Wiener Festwochen/ Theater an der Wien:
WRITTEN ON SKIN von George Benjamin
GASTSPIEL
KOPRODUKTION Festival d‘Aix-en-Provence,
De Nederlandse Opera, Amsterdam,
Théâtre du Capitole, Toulouse,
Royal Opera House Covent Garden, London,
Teatro del Maggio Musicale Fiorentino, Florenz
Premiere: 14. Juni 2013
Die Führungsriege der Wiener Festwochen verabschiedet sich bekanntlich heuer, und jahrelang gewann man den berechtigten Eindruck, dass es Stéphane Lissner als Musikdirektor war, der am wenigsten zum Programm beigetragen hat (viel geschert hat er sich um Wien wahrlich nicht). Die drei Verdi-Produktionen, die es – mehr oder minder im Eigenbau (wenn auch in Kooperation) – in Wien gab, konnten kaum Furore machen. Das an Dürftigkeit schwer zu unterbietende diesjährige Musiktheaterprogramm hatte neben dem „Trovatore“ nur die eher bescheidene „Join!“-Uraufführung zu bieten. Und nun kam, als Absacker, eine Produktion, die derzeit auf Tournee durch Europa ist – nächste Station München. Sie kommt allerdings mit Lorbeeren bekränzt vom Festival in Aix-en-Provence, wo die Uraufführung stattfand. Im Theater an der Wien gab es dafür– wie üblich – viel Applaus.
„Written on Skin“ ist die zweite Zusammenarbeit des britischen Komponisten George Benjamin und des Dramatikers Martin Crimp, der eine zeitlang (vor etwa einem Jahrzehnt) auch bei uns öfter gespielt wurde, bevor sich kein Wiener Theater mehr fand, das die Stücke, die er offenbar nach wie vor produziert, zeigen will. Crimps Neigung zur Grausamkeit (dafür gibt es im englischen Theater eine Tradition) spiegelt sich auch in der Themenwahl für die zweite Oper mit Benjamin. Die erste, „Into the Little Hill“, haben wir natürlich auch schon (2008) bei den Festwochen gesehen, sie hatte aber (zum Thema des „Rattenfängers von Hameln“) mit kaum einer Stunde minimalistischen Charakter. „Written on Skin“ dauert zwar auch nur (pausenlose) 90 Minuten, aber das ist eine veritable Oper mit großem Orchester (enormes Schlagzeug!), wobei fünf Sänger von vier stumm agierenden Schauspielern unterstützt werden.
Die Geschichte ist grausig – schließlich setzt der Ehemann der ungetreuen Gattin am Ende das Herz ihres von ihm ermordeten Geliebten vor und fragt sie nachdrücklich, wie es ihr schmeckt… Gefunden hat Crimp dies in der mittelalterlichen Sagenwelt rund um einen provenzalischen Troubadour (weil das Stück ja für Aix-en-Provence bestellt worden war), und diesem Guillem de Cabestanh widerfuhr die schaurige Schlachtung, was als die „Geschichte vom verzehrten Herzen“ tradiert wurde. Natürlich hat Crimp das nicht eins zu eins auf die Bühne gebracht. Die Handlung aus dem 13. Jahrhundert geht nun nicht um einen Troubadour, sondern um einen Büchermaler – indem dieser, nur „the Boy“ genannt, den Auftrag des so genannten „Protektors“ annimmt, dessen Geschichte in einem Buch zu gestalten, gerät er zwischen die Fronten – und des Protektors Gattin Agnes wird nicht nur zum Objekt seiner Begierde, sondern auch vice versa. Mit besagtem letalem Ende…
Man tut gut daran, rechtzeitig im Theater an der Wien zu sein und im Pausenraum (der Zuschauerraum ist dazu zu dämmrig) im Programmheft zumindest die ausführliche Inhaltsangabe zu lesen, sonst wird man sich mit der Handlung schwer tun, wenn das gesungene Englisch auch überraschend deutlich ausfällt (und zudem mit Übertitelung seitlich übersetzt wird). Aber die Sache ist doch zu abstrus, und sie wird natürlich metaphysisch verfremdet. So tut man gut daran zu wissen, dass die Geschöpfe, die die drei Protagonisten umgeben (zwei von ihnen treten kurz in „echten“ Nebenrollen auf), als „Engel“ gedacht sind: So, wie man sie auf der Bühne erlebt, würde man sie eher für Hinter-der-Bühne-Theaterpersonal halten…
Denn die Inszenierung von Katie Mitchell scheint die Sache als „Theater auf dem Theater“ zu nehmen. Das lässt auch die Ausstattung von Vickie Mortimer vermuten, die eine viergeteilte Bühne schuf, zwei Räume unten, zwei oben (nein, und man spielt doch nicht Nestroys „Haus der Temperamente“, verglichen damit ist die Sache nicht lebendig genug). Das Bühnenbild ist zwar spektakulär, aber die Räume oben werden so wenig genutzt, dass sie eigentlich (außer für den finalen Selbstmord der Frau – per Fenstersturz) gar nicht benötigt würden.
