Le Nozze di Figaro
Weniger ist mehr..
Volksoper, 24.5.2025, Premiere
Bebilderte Ouvertüre. Fo: kurt Vlach
Foto: Marco Sommer/ Volksoper
Es handelt sich bei dieser Produktion um eine Übernahme aus Aix-en-Provence, die die jetzige Direktorin der Volksoper, Lotte de Beer, weiland dort inszeniert hatte. Wenn man „de Beer“ liest, weiß man, dass es von ihr keine Inszenierung gibt, bei der nicht mehr oder minder dezent auf feministische Inhalte aufmerksam zu machen versucht – was manchmal gut funktioniert, manchmal auch weniger.
De Beer hatte angekündigt, dass jeder der vier Akte aus der „Sicht“ verschiedener Charaktere gezeigt wird – ehrlich gesagt, ist dieses Vorhaben in der Umsetzung nicht ganz geglückt – und ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen (aber ja – ich bin ein alter weißer Mann), dass die Susanna hauptsächlich – wie (unnötigerweise) gezeigt wird, von Sexpuppen und Penissen phantasiert. Ebenso funktioniert die doch sehr konstruierte Verbindung zwischen Barbarina und Marcellina nicht – da gibt das Libretto von da Ponte nicht viel her. Dass dann beide in ein sehr buntes Kostüm mit der Aufschrift „Love“ gesteckt werden, ist ein wenig zu konstruiert.
Es ist alles in allem eine Inszenierung, bei der man sagen muss, dass in diesem Fall weniger viel mehr gewesen wäre – die Anzahl der Einfälle war manchmal überwältigend (ich denke, dass man sich das Stück durchaus ein zweites Mal anschauen müsste, um alle Details mitzubekommen).
Apropos weniger – es erschließt sich mir nicht, dass sämtliche Logen (mit einer Ausnahme, wo zwei Personen drinnen saßen) leer waren – hat die Volksoper so viel Geld, dass man die Plätze nicht in den Verkauf brachte? Ich fand das sehr, sehr seltsam…
Aber zurück zum Geschehen auf der Bühne. Die Overtüre wurde von Omer Meir Wellber durchaus schwungvoll dirigiert, obwohl man sagen muss, dass das Orchester der Volksoper manchmal etwas derb klang (und besonders die Hörner zu Beginn nicht immer im Einklang mit den Sängern waren). Wie heutzutage oft zu sehen wurde auch die Ouvertüre mitinszeniert. In diesem Fall sah man eine Art Ballett, das in viereinhalb Minuten die gesamte Handlung des Stückes zusammenfasste – ein wirklich gelungener Einfall (wie schon oben beschrieben – an Einfällen mangelte es dieser Produktion wahrlich nicht!), der gleich zu Beginn Lust auf mehr machte!
Die Handlung wurde in die 1980er Jahre verlegt – der erste Akt zeigte angeblich die Sicht des Conte Almaviva. Man sah das Bettgemach des Ehepaars Almaviva und ein Wohnzimmer mit dem „Charme“ jener Zeit, dazwischen eine riesige Waschmaschine, die dann später beim Auftritt des Cherubino eine große Rolle spielte (Bühne – Ros Smith). Ins Auge stachen die Kostüme (Jorine van Beek), die perfekt dieser Zeit entsprachen – als ich den Cherubino im Trainingsanzug sah, hatte ich ein spontanes Flashback in die Zeit von 40 Jahren zuvor..
Sehr gut gelungen auch die Frisuren – Figaro mit der „infamous“ Vokuhila dieser Zeit (Vorne kurz hinten lang), die Frisur des Conte erinnerte mich ein wenig an den Kottan von Franz Buchrieser.
Was ich ebenfalls wirklich als sehr gelungen empfand war die Tatsache, dass – im Gegensatz zu den meisten Inszenierungen – die Figur der Marcellina als tatsächlich ältere/alte Frau dargestellt wird. Die Ähnlichkeit in den beiden ersten Akten mit Sophia Petrillo aus der damals sehr populären Serie „Golden Girls“ ist sicherlich beabsichtigt gewesen – wie De Beer auch bei anderen Figuren der Populärkultur „wilderte“ – unter anderem sah man auch Borat und Elvis…
Im 2.Akt leistet sich dann Cherubino – um den Dr. Schuster aus Bernhards „Heldenplatz“ zu zitieren – eine durchaus stattliche Erregung, was einer der gelungeneren Gags war. Ob ein dampfendes Bügeleisen schlussendlich das Mittel ist, dieser Erregung Herr zu werden, sei aber doch zu hinterfragen – aber bis zu Mitte des zweiten Akts ist es eine schwungvolle Inszenierung, die wirklich gelungen ist. Der wirklich für die Handlung des Stückes unnötige Auftritt von Elvis, der Sexpuppe & Co, der dann erfolgt, ist einfach ärgerlich – zu sehr wird von der „Haupthandlung“ abgelenkt, was insofern auch schade ist, da die Personenführung durch die Bank als exzellent zu bezeichnen ist!
