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WIEN / Volkstheater: FLOH IM OHR

20.12.2014 | Theater

Floh im Ohr Plakat

WIEN / Volkstheater:
FLOH IM OHR von Georges Feydeau
Premiere: 19. Dezember 2014

Ist ja Fasching, und das Volkstheater braucht, wie jedes andere Theater auch, volle Häuser. Man kann Georges Feydeau durchaus als Garanten dafür betrachten, denn seine Stücke, Farcen, Possen sind in ihrem Unterhaltungswert unbestritten. Die Entscheidung, die es zu treffen gilt, betrifft die Form, die man der Sache gibt. Wobei es – allerdings vor Jahrzehnten – durchaus sinnvoll schien, die verstörten Bürger der Belle Epoque in ihrem Milieu zu belassen und durch die wahnwitzigen, ja absurden Verwirrungen zu schicken, die der Autor ihnen zumutet. Der Schock zwischen verkrampfter Normalität und Irrationalität wirkte solcherart stärker.

Heutzutage könnte kein Regisseur, der auf sich hält, mit einer historisierenden Interpretation leben, obwohl die Stücke letztlich inhaltlich noch in einer Epoche vor dem Ersten Weltkrieg verankert sind (auch wenn Feydeau erst 1921 starb). Wir müssen also die stumme Übereinkunft zwischen Bühne und Publikum erzielen, dass in einer abstrakt stilisierten Welt Ehemänner noch immer von eifersüchtigen Gattinnen per parfumiertem Brief (!) in ein Stundenhotel bestellt werden und dort – Tür auf, Tür zu – die wildesten Hetzjagden stattfinden. Für Regisseur Stephan Müller ist das Theaterwahnsinn in einer Kunstwelt, und die Schwäche seiner Inszenierung besteht darin, dass sie von der ersten bis zur letzten Minute auf ein- und demselben Ton von Holzhammer-Gewaltsamkeit läuft.

Floh im Ohr die Weiber Floh im Ohr Firit Mamdof
Alle Fotos: Volkstheater / Lalo Jodlbauer

Da kommen zu Beginn in grotesken Frisuren und Kostümen (Carla Caminati) nicht normale, wenn auch gereizte und zickige Ehefrauen auf der Bühne, sondern extreme Kunstfiguren, die sich verrenken, staksen, zappeln, über aufgerissenen Augen die Lider klappern lassen und mit künstlichen Stimmen zirpen oder kommandieren, was die persönliche Kunst halt hergibt. Und die Stärke der Aufführung besteht darin, dass das Volkstheater hier ein Ensemble aufstellen kann, das in den zentralen Rollen wirklich hochklassig besetzt ist. Einfach die beiden Ehefrauen des Beginns – auch wenn sie verrückte Marionetten spielen müssen, so sind Susa Meyer als Gattin des Haupthelden Chandebise und Martina Stilp als Gattin eines tobenden Südamerikaners doch köstlich potente Blödlerinnen. Wenn die anderen Damen des Abends – Andrea Bröderbauer als Dienstmädchen und Fanny Krausz im Puff – nicht weiter zur Geltung kommen, liegt es an den entschieden schwächeren Rollen.

Das Virtuosenstück des Abends ist immer der Chandebise-Neffe Camille, der bekanntlich keine Vokale aussprechen kann und mit dem daraus entstehendem Kauderwelsch bestenfalls die possierlichsten Effekte erzielt, wenn er „seine“ Sprache mit aller Selbstverständlichkeit der Welt (nicht) artikuliert, folglich absolut unverständlich ist – und sich dank Körpersprache natürlich doch „ausdrückt“. Matthias Mamedof, des Hauses originellster Komiker, entledigt sich dieser Aufgabe mit hinreißender Wirkung. (Im Zuschauerraum saß Alexander Pschill, der diese Rolle 2008 bei der letzten Wiener Aufführung in der Josefstadt virtuos bewältigte, und hat dem Kollegen sicherlich ein Kompliment gezollt.)

Es gibt eine Menge größerer Nebenrollen, die immer wieder sprunghaft ins Zentrum geraten, um dann am Rande zu versanden. Ronald Kuste tobt seinen Don Carlos Homenides de Histangua, sollte nur seinen Akzent eine Spur hinunterschrauben, er ist manchmal so unverständlich wie Camille… Patrick O. Beck (Tournel), Roman Schmelzer (Dr. Finache) und vor allem Alexander Lhotzky als rabiater Leiter des Puffs holen sich ihre Effekte, die anderen (Erwin Ebenbauer, Stefan Bernhard, Jan Sabo) nach Möglichkeit auch.

Floh im Ohr 3

Im Zentrum des Geschehens steht Till Firit in der Doppelrolle des Monsieur Chandebise, Geschäftsmann von Erfolg und Würde, privat in peinlichen Potenznöten, und Poche, dem Hausdiener im Puff. Man hat Firit die Haare gestäubt, dass sie grau wirken sollen. Er ist noch immer ein bisschen zu jung für die Rolle, aber den verkomplexten, auch körperlich verkrampften Bürger bekommt er ohne Schwierigkeit hin. Den Poche hingegen glaubt man ihm nicht – vielleicht auch, weil der Regisseur ihm keine Hilfestellung gegeben hat, den ganz anderen Typen auch effektvoll (und mit erkennbaren Eigenheiten) zu charakterisieren und von der anderen Figur abzusetzen. Schade, dass hier die Möglichkeiten der Doppelrolle nicht ausgeschöpft wurden, zumal von einem Schauspieler, dessen komödiantische Fähigkeiten man kennt, der aber hier alles andere als souverän und locker ist.

Wie soll er auch in dieser Inszenierung, die in der eher ergebnislosen Jelinek-Übersetzung (hie und da ein Wortspiel, das nach ihr klingt) Slapstick und Lautstärke mit der Gnadenlosigkeit eines Kasernenhof-Exerzierens durchpeitscht, immer gleich gebrüllt und vordergründig schrill, ohne die Möglichkeit, hier gelegentlich über echte Menschen und ihre Nöte zu lachen – nur über stolpernde Puppen, die sich in Kunstwelten bewegen. Das Bühnenbild von Siegfried E. Mayer bietet nur Wände mit Türen – seltsame Zacken sollen den Salon bei Chandebise darstellen, pastellfarbene Querstreifen, die an irgendeine nicht ganz geschmackssichere Bonbonschachtel erinnern, das fragliche Etablissement.

Aber was sind schon die Einwände des Kritikers, wenn das Publikum sich schief lacht und das Volkstheater sicher in den nächsten Wochen und Monaten den Publikumserfolg hat, den man dem Haus und dem Ensemble von Herzen gönnt?

Renate Wagner

 

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