13.11.2016: Premierenerfolg für Sergej Prokofjews Märchenballett „Cendrillon“ in der Wiener Volksoper
VON DER GLÜCKSMELODIE GEFÜHRT ZUM BESELIGENDEM AMOROSO
Copyright: Ashley Taylor
Cendrillon = Cinderella = Aschenbrödel. Oder auch, in etwas vulgärerem Deutsch: Aschenputtel. Und Sergej Prokofjew benannte sein während des 2. Weltkrieges entstandenes Märchenballett auf gut russisch „Soluschka“. Diese düsteren 40er Jahre sind schon eine Zeit gewesen, in der von der früheren Unbändigkeit des jungen Komponisten kaum mehr etwas in seiner Musik zu spüren war. Lyrische Sequenzen überwiegen in diesem abendfüllenden Phantasiestück. Walzermelodien, eher melancholische, prägen sich ein. Und Prokofjew zielt im Finale auf eine Apotheose in einem Zaubergarten hin, hin zu seelischer Beglückung: Mit einem ‚Amoroso‘, einem Andante dolcissimo als Sinnbild für Liebe und tiefe menschlicher Zuneigung klingt das Märchenspiel von dem seine Erfüllung findenden Aschenbrödel und dessen weniger netten Stiefschwestern beseligend aus.
Das Wiener Staatsballett konnte mit einem großem Premierenerfolg diese frische „Cendrillon“-Version des französischen Choreographen Thierry Malandain übernehmen. Dieser kreierte seine Fassung 2013 für das von ihm geleiteten Malandain Ballet Biarritz in dieser Stadt im äußersten Südwesten Frankreichs. Es ist ein kleine moderne Kompanie, und somit ist dieses Tanzstück auch gut passend für die rund zwei dutzend Tänzer des Wiener Staatsballetts, welche für die Produktionen der Volksoper engagiert sind. Als Weihnachtsballett wird nun „Cendrillon“ angeboten …. doch so wirklich kindgerecht mag Malandains sensible wie heitere Erzählung dieses aufwändigen Märchenspiels wahrscheinlich doch nicht sein. Reduziert ist hier alles. Rund hundert Minuten pausenloser Tanz und dies ohne Charakterisierung der wechselnden Schauplätze – selbst in arabische Lande geht die Reise des Prinzen im flotten Galopp auf Suche nach seiner verschwundenen Schönen – mögen ermüden. Doch der Tanz spricht mit seiner gefühlvollen Modernität an, und mondän anzuschauen ist es ja schon, das Einheitsbühnenbild von Jorge Gallardo: 150 Paar schwarze Lackpumps, von Salamander gesponserte, Größe 41, welche von oben bis unten die farblich changierenden begrenzenden Wände schick drapieren.
Malandain erzählt mit einiger Poesie, fängt musikalisch die Stimmungen ein, und der Reihe nach gelingen ihm reizvoll ausgedachte tänzerische Episoden. Manchmal wirkt es aber doch, als ob die Musik ein bisschen mehr an klarerer Erzählung, an realistischerer Modellierung verlangen würde. Perfekt funktioniert in aktueller Manier das groteske Gender-Spielchen der ruppigen Stiefmutter (László Benedek) und den beiden dümmlich ausgelassenen Stiefschwestern Samuel Colombet und Keisuke Nejime. Eine dezent herbei schwebende Fee (Kristina Ermolenok) behütet unsere Cendrillon, und Gleb Shilov ist sowohl ein eleganter Tanzlehrer, Zeremonienmeister wie Freund des Prinzen. Die rund zwei Dutzend Tänzer der Volksoper wechseln kaum ihre Kostüme, jedoch ihre Rollen als Elfen und Ballgäste, Tanzschüler, personifizierte Jahreszeiten etc., etc. Mila Schmidt in der Titelrolle und Andrés Garcia-Torres als ihr Prinz sind in den Mittelpunkt gerückt und dürfen den großen Beifall für das ganze Ensemble zuvorderst entgegen nehmen.
Mag auch dies zu loben sein? Dass sich hier die Tänzer im Gegensatz zu ihren in der Staatsoper engagierten Kollegen nicht einer immer auch sinnvollen Hierarchie unterordnen müssen. An der Unterordnung eines Orchester unter die Leitung eines Dirigent ist allerdings kaum zu rütteln. Unter Guillermo García Calvo sind die Musiker der Volksoper jedenfalls recht gut gefahren und haben stimmungsvoll zu begleiten verstanden. Von der Glücksmelodie getragen bis zum glücklichen Ausklang des Amoroso.
Meinhard Rüdenauer