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Wiener Festwochen: KOMMUNE DER WAHRHEIT

01.06.2013 | Theater

Wiener Festwochen/ MuseumsQuartier:
KOMMUNE DER WAHRHEIT. WIRKLICHKEITSMASCHINE
Ein Projekt von Nicolas Stemann
Eine Produktion des Thalia Theaters Hamburg
SCHAUSPIEL-PERFORMANCE /AUFTRAGSWERK / URAUFFÜHRUNG
Premiere: 1. Juni 2013

Nachrichten. Man entkommt ihnen nicht. Morgens aus dem Radio, mittags, abends und zwischendurch auf dem Fernsehschirm, in der Zeitung, permanent am Computer. Mit wenigem wird der Mensch von heute so gnadenlos überschüttet wie mit Nachrichten (und weil wir schon völlig verbogene Gehirne haben, laden wir sie auch noch aufs Handy, damit sie flächendeckend immer da sind). Kurz – Nachrichten sind ein Thema der modernen Gesellschaft, wie es bedrängender, beengender nicht sein kann, und wenn Theater auch hier und heute reagieren kann, will, soll, dann ist ein Projekt zu Nachrichten, das sich „Wirklichkeitsmaschine“ nennt, nur zu begrüßen. Zum gemeinsam Nachdenken.

Dafür hat man die Halle E im Museumsquartier umgebaut, gespielt wird in der Mitte, eingemüllt in Medien-Equipment, auf beiden Seiten das Publikum, wobei die Zerfaserung nach hier und dort noch durch die Menge von Bildschirmen und zusätzlichen Bilderfluten erheblich verstärkt wird. Konzentration ist nicht die Stärke unserer Zeit, und das gewinnt hier Form.

Für das Hamburger Thalia Theater hat Regisseur Nicolas Stemann nun eine „Schauspiel-Performance“ (laut Wiener Festwochen), ein „Projekt“ (nach Selbstaussage) auf die Beine gestellt, das sich „Kommune der Wahrheit“ nennt: Er selbst, eine Handvoll Schauspieler und eine erkleckliche Handvoll Mitarbeiter setzen sich dem „Strom“ der ungefilterten Neuigkeiten aus. Was wird daraus? Es soll jedenfalls völlig spontan wirken, ist aber natürlich sehr genau „gemacht“, offen nur dahingehend, dass die jeweils aktuellen Nachrichten, die benützt werden, jeden Tag andere sind. Aber wie auf der Bühne damit umgegangen wird – das ist schon sehr überlegt. Das gestaltete Happening. Und natürlich ist es als Veralberung des Publikums gedacht – das wird immer besonders klar, wenn die Schauspieler als „sie selbst“ scheinbar ganz tiefsinnig darüber reflektieren, was dieses Projekt mit ihnen persönlich angestellt hat… Wer da das Augenzwinkern nicht merkt, ist selbst schuld.

Die Darsteller – darunter Sebastian Rudolph, Schauspieler des Jahres 2012, und Barbara Nüsse, weiters Franziska Hartmann und Birte Schnöink, Daniel Lommatzsch und Jörg Pohl, stapfen in einer Art Overalls herum und rezitieren erst einmal Nachrichten. Gleich zu Beginn, diese Uraufführung findet schließlich in Wien, Österreich, statt, der Vorwurf, „Gusi“ sei als Spion für die Kasachen tätig gewesen. Demos in der Türkei. Weltmilchtag. Tausende Kleintiere bei Unfall auf der Tauern-Autobahn entkommen. Ja, hier und heute, das Informationsgewitter wird plastisch, theatralisch, wenn alle dann anfangen gleichzeitig zu reden und man absolut nichts mehr versteht. Die Reizüberflutung ist da, und in der Folge wird mit den Nachrichten „gespielt“ – im Märchenton vorgelesen zum Beispiel oder in Werbeform gesungen.

Dann schließt sich unvermutet nach beiden Seiten der Vorhang – „Wir haben ja auch kein Stück“, murmeln die Schauspieler. Sie sind auf Sinn- und Vermittlungssuche, und wenn sie die Sache auch veralbern, Schritt für Schritt tiefer im Nonsense landen, wollen sie sich doch nicht der Oberflächlichkeit zeihen lassen.

So landet die Kommune am „Lagerfeuer“ zwecks allgemeiner Philosophie (etwa: schlechte Nachrichten sind nötig für das Wohlbefinden des Einzelnen, der das Gefühl haben darf, dass es ihm wenigstens noch gut geht…). Doch so vieles Wichtige wird nicht gesagt: Dass die Macht der Nachrichten sich durch ihre Masse selbst ausgehebelt hat und ihre Nachhaltigkeit weitgehend Null ist. Dass es auf die Qualität der Nachrichten ankommt – dass man auf „Infotainment“ des Privatfernsehens anders reagiert als auf eine Recherche der „Neuen Zürcher“. Dergleichen wird auch bei der finalen Diskussion nicht angerissen, die ziemlich öde ausfällt, weil Theaterleute keine guten Interviewer sind (zumindest in diesem Fall). Dennoch – die Gäste werden wechseln, Eugen Freund, der sich Mühe gab, ein bisschen was Seriöses zu sagen (und sich der Fragwürdigkeit seines Jobs offenbar voll bewusst ist), wird vielleicht einmal durch Elfriede Jelinek ausgetauscht, wer weiß?

Das Publikum darf, soll mitspielen, da waren schon ein paar „Animateure“ darunter, die vormachten, wann Applaus angesagt war und wann Gejohle. So richtig spontan – nein. Gut gemacht – aber ja. Erkenntnisreich – nicht wirklich. Sehenswert? Aber natürlich. Schon weil am Ende fröhlich die „Gegenwelt“ der Phantasie und Kunst beschworen wird, die „Wirklichkeit 2“, und da hüpfen alle verkleidet umher oder schweben in der Luft… Das lässt man sich gerne gefallen. Es ist jedenfalls lustiger als das pathetische Nachrichten-Gesülze, das man in Sekundenschnelle wieder vergißt.

Renate Wagner

 

 

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