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Wiener Festwochen: GIFT

27.05.2013 | Theater

Wiener Festwochen/ Akzent:
GIFT. EINE EHEGESCHICHTE von Lot Vekemans
GASTSPIEL
PRODUKTION NTGent, Münchner Kammerspiele
Premiere: 27. Mai 2013

Man weiß, was in München läuft: Dass das Residenztheater (eben erst mit der „In Agonie“-Produktion seines Direktors Martin Kusej bei den Festwochen) und die Münchner Kammerspiele zwei der wichtigsten Bühnen des deutschen Sprachraums sind. Man sollte öfter hinfahren. Und sich entsprechend freuen, wenn die Wiener Festwochen einem den Weg abnehmen und die Münchner hierherbringen. Nun mit einer Produktion, die Johan Simons zu verantworten hat, derzeit Intendant der Münchner Kammerspiele. Doch der gebürtige Niederländer ist immer noch „seinem“ NTGent verbunden, dem holländischsprachigen Theater in der belgisch-flandrischen Stadt, das er davor geleitet hat. So kam, weil viele holländische Schauspieler glücklicherweise hervorragend Deutsch sprechen (mit minimalem Akzent), „Gift. Eine Ehegeschichte“ der Autorin Lot Vekemans von Gent nach München und nun via Festwochen nach Wien ins Akzent.

Es ist ein trickreiches Zwei-Personen-Stück: Ein mittlerweile geschiedenes Ehepaar, das sich seit neun Jahren nicht mehr gesehen hat, trifft auf dem Friedhof zusammen, wo der gemeinsame Sohn begraben liegt, offensichtlich (?) herbeigeholt von einem Amtsschreiben, die Gräber müssten umgebettet werden. Die Autorin spielt alles durch – die Peinlichkeit des Wiedersehens, die Dringlichkeit der Auseinandersetzung, die auf zwei Menschen wartet, die ihre Trennung nie besprochen und verarbeitet haben, und vor allem das zentrale Thema: Wie geht man mit Trauer um? Hat die Frau recht, die noch nach mehr als zehn Jahren um den bei einem Unfall verlorenen Sohn trauert, ja, sich in dieses Gefühl fallen lässt, es quasi zum Lebensinhalt gemacht hat? Oder der Mann, der versucht hat, den Verlust zu überwinden und einen neuen Anfang zu finden? Gibt es überhaupt eine Lösung?

Nur eines rät die Autorin, und sie überlässt die „Aussprache“ nicht dem Psychiater: Zwei Menschen müssen alles, was unerledigt zwischen ihnen liegt, mit Worten und Gefühlen hernehmen und behandeln. Das geht nicht ohne Schmerz ab, nicht ohne Beleidigungen und Beleidigt-Sein, nicht ohne Hohn und Gift und Galle, nicht ohne Enttäuschung, aber es bringt am Ende ein Gefühl der Befriedigung, das sich auch auf den Zuschauer überträgt, den mit den beiden Darstellern (die Figuren haben keine Namen) durch eindreiviertel pausenlose Stunden gegangen ist – und das so gespannt, dass es in langen Generalpausen „mucksmäuschenstill“ war, als hielte das Publikum den Atem an und wagte nicht, die Spannung zu zerstören. Da hat Regisseur Johan Simons (in einem mehr oder minder abstrakten Treppen / Sessel-Bühnenbild von Leo de Nijs) starke Arbeit geleistet.

Simons-Gattin Elsie de Brauw hatte den schwereren, aber, durch seine darstellerische Ergiebigkeit, dankbareren Teil des Abends, aber sie musste manche Reaktion, die von Seiten der Autorin dann doch nach „Theater“ schmeckte, glaubhaft machen. Steven van Watermeulen war der Mann, der meist – wie viele Männer – ja doch nicht versteht, was die Frau will („Was will das Weib?“ formulierte kein Geringerer als Sigmund Freud). Er wandelt sich von der Ablehnung am Anfang, wenn er sich gegen das erzwungene Wiedersehen wehrt, aber ganz wunderbar zu einer sensiblen Bereitschaft, gemeinsam zurückzuschauen.

Etwa seltsam wirkt die Einfügung einiger A-cappella-Gesänge aus der Kehle des Countertenors Steve Dugardin, der die längste Zeit im Publikum sitzt und von dort seine Stimme ertönen lässt. Die Musik aus dem 16. Jahrhundert passt hier nicht unbedingt hinein, hebt das ganze Geschehen allerdings von der blanken Realität ab, die von der Aufführung ohnedies nicht bedient wird.

Mit Ausnahme der Musik ist die Aufführung geradezu minimalistisch – vielleicht wirkt sie deshalb so stark in ihrer Konzentration. Starker Applaus für die willkommenen Gäste.

Renate Wagner

 

 

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