Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Volkstheater: URFAUST

19.10.2012 | Theater

WIEN / Volkstheater:
URFAUST von Johann Wolfgang von Goethe
Premiere: 19. Oktober 2012

Pausengespräche gab es bei der Premiere von „Urfaust“ im Volkstheater keine, denn es gab keine Pause. Vorher hörte man manchen Zweifel: „Das dauert 65 Minuten? Und was machen wir nachher?“ „Zahlt sich das überhaupt aus?“ Eine berechtigte Frage.

Gleich zu Beginn ein über und über mit Blut beflecktes Gretchen – so, wie es nicht im „Urfaust“ steht. Dieser erste Entwurf des danach so großen Werks ist zwar weit kürzer als der spätere Faust. Aber so kurz, wie ihn Regisseur Enrice Lübbe zusammengestutzt hat, auch wieder nicht. Der derzeitige Schauspieldirektor von Chemnitz, demnächt Intendant in Leipzig bietet: Faust. Material. Regie. Ideen. Jokus. Nackt. Kurz. Viel Grechtchen. Wenig Faust. Finale letal.

Lübbe liefert bei seinem Wien-Debut am Volkstheater Stückwerk ohne erkennbaren Zusammenhang. Faust ist beim ihm nicht zum Monologisieren gelaunt. Schließlich schickt der Regisseur ihm zur Ablenkung einen – von ihm erfundenen – neun köpfigen, achtzehnbusigen Damenchor in den Weg. Sie sind splitterfasernackt. Wenn er jeder die männliche Gretchenfrage stellt („Mein schönes Fräulein, darf ich’s wagen“), erntet er neun Ohrfeigen. Allgemeines Amüsement im Publikum. Offenbar die Hoffnung, man würde sich bei einem Klassiker unterhalten.

Mit der Nacktheit geht es weiter, die „Nackten Männer“ vom Leopold Museum nebenan strahlen aus. Faust lässt die Unterhose fallen, wenig später umarmt dann ein nackter Mephisto ein nacktes Gretchen. Was man lange und sinnvoll entwickeln müsste, hier wird es als Behauptung hingestellt: Faust und Mephisto sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn Faust sich am Ende erschießt, bricht auch Mephisto mit einem blutigen Fleck in der Brust zusammen. Nichts davon steht bei Goethe, nirgendwo. Man spielt angeblich „Urfaust“, und man spielt ihn absolut nicht.

Gretchen steht im Mittelpunkt, Marthe ist kurz da, Lieschen, Valentin. Was zu Beginn angekündigt, erfüllt sich im Ende: Im Blute schwimmt doch alles. Viel der wenigen Bühnenzeit hat der Regisseur für Generalpausen verwendet: Lange, lange starrt Gretchen grinsend ins Publikum. Dann schreit sie. Mehr Regie als Sinn.

Die Ausstattung von Michaela Barth ist eine Art Holzkäfig auf der Drehbühne. Nanette Waidmann schaut vor allem frontal ins Publikum. Der klägliche Faust des Denis Petković scheint nicht recht mitzuspielen. Günter Franzmeier als sehr zynischer, lapidarer Mephisto schon. Heike Kretschmer als blond gelockte Marthe hebt den Rock, was Nina Horváth als Lieschen treibt (versteckt sie eine Schwangerschaft?) wird nicht klar. Der Valentin des Robert Prinzler ist kaum da und wird schon erschossen. Neun Damen sind erst nackt, dann angezogen, dafür muss man ihre Namen nicht nennen.

Viel Beifall. Offenbar hielt man dies für eine angemessene Interpretation.

Heiner Wesemann

 

Diese Seite drucken