WIEN / Volkstheater:
DIE GOLDBERG-VARIATIONEN von George Tabori
Premiere: 04. November 2012,
besucht wurde die Vorstellung am 11. Dezember
Wer „Goldberg Variationen“ sagt, denkt, so er ein Musikfreund ist, in erster Linie an Johann Sebastian Bach. Der ältere Wiener Theaterfreund wird sich allerdings noch ein Vierteljahrhundert zurück erinnern. Damals war der große George Tabori, erst als der Leiter des Theaters „Der Kreis“, dann als First Gentleman an Peymanns Burgtheater, ein wunderbarer Bestandteil des Wiener Theaterlebens – und sehr fleißig. Er schrieb eine Menge Stücke, von denen allerdings die wenigsten überlebt haben. Seine „Goldberg-Variationen“, die nichts mit Bach, aber viel mit Juden, Gott und Tabori zu tun haben, teilen dieses Schicksal nicht. Mehr als 20 Jahre nach der Uraufführung am 22. Juni 1991 im Akademietheater (damals mit Voss und Kirchner) erlebt das Stück am Volkstheater eine höchst lebendige Auferstehung.
Es hat auch besonderen Reiz, allein schon durch das Theatermilieu, das Tabori gewählt hat, um seine Auseinandersetzung mit dem großen jüdischen Gott, mit dem er viele Hühnchen zu rupfen hat, amüsant zu thematisieren. Wie man weiß, fühlen sich im Theater Regisseure gern als Gott, während Assistenten das gequälte Fußvolk sind – und so zog Tabori kühn den Analogieschluss: Mr. Jay, der Regisseur, der mit Hilfe von Goldberg die wichtigsten Szenen des Alten Testaments auf die Bühne bringt, verkörpert außerdem Gott, im Dialog mit seinem jüdischen Volk. Das sich einerseits duckt, dann aber auch mal widerspricht – und wenn es an die Bibel geht, regnet es auch von Seiten der Darsteller Proteste (Warum, so wird etwa empört gefragt, unterhält sich Gott immer nur mit Abraham und sonst niemanden, am wenigsten den Frauen?)… Kurz, Gott hat’s nicht leicht.
Ginge es um den Katholizismus, könnte ein Gemurmel über „blasphemischen“ Umgang mit dem heiligen Buch einsetzen, aber halt, es ist das Alte Testament, die Juden und ihr Gott bleiben untereinander, dann ist alles erlaubt, und wir, die Gojim, dürfen einfach nur entzückt zusehen, wie der jüdische Witz verbal und geistig mit seinen großen Themen Pingpong spielt. Dass die Inszenierung von Stephan Bruckmeier nicht ganz so leichtfüßig ist wie der Text, hat das Publikum, das während der Vorstellung eher wenig lachte, aber am Ende heftig klatschte, offenbar nicht gestört.
Die Darsteller haben auch gar nicht versucht, sich auf den spezifisch jüdischen Tonfall (wie Cervik und Schenk ihn derzeit bei „Chuzpe“ in den Kammerspielen so souverän liefern) einzulassen, und das ist vielleicht gescheiter, denn wenn man dergleichen nicht sehr gut kann, wird es am Ende peinlich. Das Problem stellt sich nicht, wenn die Protagonisten die Rollen einfach von der Psychologie her nehmen – Rainer Frieb als überheblicher Regisseur und andererseits dann doch ein von seinen Untergebenen in Frage gestellter Gott, Ronald Kuste als liebenswert Unterdrückter, der manchmal mehr durchschaut als der große Herr… Er schlägt sich jedenfalls wacker im Namen des auserwählten, aber doch auch sehr gequälten Volks.
Claudia Sabitzer genießt es, als einzige Frau verwandlungsreich auf der Bühne zu stehen – die realistische Putzfrau Mrs. Mopp, der Superstar, die in der Rolle der Eva nicht nackt sein will, schließlich die streitbare Mitarbeiterin mit nüchtern Schweizerischem Tonfall. Thomas Bauer, Günther Wiederschwinger und Jan Sabo sind in den Rollen der drei Schauspieler, die in allerlei Bibelgewänder schlüpfen, schwankhaft geführt, was in diesem Fall nicht stört: Tabori hatte keinerlei Berührungsängste mit der Blödelei.
Wer nicht aus irgendeinem Grund religiös empfindlich ist, kann hier einen gescheit-amüsanten Theaterabend erleben. Schade, dass das Volkstheater ihn so selten ansetzt.
Renate Wagner
22. Dezember 2012, 14. und 29. Jänner 2013