
Drew Sarich (Albin/Zaza) und Ensemble. Alle Fotos: Volksoper Wien / Barbara Pálffy
WIEN / Volksoper: Standing Ovation für LA CAGE AUX FOLLES
27. März 2022
Von Manfred A. Schmid
Auf 187 Vorstellungen brachte es die legendäre, 1991 an der Volksoper herausgebrachte Inszenierung von La Cage aux Folles, in rund 150 davon mit Karlheinz Hackl in der Rolle der Dragqueen Zaza an der Seite von Frank Hoffmann als Georges, Nachtclubbesitzer und Ehemann von Albin alias Zaza. Damit liegt die Latte sehr hoch für die Neuproduktion des Musicals, in dem das schwule Ehepaar einer großen, turbulent verlaufenden Belastungsprobe ausgesetzt wird, als Georges‘ Sohn Jean-Michel, Folge eines „Fehltritts“ von Georges, den Eltern seiner Braut die eigene Familie vorstellen will. Da der Vater von Anne ein stockkonservativer Politiker ist, wird die Lebensform des Paares, vor allem aber die Existenz von Zaza zu einem Problemfall. Wie das Dilemma gelöst werden soll, führt zu grotesk-witzigen, aber auch tragischen Entwicklungen, da sich Zaza, die sich in Abwesenheit der wahren Mutter stets wie eine liebevolle, sorgenden Mutter gegenüber Jean-Michel verhalten hat, tief gekränkt ist, als sie damit konfrontiert wird, verleugnet und ausgesperrt zu werden.
Die Premiere, so viel gleich vorweg, ist als voller Erfolg zu verbuchen. Die Inszenierung von Melissa King, die an der Volksoper erstmals nicht nur für die Choreographie, sondern auch für die Regie verantwortlich ist, erweist sich als schwungvoll und rasant, verzichtet auf billige, tuntenhafte Klischees und stellt stattdessen authentische Menschen auf die Bühne (von Stephan Prattes), an deren Schicksal man Anteil nehmen und dabei dennoch herzlich lachen kann. Man lacht aber nicht über die Dragqueen Zaza, sondern man lacht mit ihr. Das fällt leicht, weil Drew Sarich in dieser Rolle einfach großartig ist und seine langjährige Musicalerfahrung und sein Können voll einsetzt. Ein selbstbewusster Mensch aus Fleisch und Blut, mit starken Gefühlen und Überzeugungen: „Ich bin, was ich bin, und was ich bin, ist ungewöhnlich.” Punkt. Hinreißend ist Sarich bei der Probe, als es darum geht, sich wie John Wayne zu bewegen, weil Georges den Vorschlag macht, dass Zaza als Onkel Albin am Familientreffen teilnehmen könnte. Umwerfend dann der Auftritt als Mutter und schließlich als Sängerin und Tänzerin, der mit einem schlichten Lied beginnt und in einem entfesselten Auftritt als Revuestar kulminiert (Kostüme von Judith Peter). Was dann, geradezu unvermeidlich, zum Coming-Out als Dragqueen führt, als Zaza, ganz in ihrem Element, sich die Perücke von Kopf reißt.

Drew Sarich (Albin/Zaza) und Viktor Gernot (Georges).
Viktor Gernot ist ein liebevoller, bedächtiger, verständnisvoll auf die Eigenheiten des/der divenhaften Albin/Zaza eingehender, stets kalmierend wirkender Ehemann. Die echte Liebe und treue Verbundenheit des Paares steht nie im Zweifel. Dass der Kabarettstar und Entertainer Gernot ein hervorragender Sänger ist, kommt ihm in dieser Rolle ebenfalls zugute. Er und Sarich stellen ein in die Jahre gekommenes, einander eng verbundenes schwules Ehepaar dar, das beim Tanzen hin und wieder auch schon über Bandscheibenprobleme reden darf.
Oliver Liebl als Jean-Michel ist ein sympathischer Sohn, der fast vergessen lässt, wie ungehörig und verletzend seine ursprüngliche Absicht ist, Albin/Zaza gegenüber den zukünftigen Schwiegereltern zu verleugnen. Seine rührende Liebeserklärung gegenüber seiner de facto Mutter am Schluss klingt dafür ebenso überzeugend wie die Beteuerung seiner Verlobten Anne, dass sie ihn auch ohne Einverständnis ihrer Eltern heiraten würde. Ob Juliette Khalil für diese Rolle eine ideale Besetzung ist, ob sie dafür nicht von Vornherein als zu komisch abgestempelt wirkt, bleibt dahingestellt, fällt bei dieser nicht so großen Rolle aber nicht besonders ins Gewicht.
Robert Meyer verkörpert in der letzten Neuproduktion seiner Ära als Volksoperndirektor die Rolle des homophoben Politikers Edouard Dindon. Wie er schließlich, in ein Regenbogenkostüm eingezwängt, in der Revue mitwirken muss, wirkt urkomisch. Sigrid Hauser ist seine etwas frustrierte, unterdrückte Ehefrau Marie, die die erste Gelegenheit nützt, um den verkorksten Lebensprinzipien ihres Mannes zu entrinnen und singend und tanzend and der Seite von Zazas kurz die Freiheit zu genießen.
Viel Vergnügen bereiten die komödiantischen Auftritte von Juriaan Bles als Jacob, der als Butler/Zofe im Hause von Georges und Albin unablässig bestrebt ist, sein Talent als Tänzerin und Revuegirl zur Schau zu stellen, und auf ein baldiges Engagement hofft. Erwähnung verdient Martina Dorak als Restaurantbesitzerin Jaqueline. Das sing- und tanzfreudige Ensemble ist zu umfangreich und so homogen, dass es schwerfällt, einzelne Namen hervorzuheben.
Das Orchester der Volksoper Wien unter der Leitung von Lorenz C. Aichner hat, aufgestockt mit Akkordeon und Gitarre, großen Anteil am langanhaltenden, enthusiastischen Beifall. Standing Ovation inklusive. Jerry Hermans Musical ist auch heute, nach vielen Life Balls und Pride-Paraden, aktuell, stößt auf Interesse, bereitet Freude und erinnert daran: Jeder soll in seiner Fasson selig werden!
28.3.2022