Nach der Pause weicht das Bühnenbild von einer relativ opulenten ersten Hälfte einer Leere – die nur (und auch da spielt man mit der Ästhetik der 1980er) mittig im Hintergrund eine stilisierte Kammer mit Bett, die von Neonröhren umgeben ist, zeigt. Hier beobachtet die Contessa mehr oder minder teilnahmslos das Geschehen. Auch die Frisuren haben sich verändert – sie sind nun viel eleganter (auch Figaro und Susanna sind jetzt als Butler und Zofe gekleidet). Schwungvoll werden im Rahmen des dritten Aktes auch Neonbotschaften zum Thema „Liebe“ von den Mitgliedern des Chors und Jugendchors der Volksoper hin- und hergerollt, was aber weiter nicht störend ist.
Neu ist, dass Wellber das Ende des dritten Akts gleich – ohne Unterbrechung – in den vierten Akt überleitete. Überhaupt hatte der Dirigent, der die Vorstellung vom Hammerklavier aus begleitete, sich die eine oder andere musikalische Freiheit genommen. Besonders bei den Rezitativen tobt er sich aus (insgesamt hätte ich mir da mehr Stringenz erhofft) – so fanden sich unter anderem Zitate aus der Marseillaise und der „Ballade pour Adeline“ wieder (für die, die letzteres Stück nicht kennen – googeln sie „Richard Clayderman“, und wer das Ende der 1970er Jahre bewusst erlebt hat, wird das sofort erkennen).
Im vierten Akt fiel auf, dass die Arie der Marcellina im Gegensatz zu vielen anderen Produktionen nicht gestrichen wurde (gut, lt. De Beer ist dieser Akt ja de facto der Sicht dieser Person gewidmet), auf der anderen Seite aber die des Basilio sehr wohl…
Der „Giardino“ ist nett in Szene gesetzt, der aufblasbare Baum ist okay – womit ich aber tatsächlich ein Problem habe (und den Grund dazu einfach nicht verstehe) ist, dass man den Basilio in ein Kostüm steckt, das mit Stoffpenissen behängt ist (zumindest schaut das so aus) und das vorne eine riesige stilisierte Vagina hat. So sehr es der Figur eines Basilio endlich vergönnt ist, beim Ende des Stückes als einziger nicht solo zu sein, hinterfrage ich aber doch den Sinn, dass er 1) einen männlichen Partner findet und dieser 2) Cunnilungus am Kostüm praktiziert. Provokation nur um der Provokation willens? Solche „Ideen“ schaden dem Gesamteindruck der Inszenierung, die wirklich viel zu bieten hat – doch wie schon geschrieben, Weniger ist mehr…
Beim Schlussapplaus gab es für das Leading Team höflichen Zuspruch – es wahren keine Buhs zu hören, allerdings blieb auch eine übergroße Begeisterung aus.
Foto: Marco Sommer/ Volksoper
Gesanglich kann man durchaus mit dem Gehörten zufrieden sein. Daniel Schmutzhard stellte den Conte der Inszenierung angemessen überzeugend dar, seine Stimme passt zur Größe der Volksoper. Michael Avivory war ein sehr guter Figaro mit voller, dunkler Stimme. Stefan Cerny lieferte wieder einmal den Beweis, dass man auch aus kleineren Rollen sehr viel machen kann – ich habe von ihm noch nie eine schlechte Aufführung erlebt! Die Regie meinte es leider nicht sehr gut mit Timothy Fallon, der als Don Curzio und Basilio in teilweise wirklich lächerlichen Kostümen auftreten muss. Gesungen hat er seine Buffo-Partien sehr gut. Daniel Ohlenschläger ergänzte die Herren der Schöpfung als rollendeckender Antonio.
Den meisten Zuspruch erhielt Matilda Sterby als Contessa. Der Applaus nach „Dove Sono“ war länger als der von allen anderen Arien zusammengerechnet. Die Schwedin sang sehr ansprechend, allerdings war doch die eine oder andere Schärfe zu hören. Der große persönliche Erfolg sei ihr aber durchaus gegönnt!
Lauren Urquhart begann für meinen Geschmack etwas zu verhalten (Nervosität bei der Premiere?) und war beim ersten Duett mit Avivory kaum zu hören. Sie sang sich aber später frei und krönte die Partie als Susanna mit einer wirklich schön vorgetragenen Rosenarie.
Der Cherubino ist eine der dankbarsten Mozartrollen – und Annelie Sophie Müller machte das Maximum daraus. Es war meine erste Begegnung mit dieser Sängerin, die einen schönen, durchaus dunklen Mezzosopran hat (manchmal klingt der Cherubino zu hell – und erinnern wir uns an die Salzburger Inszenierung mit Harnoncourt, als Christine Schäfter als Sopran aufgeboten wurde), der viel besser zur Rolle des pubertierenden, oversexten Jünglings passt.
Die Barbarine wurde von Joyce Simmons gesungen (da kann man gespannt sein, in welche Richtung sie sich weiter entwickelt) und Ulrike Steinsky gestaltete eine sehr interessant angelegte Marcellina.
Der Schlussapplaus für für alle Protagonistinnen und Protagonisten freundlich – Matilda Sterby war eindeutig der Publikumsliebling. Obwohl die überbordende Phantasie der Regie oftmals das Publikum überfordert und unnötig ablenkt, muss ich die Produktion als insgesamt gelungen bezeichnen, doch Weniger hätte in diesem Falle durchaus viel mehr bedeutet.
Schlussapplaus. Foto: Kurt Vlach
Kurt Vlach