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Wiener Festwochen: LE RETOUR / DIE HEIMKEHR

18.05.2013 | Theater

Wiener Festwochen / MuseumsQuartier:
LE RETOUR / DIE HEIMKEHR von Harold Pinter
KOPRODUKTION Wiener Festwochen, Les Théâtres de la Ville de Luxembourg, Schauspielhaus, Zürich, MC2 Grenoble, Théâtre National de Bretagne, Rennes, Piccolo Teatro di Milano | Teatro d‘Europa, Mailand
MIT UNTERSTÜTZUNG VON Pierre Bergé, Cercle de l’Odéon
Premiere in Wien: 18. Mai 2013

Endlich wird man wieder einmal von Harold Pinter, dem großen Dramatiker der Briten, herausgefordert. Tatsächlich war er mit seinen hintergründigen Stücken in Wien nie sehr beliebt oder gar viel gespielt, sein Ruhm ließ in seinen letzten Lebensjahrzehnten auch allgemein stark nach, 2005 hat man dem 75jährigen noch den Literatur-Nobelpreis nachgeworfen, bevor er drei Jahre später starb. „Die Heimkehr“ von 1965 war eines der Werke, denen Pinter seinen großen Ruhm auf der Bühne verdankte – die Wiener Festwochen stellen das Stück nun in französischer Sprache zur Diskussion.

Kaum anzunehmen, dass die Vorstellung dermaßen gestürmt worden wäre, hätte sie nicht einen außerordentlichen Hauptdarsteller zu bieten: „Iffland-Ring“-Träger Bruno Ganz ging nach vielen Jahren, die er mit Glanzrollen vor Film- und Fernsehkameras verbracht hat, wieder einmal auf eine Bühne. Vermutlich, weil er – wie bei Peter Stein, dessen alter Faust er im Jahre 2000 war – das Gefühl hatte, mit Luc Bondy „normales Theater“ machen zu können.

Und das ist es auch geworden – psychologisches Theater vom Feinsten, das sich an den Abgründen von Pinters Stück entlang turnt, scheinbaren Realismus immer wieder ins Surreale umkippen lässt, Fassbares und Absurdes köstlich mischt, und am Ende doch – ganz wie es der trickreiche Autor wollte – unklar lässt, was die einzelnen Figuren umtreibt. Folglich werden die Zuschauer gänzlich verunsichert nach Hause geschickt, wobei man sich am Heimweg mit seinem Partner über die Motive der einzelnen Figuren fransig diskutiert. So spannend kann scheinbar „konventionelles“ Theater sein.

Und so hässlich können Familienstücke sein: Bruno Ganz spielt Max, den Familienvater (einst übrigens eine berühmte Rolle von Bernhard Minetti) – ein alter Fleischhauer, der mit seinem Bruder und zweien seiner Söhne irgendwo in Londons nicht bester Gegend lebt. Da prügelt man auch ohne weiteres auf einander ein. Die Sprache der Herren, die Grobheit, Respektlosigkeit, Niveaulosigkeit, mit der sie miteinander umgehen, ist ziemlich erschütternd, aber auch enorm komisch. Und Ganz spielt das Ekelpaket hintergründig – nämlich als beinahe charmanten Kotzbrocken, der immer wieder ein schiefes Lächeln aufsetzt und andeuten möchte, dass er vielleicht doch ganz nett ist?

Er ist es wahrlich nicht, wenn da so nach und nach seine Lebenslügen und Widersprüche auf die Bühne geschaufelt werden. Und seine Familienmitglieder sind es – vielleicht mit Ausnahme des gemobbten Bruders Sam (Pascal Greggory) – auch nicht: Sohn Lenny (Micha Lescot) ist, wie sich bald herausstellt, Zuhälter und eine wirklich schmierige Type, Joey Bauarbeiter und Boxer (man hat Louis Garrel sogar eine gewaltige, wie gebrochene Boxernase verpasst). Ein Männerhaushalt, dessen innere Verwahrlosung in der Exposition klar wird, wobei immer wieder das Bild von Max’ toter Frau Jessie und von seinem alten Freund MacGregor beschworen wird, eine Familienlegende, die Pinter später auch gnadenloser Demontage unterzieht.

Interessant wird das Spiel, als Teddy, der dritte Sohn, unerwartet heimkehrt (Jérôme Kircher ist wirklich erbarmungswürdig). Über ihn ergießt sich bald in geradezu unerträglicher Form die seelische Grausamkeit der anderen. Wobei die Frau, die er mitbringt, nicht nur als Katalysator fungiert, sondern als grelle Herausforderung der Männerwelt: Diese Ruth (gespielt von Polanski-Gattin Emmanuelle Seigner mit zahllosen Facetten und unerwarteten Wendungen, zudem ungemein schlank, erotisch und weit jünger wirkend, als sie ist) scheint nicht einmal nur die brave Ehefrau mit drei Söhnen zu sein – die Männer wittern instinktsicher in ihr eine Nutte, und so führt sie sich auch auf.

Es ist die berühmte, nicht erklärbare und von Bondy, der das dichte Beziehungsgeflecht der Figuren meisterlich balanciert, auch nicht mit Erklärungen belastete Pointe, wie es kommen kann, dass Max und seine Söhne diese Ruth auffordern zu bleiben und für sie als Prostituierte zu arbeiten, und dass sie einverstanden ist. Teddy geht mit seltsamer Widerstandslosigkeit weg, und dann erst kommt Max der Verdacht, dass das vielleicht gar keine so gute Lösung war – denn diese Frau wird die Herren, so stark diese in ihrer gnadenlosen Unterschichts-Mentaltiät und -Brutalität auch sein mögen, vermutlich nach ihrer Pfeife tanzen lassen…

Immer sorgt die Wendung, die das Stück nimmt, für die atemlose Verblüffung des Publikums und zu seiner absoluten Ratlosigkeit, und genau das hat Pinter gewollt, der mit seinen absurden Wendungen die scheinbar so fest gefügte Realität zu hinterfragen pflegte. Das alles ist so stark, dass man nun keine Regie-Meta-Ebene einfügen muss (die da nur stören würde), und Luc Bondy hat in dem ganz zweckmäßigen, gewissermaßen realistischen Bühnenbild von Johannes Schütz auch darauf verzichtet. Wie gesagt: ganz einfach psychologisches Theater, wobei dafür gesorgt wird, dass der Zuschauer den Boden unter den Füßen verliert. Eine tolle Sache.

Renate Wagner

 

 

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