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Wiener Festwochen 2021: Der Cross-Over-Sound des zersplitterten Festivals  

29.06.2021 | Themen Kultur

Wiener Festwochen 2021: Der Cross-Over-Sound des zersplitterten Festivals  

Dies ist kein Spiel, welches leicht gewonnen werden kann: Die Wiener Festwochen, nun ins siebzigste Jahr gewachsen, damals als soziale Player erdacht – generell wie auch heute im Krisenjahr 2021. Gesteckt in der Pandemie und dabei versteckt und zersplittert vermag die derzeitige Netzwerke-Kultur keinen wahren Glanz auszustrahlen. Noch dazu da es schwer, so ganz besonders schwer ist, Bezugspersonen im heurigen Einkaufsangebot zu finden. Namen wie Tiago Rodrigues, Begüm Erciyas, Michikazu Matsune oder Phia Ménard purzeln im festwöchentlichen Eventangebot nur so herum. Für welchen Besuch sollen wir uns entscheiden, wer wäre ein Favorit, wer wäre es wert? Fällt dem Insider die Auswahl schon nicht leicht, so ist es für ein breiteres Publikum nicht zu schaffen. Auch einigermaßen Eingeweihte raten herum, und die alten Kulturbürger der Stadt scheinen den derzeitigen Festwochen – vor allem nach dem Totaldebakel des vorigen Intendanten – nicht mehr besonders gewogen zu sein.

Das Anliegen der heurigen Veranstaltungsreihe ist schon gut gemeint: „Heute verstehen sich die Wiener Festwochen als ein Festival, das uneingeschränkt an wagemutige und multidisziplinäre künstlerische Visionen glaubt und diese fördert. Als Festival der Künste öffnet es einen Raum für mutige Kreationen, die imaginiert, entwickelt und mit einem diversen Publikum geteilt werden sollen“. Ja, das sind Worte von Intendant Christophe Slagmuylder, welche schon sehr in Ordnung sind. Doch die Sichtung im Publikum bleibt beengt: Der interessierte Kenner-Kreis, aufgeschlossene Intellektuelle, studierende Jugend vom Fach (viele Deutsche) sind angeregt mit dabei. Und …. die Wiener, die echten Wiener, fehlt diesen etwas? Ja, solche Attraktionen besonderer Gastspiele, welche in weit früheren Jahren immer wieder angelockt haben.

Und die Sichtung im heurigen Programmangebot? Slagmuylder, der sehr sympathische, besonnene, freundliche Kurator aus Brüssel, sicher aber kein Kenner wienerischer Mentalitäten, welchem die Programmgestaltung bis 2024 übertragen wurde, denkt sozial, positiv, hat auch den Auftrag in den Randgebieten Menschen anzusprechen und versuchen sie vielleicht zu gewinnen. Bitte, in Favoriten, Meidling, Simmering? Mit eher anderen Kulturen, anderen Voraussetzungen müssten sich die Stadtpolitiker dort weit klüger auseinandersetzen.

Künstlerisch sagt Slagmuylder: „Das ganze Programm hindurch sind Musik und Wort in ständigem Dialog, liegt doch der Fokus des Festivals auf interdisziplinären Cross-overs“. Cross-over ist gut, der Sound ist gelegentlich sogar interessanter als manches performatives Mini-Spektakel. Der Sound aus den Lautsprechern für „Die Gewehre der Frau Katharina Pollinger“ im Theater an der Wien ist von der Berliner Volksbühne super zusammengestellt worden. Eine Collage von Benjamin Britten bis zu guten US-Hits der Reihe nach, weit besser als das textliche Blödelspiel mit einigen Pointen doch endlosem Geplapper von René Pollesch. Zum lauten Klangbad in dieser jedenfalls perfekt gestylten Produktion überzeugte aber auch die Choreographie für einen lockeren weiblichen Tanzchor mit frischem Jungmädchencharme. Charme ist aber so manch heimischer Performance nicht zuzusprechen gewesen. Etwa dieser so bezeichnete „Festzug“ der zur Zeit stark geförderten Tanzfeministin Florentina Holzinger ist vielleicht wegen der sich in einer Crash-Szenerie herum taumelnden Nackt–Frauenriege und deren Exponiertheit geschätzt worden, nicht aber wegen schöpferischer Sensibilität.

Hochkultiviert für einen kleinen Kennerkreis ist dagegen Arnold Schönbergs Melodram „Pierrot lunaire“ aus dem Jahr 1912 auf expressive Dichtung von Albert Giraud. Uralt bereits, doch dem Klangforum Wien und der Choreographin Marlene Monteiro Freitas zu einer spleenigen Cross-Over-Karikatur anvertraut (eher nicht in Schönbergs Sinn). Das Klangforum ist auch zur Würdigung von Gustav Mahlers „Das Lied von der Erde“ in das Volkstheater eingeladen worden. In einer Kammermusik-Fassung: stets dominerende Bläser, Verzicht auf schwelgerischen Geigenklang. Dazu eine szenische Fassung von Philippe Quesne auf simple Art: Nebelschwaden und Schneeflöckchen für die herumstehenden Sänger auf leerer Bühne, dazwischen konträr zwei fantastisch verklärende Naturbilder des spätromantischen US-Landschaftsmaler Albert Bierstadt.

Resumee zum ersten Teil der heuer zwangsweise gesplitterten Wiener Festwochen: Der Sound führt somit nicht in eine verzaubernde Welt, sondern in eine zerbrochene, in welcher um Probleme gerungen werden muss. Einem geistig anspruchsvollen Publikum angepasst. Und wird von diesem goutiert. Sommerpause nun. Ab 24. August geht es heuer ausnahmsweise festwöchentlich weiter: „Burt Turrido. An Opera“ des Nature Theater of Oklohoma, „Hullo, Bu-bye, Koko, Come In“ oder „Heartbreaking Final“ werden dann dem Wiener Intellektuellenverein serviert.

Meinhard Rüdenauer        

 

 

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