Wien/ Wiener Festwochen: Mette Ingvartsen mit „Skatepark“
Als eine Ökumene von Subkulturen inszeniert die dänische Choreografin Mette Ingvartsen ihre neueste, hier als Österreichische Erstaufführung gezeigte Arbeit „Skatepark“. Viele von ihren Eltern begleitete Kinder und Jugendliche, die schon ihrem Äußeren nach selbst SkaterInnen sind, dazugehören wollen oder Freunde unter den Wiener PerformerInnen haben, machen einen Großteil des Publikums in der Halle G des Museumsquartier Wien aus. Die Atmosphäre ist entsprechend erwartungsfroh und wohlgesonnen vorgespannt, die Begeisterung groß und die kritische Distanz zum Stück naturgegeben klein.
Mette-Ingvartsen-Skatepark-c-Bea Borgers
Das mit Skateparks im öffentlichen Raum international tätige Architektenbüro Antidote schuf eine Bühne aus konkaven Rampen, Barren, Podesten, Bauzäunen und Wellblech-Wänden, die wie ein am Stadtrand geschaffenes Areal, ein Treffpunkt für Künstler auf Rollen wirkt. Mit Skateboards, Rollschuhen, Autoreifen, mit ihrem Körper in Urban Dance und Artistik experimentieren die sechzehn PerformerInnen hochdynamisch in variablen Zusammensetzungen. Ihre 180s, Boardslides und Kickturnes, wie sie in der Fachsprache der Artisten heißen, mischen sich mit Parkour, einer die vorgesehenen Wege für die Fortbewegung im öffentlichen Raum umgehenden, physisch äußerst anspruchsvollen artistischen Weise des Einbeziehens von Mauern und Wänden, Geländern und Barrieren für das „Wandeln“ durch die Stadt. Und sie dokumentieren für die sozialen Medien.
Mette Ingvartsen Skatepark. c-Bea Borgers-
Nicht Tanz choreografiert Ingvartsen, sondern das Spiel mit der Schwerkraft unter dem Gebot von Coolness und Dynamik. Dass manch ein Trick oder Move nicht gleich gelingt, gehört zum Geschäft. Das Publikum wird somit Zeuge von Prozessen, der physischen Anstrengungen, der Ausdauer und der Disziplin der PerformerInnen, die Perfektion anstreben, aber teilweise eben erst auf dem Weg zu ihr sind. Variantenreich und virtuos erschließt sich das aus zehn fix und sechs lokal engagierten SportlerInnen zusammengesetzte Ensemble alle Bereiche ihres Parks. Kinder, Jugendliche und Erwachsene, männlich, weiblich und queer, Skater, Rollschuhläuferinnen, ein Live-Musiker, Disco, Punk und Hardrock, rollend, springend, turnend, singend, tanzend, lachend, trinkend und chillend kommen verschiedene Communities zusammen, bilden letztlich eine Gemeinschaft, die von Respekt, Rücksichtnahme, Neugierde und Offenheit geprägt ist. „Tell me what you want!“ Sie erzählen viel von ihren vielschichtigen Sehnsüchten.
Mette Ingvartsen Skatepark.c Bea Borgers
Es muss fließen. Aus den Bewegungen der Einzelnen, der Verschränkung ihrer Bahnen und Wege durch den Raum, dem Ineinandergreifen der verschiedenen subkulturellen Herkünfte entsteht die Utopie einer Gesellschaft, die trotz ihrer Heterogenität eine Werte-Gemeinschaft konstruiert. Zugleich individuell und kollektiv, lokal und überregional, kompetitiv und inklusiv, frei und kontrolliert, illegal und legal, unabhängig und kommerzialisiert, Lifestyle und olympisch. Dass die zwei Frauen auf Rollschuhen ebenso gesangstechnisch hervortreten, zeugt von der Öffnung der ursprünglich männlich dominierten Communities.
Nach einer dunklen, ruhigen, nächtlichen Phase, in der die Einzelnen sich zurückziehen und lesen, trinken oder ruhen, treten sie ins dämmernde Licht mit Masken und aggressiverem Habitus. Fahnen schwingend grölen sie einen Protestsong, springen wie zu Heavy Metal, tanzen und skaten im flackernden Licht. Die Rebellion gegen etablierte gesellschaftliche Strukturen ist wesentliches Merkmal von Subkulturen. So auch von diesen.
Mette Ingvartsen Skatepark. c-Bea Borgers
Diese Koproduktion der Wiener Festwochen mit dem Tanzquartier Wien spricht ein spezielles Publikum an. Die von seinem sportlichen Interesse verdeckten partiellen Längen von „Skatepark“ und dessen emotionsarme Konzeptualität mindern dessen Begeisterung für dieses außergewöhnliche Stück nicht. Die Botschaft von einer freieren Gesellschaft, die zudem ihre öffentlichen Räume verschiedensten Interessen und Gruppen öffnet und zur Verfügung stellt, kommt an.
Mette Ingvartsen mit „Skatepark“ am 19., 20. und 21.05.2023 bei den Wiener Festwochen
Rando Hannemann