühlt.
Der Herr Direktor kündigte dann ein Streichquartett des Staatsopernorchesters an, welches die Ouvertüre spielte. Ich wusste nicht, dass Mozart die Enführung aus dem Serail auch für diese Formation erarbeitete. Wunderbar anders.
Danach der musikalische Leiter der nächsten Premiere: Antonello Manacorda. Der sympathische Dirigent wurde 1970 in Turin geboren und ist Gründer des Gustav Mahler Jugendorchesters. Bogdan Roščić und er lernten sich bereits 2004 kennen, als er Konzertmeister des Mahler Chamber Orchesters war und eine CD mit Anna Netrebko unter Claudio Abbado in Italien eingespielt wurde. Wegen schwerer Schneefälle saß man damals zehn Tage miteinander wie in einer Enklave fest. Nur ein Restaurant war erreichbar und Abbado griff tief in seine Taschen, da er sehr oft einlud. Das Ergebnis ist die wohl beste CD Netrebkos – beim „Ave Maria“ aus Otello mussten alle weinen, so perfekt war das. Eines seiner unvergesslichsten Momente bisher.
Auf die Frage des Direktors, wieso er Dirigent geworden und nicht Geiger geblieben ist antwortete Manacorda, dass er nie ein Geiger war, sondern Konzertmeister. Er hat koordiniert, organisiert und halt nebenbei Geige gespielt. Der Weg zum Dirigenten war also quasi unausweichlich. Wieso gerade Mozart in Wien? Er ist kein Barock Spezialist, aber die Originalklangbewegung in den 80ern und Nikolaus Harnoncourt haben ihn geflasht. Er zitierte auch Gustav Mahler mit: „Gegen die Lüge der Zierlichkeit bei Mozart“, und meinte dass Mozart IMMER Oper komponiert hat, da er fortwährend so an Menschen interessiert war. Er betrachtet immer alles von allen Seiten. Seine Musik interpretiert. Der Text ist heilig…
Nun zu Konstanze. Diese Rolle wird von Lisette Oropesa gesungen, die damit ebenfalls ihr Debüt an der Wiener Staatsoper geben wird. Die US-amerikanischen Sopranistin mit kubanischen Wurzeln debütierte an der Met mit nur 22 Jahren als Susanna. Sie sang dem Matinee Publikum die „Martern aller Arten“ Arie und war total in ihrer Rolle. Sehr eindrucksvoll! Ebenso wie ihr ausgezeichnetes Deutsch.
In der Gesprächsrunde auf der Bühne wurde dann von Daniel Behle ua. äußerst amüsant von seinem bereits jahrelangem Kampf erzählt, den Tenor-Rollen Mozarts etwas Männlichkeit angedeihen zu lassen. „Das große Problem bei Tenören bei Mozart ist das Leiden….“.s
Das Einspielen einiger Schlüsselszenen aus den Klavierproben war äußerst interessant. Eine tolle Idee, dem interessierten Publikum diese Einblicke zu ermöglichen.
Es wurde dann der Charakter von Bassa Selim auf die Bühne gebeten. Eine reine Sprechrolle, die vom (Burg)Schauspieler Christian Nickel verkörpert wird, und der auf der Bühne immer auf der Suche nach der Musik sein wird. Alle anderen dürfen singen und haben einen zweiten Schauspielcharakter und Verbündeten, nur Bassa nicht…. Das Stück wird mit einem Gedicht von Eduard Mörike enden – „Denk es, o Seele“ – welches Herr Nickel vortrug.
Herr Roščić merkte an, dass dieses Gedicht erstmals 1852 in einer Frauenzeitschrift veröffentlicht wurde.
Den Abschluss der Matinee durfte Michael Laurenz bestreiten. Der deutsche, 1978 geborene Tenor ist eine riesige Bereicherung im Ensemble der Staatsoper seit der Saison 2018/19. Es ist immer ein Vergnügen den spielfreudigen Sänger auf der Bühne zu sehen. Der Herr Direktor dankte ihn für seinen Einsatz, da er erst am Vortag in Salome als dritter Jude eingesprungen ist und betonte außerdem die generelle Wichtigkeit eines guten, verlässlichen Ensembles an einem Repertoiretheater. Er bedankte sich für das Interesse, den regen Besuch und beendete die Veranstaltung pünktlich um 12:30. Wir alle können uns auf Mozarts türkisches Singspiel in deutscher Sprache sehr freuen. Toitoitoi allen Beteiligten.
Die nächste Matinee ist bereits am 11.10 2020 um 11 Uhr, wo der neue Eugen Onegin von Dmitri Tcherniakov – der zum ersten mal an der Wiener Staatsoper inszeniert – Thema sein wird.
Bericht von Helena Ludwig