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WIEN / Volkstheater: KLEINER MANN – WAS NUN?

15.09.2013 | Theater

Kleiner Mann was nun Beck, Bauer

WIEN / Volkstheater:
KLEINER MANN – WAS NUN? von Hans Fallada
Fassung für das Volkstheater von Susanne Abbrederis und Georg Schmiedleitner
Premiere: 15. September 2013

Das Leben des Durchschnittsmenschen basiert auf der gesellschaftlichen Voraussetzung, dass es Arbeit gibt und dass er sie auch bekommt. Wenn die Situation aussichtslos wird wie einst in der Zwischenkriegszeit, vor allem den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, dann lautete die fatale „Lösung“ des Problems damals: Hitler. Wenn wir heute in Europa in einer Welt der sozialen Systeme leben, die den Menschen einigermaßen schützen sollten, so bedeutet das nicht, dass der Druck, Arbeit zu finden und davon zu leben, geschwunden ist, im Gegenteil.

In einer Zeit, wo sich der Mensch wissentlich-willentlich-leichtfertig „abgeschafft“ und selbst durch Maschinen ersetzt hat, und wo ein Brutalo-Kapitalismus noch gnadenlos versucht, den „Kostenfaktor Mensch“ nach Möglichkeit zu eliminieren – ja, da bietet der alte Roman von Hans Fallada „Kleiner Mann – was nun?“ aus dem Jahr 1932 in vielen Details gültige Einblicke in die Zwänge und Demütigungen der Arbeitswelt. Will man das Buch auf die Bühne bringen, müsste man bei diesem nach wie vor aktuellen Faktor ansetzen.

Aber das findet man in der Dramatisierung, die Susanne Abbrederis und Regisseur Georg Schmiedleitner für das Volkstheater hergestellt haben, nur andeutungsweise und gewissermaßen am Rande. Vor allem bringen sie die von ihnen schön „bittersüß“ umgesetzte Liebesgeschichte zwischen dem in jeder Hinsicht „armen“ Angestellten Johannes Pinneberg und seiner Geliebten, dann Gattin Emma Mörschel, genannt „Lämmchen“ (sie nennt ihn „Junge“) auf die Bühne, die an Klischees, wie schlecht es arme Leute treffen können, reich ist. Die Mechanismen, die dafür sorgen, dass diese Menschen arm blieben, werden dagegen weit unter ihrem Wert gehandelt.

Es ist auch eine ziemlich einfallslose Inszenierung, die Georg Schmiedleitner auf der weitgehend leeren Bühne von Stefan Brandtmayr liefert. Sie bedient sich (am Anfang ärgerlich lang, wohl um „Stimmung“ zu schaffen) der heute so beliebten Videoprojektionen (wenn er auch im Lauf der Handlung dann wieder darauf vergisst), er gießt eine Menge Musik über das Geschehen, die es nicht schärft, sondern aufweicht (die „Sofa Surfers“ im Hintergrund erweisen sich als wahre Faserschmeichler), er lässt ein paar wirklich sinnlose Liedchen singen, und er kann sich vor allem nicht entscheiden, die Stilisierung, die er in den Szenen rund um sein Liebespaar gelegentlich (auch nicht konsequent) anstrebt, durchzuziehen. Da wird also die Tragödie der beiden offenbar so ernst gemeint – und die um sie gezeichnete Welt erscheint als Groteske. Manchmal, wie gesagt.

Konsequenz sucht man an diesem Abend so vergeblich wie Stringenz – wo das Geschehen von Getriebenen handelt, schleppt es sich mit Mühsal zweidreiviertel Stunden dahin. Kaum, dass die Sache auch nur interessant wird. Human Interest an „Lämmchen“, an der Fallada die Rolle der aufopfernden Frauen würdigt, die so lange die Welt zusammen gehalten haben (gibt es sie noch?), mag bestehen. Mehr wird es nicht.

Patrick O. Beck ist auch keine genuine Idealbesetzung für den Pinneberg, weil er im Grunde ein „interessanter“ Typ ist und damit den unschuldigen Durchschnittsmenschen spielen muss, statt aus sich heraus ein solcher zu sein. Richtiger ist da schon Hanna Binder als Lämmchen, wenn ihr Gesichtsausdruck auch wenig mehr als den Ausdruck „mutig“ oder „verhalten tragisch“ kennt. Sie käme allerdings besser zur Geltung, wäre sie eine bessere Sprecherin – sie ist leider eine sehr schlechte, die ihren halben Text in den Orkus der Unverständlichkeit wirft. Also keine Idealbesetzungen für dieses „Traumpaar“ der Prosaliteratur.

Kleiner Mann was nun Ensemble
Fotos: Volkstheater / Christoph Sebastian

Alle müssen viele Nebenrollen spielen – am schönsten gelingt der souveräne Kriminelle Jachmann des Günter Franzmeier, der ja doch ein Herr ist. Und auch Susa Meyer als wahres Wrack einer Lebedame, die leider Pinnebergs Mutter ist, stellt eine überzeugende Figur auf die Bühne. Die anderen haben weniger Möglichkeiten: Rainer Frieb, der so präzise charakterisieren kann, muss hier in vielen Rollen meist hemmungslos chargieren, und Thomas Kamper (immerhin interessant als Pinnebergs Arbeitskollege), Alexander Lhotzky, Thomas Bauer oder Jan Sabo geht es nicht besser. Annette Isabella Holzmann ist für die hässlichen Frauen zuständig, Claudia Sabitzer hat zu Beginn zwei starke Figuren, dann gerät sie in der Besetzung in Vergessenheit.

Fazit: Das Thema hätte Analyse und jede Härte verdient. Geworden ist es ein von Musik wesenlos umschmeichelter Bilderbogen, dessen kraftlose Bildchen in verschiedenen Stilen – ein wenig Tränendrüse, ein wenig Satire – changieren. Michael Schottenberg lässt sich schon zum zweiten Mal bei seiner Wahl dramatisierter Romane vom Spielplan der Münchner Kammerspiele inspirieren – kurz nach diesen brachte er Joseph Roths „Hotel Savoy“, nun eben Fallada. Natürlich kann er sicher sein, dass die meisten Zuseher die Vergleichsaufführungen nicht kennen. Aber es gibt sie, und wer sie gesehen hat, sowohl Johan Simons’ faszinierendes „Hotel Savoy“ wie die geradezu geniale, mit viereinhalb Stunden nicht eine Minute zu lange Aufführung von Luc Percevals „Kleiner Mann – was nun?“ – der weiß, dass Wien im Vergleich damit ganz klein aussieht.

Renate Wagner

 

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