Wiener ImPulsTanz: Das Phänomen von Repetition und Reduktion / 20., 21., 22.Juli 2021
Ist es als Phänomen in der derzeitigen Performance-Szene anzusehen? Oder weist es darauf hin, dass den Choreographen ihrer kleinen Tanzkompanien zur Zeit nicht mehr gegeben ist, echte dramatische Erzählungen für die Bühne zu entwickeln? ImPulsTanz hat solch Kuriosum an drei folgenden Tagen seinem interessiert mitgehenden Publikum vorgeführt: Eine einzige Idee wird in 60 Minuten konsequent fokusiert durchgezogen. Eine Ausgangssituation – und diese wird dann wieder & wieder & wieder & wieder mit minimalen Variationen zu neutral dröhnendem Elektrosound zur einstündigen Körperschau ausgewälzt.
Abend Nummer eins im Akademietheater: Des brasilianischen Choreographen Guilherme Botelho von Schweizer Institutionen finanzierte Kompanie Alias Cie in „Sideways Rain“ auf der Bühne andauernd von links nach rechts ziehend – auf allen vieren kriechend am Beginn, dann schleppend, taumelnd, gehend, rennend. Pausenlos, unentwegt. Das Programmheft erklärt in etwa: ‚Ein eindrucksvolles Gleichnis zum Verlauf des Lebens …. konsequent in eine Richtung, nämlich jene, in die sich die Zukunft flüchtet.‘ Eine Stunde Repetition wird hier als Metapher postuliert.
Abend Nummer zwei, ebenfalls die kleine Schar des Botelho in „Normal“ – und genau dieselbe Machart. Diesmal sind die Performer als kompakte Gruppe aufgestellt. Ruhig posierend zuerst, doch dann lassen sich fallen, kommen wieder hoch, lassen sich fallen, stehen wieder auf …. und unaufhörlich weiter so. Natürlich schon mit leichten Abwandlungen in Gestik und Gesichtsausdruck und als Schwarm sich in Zeitlupentempo über die Bühne bewegend. Zitierend aus dem Programmheft: ‚Es geht um die permanenten Transformationen des Lebens …. was in seiner Wiederkehr immer gleich erscheint, ist doch nie dasselbe.“
Abend Nummer drei im Volkstheater, eine Überraschung oder doch kein mehr? Maguy Marin, feinsinnige Choreographin aus Toulouse, hat mit ihrer Compagnie Maguy Marin bereits vor einigen Jahren mit „Umwelt“, 2004 erstmals aufgeführt, solch ein auf völlige Repetition zielendes Schema ausprobiert. Nun aufgefrischt kann es, so wie Botelhos später entstandenen methaphorischen Piecen, je nach willigem oder unwilligem Betrachter einschläfern oder eine gewisse Neugierde vermitteln. „Umwelt“: Schmale Paravents in vierer Reihen, stürmischer Donnersound, die neun Darstellenden treten jeweils zu zweit, dritt, viert mit wechselnden Utensilien, wechselnder Kleidung hervor, zeigen in extrem kurzen Episoden menschliches Verhalten, Moden, Tugenden und allerlei Untugenden auf. Marins Rückblick über den Zustand von Welt und Umwelt zu ihrem damaligen Experiment: „Wir spielen mit dem Möglichen, ohne es zu erreichen. Wir tun was wir können, doch da ginge noch wesentlich mehr.“
Das doch sehr spezielle ImPulsTanz-Publikum, nach den Lockdowns wohl ausgehungert, hat diese drei Einstunden-Aufführungen sehr positiv aufgenommen. Jeweils auch als einen Kraftakt der sich hingebenden Darsteller angesehen. Noch kurz auf andere künstlerischen Sparten hinweisend: Nicht nur im Tanz ist solch schwer repetierenden Artefakten immer wieder zu begegne. In Pop und Jazz, bildender Kunst, auch in der betagt gewordenen Musik-Moderne: Geistige Kost kann sich im derzeitigen Wandel der Kulturen auch bloß mit Reduktion und Repetition zufriedengeben.
Meinhard Rüdenauer