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Wiener Staatsballett in der Volksoper:
„COPPÉLIA“, 27.1.2019 – eine Lektion in Ballettgeschichte
Nur hinein in diesen historischen Puppenladen, sich ganz einem romantischen Spiel hingebend! Die liebliche Swanilda öffnet ihr Fensterchen, blickt verträumt über den noch morgendlich leeren Marktplatz ihres Dorfes, entdeckt gegenüber im Erker des Hauses des Puppenmechanikers Coppelius ein schönes, in völliger Versunkenheit lesendes Mädchen – eine lebensgroße Puppe nur. Mit sanften Walzerschritten beginnt Swanilda diesen gemütvollen Reigen durch solch eine verflossene Märchenwelt mit fröhlich auftanzender Dorfjugend, bukolischem Flair und grell surrenden Puppen. Und mit einem flotten Galopp der sich wirbelig drehenden Tänzerschar endet diese Nostalgie-Reise.
Bloß ganz, ganz wenige Ballett-Schöpfungen des 19. Jahrhunderts sind durch die Jahrzehnte in ihrer einigermaßen originalen Version bis heute überliefert geblieben. Léo Delibes „Coppélia“, 1870 von Arthur Saint-Léon für das Théatre Impérial de l´Opéra Paris choreographiert, zählt zu diesen Raritäten. Manuel Legris, Wiens Ballettchef aus Paris und französischer Tradition verhaftet, hat nun solch eine Lektion Ballettgeschichte dem Publikum der Wiener Volksoper verschrieben. Dieses sollte dankbar sein. Einerseits: Im verführerischen Melodienfluss des Léo Delibes sprudelt so manch wunderschöne Melodie, welche dem Ohr schon sehr vertraut vorkommt und in wohlige Stimmung führt. Und andererseits, hochinteressant: Schön zu merken ist, dass im Stil solch spätromantischer Ballette sich alles, alles aus der Musik heraus entwickelt. Heute, im Gegensatz dazu, steht über allem: fordernde Technik von den Tänzern, blendende Virtuosität. Aktuelles Musterbeispiel dafür ist gerade in der Staatsoper Legris´ Nachgestaltung von „Sylvia“ – ebenfalls ein musikalischer Leckerbissen von Léo Delibes.
Vorsicht, trotzdem: So wirklich spannungsgeladen mag heute diese an kleinen erzählerischen Details so reiche Geschichte doch nicht wirken. Jede tänzerische Aktion geht von einer ausführlichen Pantomime aus, und dick aufgetragen ist die Gebärdensprache anno dazumal gewesen. Pierre Lacotte, auf die Rekonstruktion historischer Ballette spezialisierter Choreograph, zeichnet für diese nachgestaltete Fassung mit überliefertem Romantik-Bühnenbild und altväterischem Flair. Choreographisch nicht tradiert ist allerdings das abschließende große Divertissement – mit allegorischem Hochzeitszug, dem berühmten ‚Stundenwalzer‘ oder mit ‚Danse de fete‘, dem festlichen Finale.
Mit kontrollierter Spielfreude geben sich die Solisten und das Ensemble diesem überwiegend sanften romantischen Bewegungsduktus mit nicht übermäßig komplizierten Schrittfolgen hin. Empfindsamkeit ist bei ihnen zu spüren: Natascha Mair als Swanilda ist in ihrer jugendlichen Natürlichkeit die ideale Braut, welche um ihren Verlobten Franz kämpft, der sich in aller Unbeholfenheit in die Puppe Coppélia verliebt hat. Mair und Denys Cherevycko, beide dezent elegant und technisch souverän, finden in ruhig gleitenden Pas zusammen. Mit ausgefeilter deftiger Pantomime hat jedoch der alte Mechanikus Coppélius, der seinen Automaten Leben einzuhauchen versucht, gegen das junge Völkchen anzukämpfen. Perfekt funktioniert dies bei Alexis Forabosco. Musikalisch nicht ganz so edel wie „Sylvia“ in der Staatsoper klingt es hier im Haus unter der Leitung von Simon Hewett, schön anzuhören ist Delibes´ Ballettmusik allzumal. Und die ganz Produktion hat am Premierenabend ihren verdienten Beifall erhalten.
Meinhard Rüdenauer