Der Raum rechts unten ist also die mittelalterliche Stube, in der sich die zentrale Tragödie abspielt, mit ein paar Bäumen im Zimmer (es bedarf nämlich einer Wald-Szene). Links davon, ganz heutig, befindet sich eine Art Arbeitsraum, in dem die „Engel“ dauernd dabei sind, Kostüm- und Dekorationswechsel vorzubereiten, die sie dann auch durchführen. Kurz, man kommt in dieser Inszenierung kaum auf eine abgehobene „Engel“-Ebene, vielmehr spielt – wie es wohl die Absicht des Autors war – damit die Gegenwart stark herein.
Für die letale Dreiecksgeschichte hat man von der originalen Besetzung nach Wien nur die Frau in Gestalt von Barbara Hannigan mitgebracht, und das ist ein Glücksfall. Ihre Sehnsucht nach Liebe und Leidenschaft, die von dem „Boy“ erwidert und vom schroffen Gatten zurückgewiesen wird, spielt sie mit enormer Intensität aus – und singt sie auch mit exzessiven Spitzentönen, die sich anhören, als wären sie nur als Stimm-Ruin für wagemutige junge Sängerinnen geschrieben…
„The Boy“, ein Countertenor, hat anderswo schon die Luxusbesetzung durch Bejun Mehta erfahren, aber Iestyn Davies, den man – richtig knabenhaft schmal in der Erscheinung – in Wien hörte, war ebenfalls höchst überzeugend. Der Norweger Audun Iversen, der statt der ursprünglichen Besetzung den Protektor sang, war zwar eine stattliche Erscheinung mit profundem dunklem Bariton, wirkte aber noch unsicher genug, um wie verzweifelt am Dirigenten zu hängen, was ihn dann in der Darstellung leicht beeinträchtigte.
Dieser Dirigent war Kent Nagano, der als Operndirigent bisher an Wien vorüber gegangen ist – und daran wird sich kaum etwas ändern, wenn er nun, von Bachler höchst ungut hinausgetreten, von München in Richtung Hamburg wandert. Immerhin hat er bei seinem Wien-„Debüt“ als Operndirigent mit Hilfe des Klangforums Wien ein doch sehr interessantes Stück zeitgenössischer Musik zu optimaler Wirkung gebracht. Benjamins Musik bedient ein breites Spektrum zwischen geradezu lyrischer Gemessenheit und gewaltigen, dissonant aufjaulenden Ausbrüchen, aber sie wirkt immer zweckbezogen, auf Stimmen (die im Sinn „modernen“ Operngesangs gefordert werden) und Situationen bezogen, wobei es ihm wichtig war, nicht auf die Art von Filmmusik illustrativ zu wirken: Keine Angst, diese Musik könnte er keinem Film der Welt verkaufen… die verlangt schon ein in den Ohren geschultes und williges Opernpublikum.
Dieses fand sich im Theater an der Wien ein, und so gab es mit diesem letzten großen Festwochen-Gastspiel zum Ausklang von Bondy / Carp / Lissner sogar ein Happyend, so sehr man sich auch angesichts des verzehrten Herzens winden musste. Aber hart im Nehmen muss er ja sein, der Opernfreund von heute.
Renate Wagner