Fotos: Volkstheater / Lalo Jodlbauer
WIEN / Volkstheater in den Bezirken:
AMPHITRYON von Molière
Premiere: 1.Oktober 2014
Besucht wurde die Voraufführung
Danke, liebe Volkstheater-Dramaturgie. Nach zahllosen Aufführungen der „Amphitryon“-Version des hoch geschätzten Heinrich von Kleist unter hierzulande totaler Vernachlässigung der Molière-Fassung des Stoffes, hat man diese nun endlich einmal angesetzt. Aus welchen Gründen auch immer – weil sie auf unkompliziertere Art komisch und solcherart für die „Außenbezirke“ besser geeignet sei? Es ist immer noch ein kleines Meisterstück – und es erfährt hier eine prächtige Umsetzung.
Amphitryon also, einer der großen Hahnreis der Literaturgeschichte, als Ehemann ein Zeus-Opfer, welcher sich diesmal nicht als Stier oder Schwan verkleidet, sondern als – Amphitryon, um bei dessen Gattin Alkmene zu landen. Man kennt auch das Ergebnis aus der Mythologie, es heißt Herkules. Hier geht es aber noch um dessen Entstehung bzw. Zeugung – und daran knüpfen sich letztlich bei Molière dieselben Fragen wie bei Kleist.
Denn wenn Jupiter und Merkur ihren Streich ausführen, indem sie die „Originale“ – den etwas unwirschen Feldherrn Amphitryon und dessen Diener Sosias – zeitweise ersetzen, ergibt sich die Frage nach der Identität, bzw. deren Raub, was vor allem Sosias in einer meisterlichen Szene in inneres Chaos stößt. Amphitryon wiederum begreift in größter Verwirrung nicht, wieso sich seine Frau nicht freut, wenn er kommt (weil er, von Jupiter verkörpert, nämlich gerade wegging), und was sie da von einer Liebesnacht faselt, von der er sicher weiß, dass er sie nicht genossen hat… Dienerin Cleanthis wiederum, die von Merkur in Gestalt von Sosias unbelästigt bleibt, muss kapieren, dass ihr Mann einmal unhöflich und schroff, dann wieder der bekannte Pantoffelheld ist. Was also, bitte?
Alkmene findet im (falschen) Gatten einen Liebhaber, wie man ihn erträumt (Jupiter hat ja nun wirklich Routine), versteht folglich nicht, warum er gleich darauf so unhöflich ist. Und sie keift zurück, weil alles lässt man sich ja doch nicht gefallen. Und Jupiter? Ja, der hat ein besonderes Problem: Der will nämlich nicht als Amphitryon, in dessen Gestalt er notgedrungen agiert, geliebt und anerkannt werden, sondern in seiner Götter- und Liebhaber-Eitelkeit als der ganz besondere Mann, der mehr als der Gatte ist… was Alkmene wiederum nicht kapiert.
Kurz, da ist auch im Molière-Stück genug drin an Irrungen und Wirrungen des menschlichen Herzens, an Commedia dell’arte-Verwechslungen, an Pirandellesken Fragen nach der Wahrheit und Identität und in dieser Inszenierung auch an einer echt Feydeau’schen Betrugs- und Turbulenzen-Posse: Regisseur Joachim Rathke, der sich erstmals in Wien vorstellt, hat das etwas Famoses und sehr Komisches auf die Bühne gebracht.
Der Thespis-Karren, der hereingezogen wird, verkündet, dass man hier Theater spielt (warum allerdings Ausstatter Hans Kudlich bei einem „griechischen“ Stück den Hintergrund-Prospekt mit einem ägyptischen Tempel bemalt, wissen die Götter; die Kostüme von Erika Navas sind einfach nur halb antikisierend theaterhübsch und kleidsam). Immer wieder wird Französisch gesprochen (was ein größeres Vergnügen wäre, wenn einige der Darsteller es besser beherrschten), immer wieder wird gesungen (auch das bewegt sich nicht auf vollen Höhen). Aber so, wie gespielt wird, da gibt es nichts zum Aussetzen.
Martina Stilp hat – obwohl sie sich zwischen der Maria Stuart und dem „Präsidentinnen“-Mariedl über Mangel an großen Aufgaben nicht beschweren kann – ihre bisher beste Rolle am Volkstheater gefunden. Die teils lüsterne, teils schmollende, teils tobende, teils ratlose Alkmene ist ein so reizvolles Weibchen, wie sie es noch nie sein durfte, und dabei für die Männerwelt eine wohl ebenso angsterregende wie begehrenswerte Persönlichkeit. Was will man mehr?
Bei den Herren ist es Matthias Mamedof, der als zappliger Sosias mit der drolligen Darlegung seiner Probleme haushoch den Vogel abschießt. Immerhin macht Rafael Schuchter als Merkur ihn sehr gut nach. Als Jupiter lässt Thomas Groß männliche Eitelkeit sprühen (er ist auch attraktiv genug), als Amphitryon grumpelt Roman Schmelzer männliche Ratlosigkeit angesichts des weiblichen Geschlechts. Andrea Bröderbauer spielt besser Theater als Ziehharmonika, hat es aber zwecks Musikbegleitung des Abends auf sich genommen.
Die freche, flotte, ganz auf heutige Menschen zugeschnittene Übersetzung von Nora Dirisamer rückt das Stück samt der Inszenierung ganz nahe ans Publikum. Allzu seelentief und ernst wie bei Kleist braucht man es, Ach!, nicht zu nehmen… Dafür ist es lustiger.
Heiner Wesemann