„Più niente…“ – La Rondine an der Wiener Volksoper, Premiere dieser Produktion am 10.04.2024
Leonardo Capalbo, Mattilda Sterby. Foto: Wiener Volksoper
Als Puccini 1913 vom Wiener Carltheater den Auftrag bekam, ein Werk für Wien zu schreiben, war er bereits ein berühmter Mann. Seine letzte Oper, La fanciulla del West hatte nun auch die USA erobert, während die Vorgängerwerke Madama Butterfly, Tosca, Bohème und Manon Lescaut seinen Ruhm in Europa bereits in Stein, ja in den Carrara Marmor des musikalischen Pantheons gemeißelt hatten. Die an ihn herangetragene Idee, eine Operette zu schreiben, lehnte er, trotz des angebotenen Honorars von 300.000 Kronen (das wären heute mehr als 2 Millionen €) schlichtweg ab. „Eine Operette, das kommt für mich nicht in Frage, eine Oper – ja: Ähnlich wie der Rosenkavalier, nur unterhaltsamer und mehr organisch“. Puccini entschloss sich schließlich dazu, die literarische Vorlage “Die Schwalbe” von Alfred Maria Willner und Heinz Reichert zu nutzen. Der erste Weltkrieg legte das Projekt zunächst auf Eis, da Italien ab 1915 als Gegner Österreich-Ungarns und des Deutschen Kaiserreichs Krieg führte und eine Aufführung in Wien somit undenkbar war. Das Werk kam schließlich 1917 in Monte Carlo zur Uraufführung. In Wien zeigte man es erst am 17. Oktober 1920; der Maestro war selbst zugegen, als La Rondine erstmals in deutscher Sprache aufgeführt wurde, und zwar in der Wiener Volksoper. Allgemein erfreut sich die Schwalbe derzeit eines Revivals, nach der spektakulären Inszenierung Pierre-Emanuel Rousseaus am Teatro Regio in Turin läuft es derzeit auch an der Scala und der Met. Und nun nahm sich auch Lotte de Beer persönlich des Werks an und zeigte es im Rahmen der Manifesto-Produktionen der Volksoper. Mit einem Blick auf die Webseite des Hauses lernen wir, daß man in diesen „über die Zukunft von Musiktheater in einer nachhaltigen, offenen und freien Welt nachzudenken“ beabsichtige, außerdem sei es das Ziel „altbekannte Routinen loszulassen, nicht zu akzeptieren, was bereits möglich IST, sondern herauszufinden, was alles möglich SEIN KANN“
Interessanterweise wird in dieser Produktion zumindest kein neues Bühnenbild produziert, denn es sind ausschließlich Kostüme aus dem Fundus, welche herangezogen werden. Nicht die schlechteste Wahl: Denn der Fundus der Volksoper ist überwiegend von visuell ansprechenden Produktionen geprägt und so sehen wir tatsächlich ein Bühnenbild, welches uns in das Paris des Second Empire entführt und zwar in den Salon Magda de Civrys. Nur ist dieser leider kein Salon in ihrem Haus (wie es das Libretto eindeutig vorsieht), sondern ein Bordell. Frau de Beer stellt hier ihre mangelnde Kenntnis der Pariser Salonkultur unter Beweis: In dieser wurde mitnichten oben ohne herumgelaufen (die Damen auf der Bühne sind mit falschen Brüsten versehen, die diese recht lustlos präsentieren), sondern über Kunst, Kultur und Politik parliert. In der Mitte des Ganzen steht ein großer Monolith, auf welchen der Text des Librettos projiziert wird. Dies wirkt leider durchaus störend, denn es lenkt vom eigentlichen Geschehen auf der Bühne ab. Im späteren Verlauf des Abends kommt diesem Monolith jedoch eine wichtige Rolle zu, denn bald sehen wir, daß das Libretto durch den Dichter Prunier quasi parallel zur Handlung erst geschrieben wird. Hinzu kommen Erläuterungen über den Seelenzustand der Akteure und ab dem zweiten Akt weitere erklärende Worte, die so nicht im Libretto zu finden sind. Denn mittlerweile schreibt Prunier nicht mehr nur jenes Gedicht, welches in der legendären Arie „Chi il bel sogno“ vertont ist, sondern dieses unter dem Eindruck von Magdas Handlungen zu einem Libretto weiterentwickelt. Doch Obacht: Dagegen wächst Widerstand beim Stubenmädchen Lisette, welche ein heimliches Verhältnis mit Prunier hat. Diese reißt mehr und mehr den Verlauf der Geschichte an sich und es erscheinen immer wieder Sätze auf dem Monolith, die Lisette anstelle Pruniers schreibt. Leider sind diese von eher einfältiger Art, wir lesen Dinge wie „Mit Dir ist es einfach geil“.
Lotte de Beer erstellt somit ein selbstreferentielles Werk: Prunier schreibt hier selbst jene Oper, die wir gerade in ihrer Entstehung sehen und wird so von Prunier zu Puccini selbst. Hierauf basiert am Ende der eigentliche Clou des Abends, der sich dann jedoch als völliger Griff ins Klo herausstellt. Denn dieser Rondine wird ein geänderter, zusätzlicher Schluss angedichtet. Anstatt im dritten Akt (vor der Kulisse einer Eisberglandschaft und überdimensionalen, zusammengeknüllten Papierblättern) Ruggero zu verlassen, macht Magda auf der Stelle kehrt. Auf dem Monolith ist nun zu lesen, daß sie keine Schwalbe sei, sondern eine Frau. Als solche sei auch nicht sie schuld an ihrem Schicksal, es seien vielmehr die „unerträglichen Männerfantasien“ die sie an diesen Punkt gebracht hätten und nun werde sie ihr Leben selbstbestimmt führen und sich nie wieder einem Mann unterwerfen. Gleichzeitig imitiert sie alle drei Tode der großen Frauen Puccinis, stirbt also zunächst auf der Chaiselongue wie Mimì, ersticht sich wie Cio Cio San und springt dann wie Tosca vom Rande des Monolithen. Dies alles in „feinster“ Slapstick Manier, die nun wirklich nur an das pubertierende Gehabe von Dorfkindern auf dem Dorfball erinnert.
Nun muss man sich doch wirklich fragen, was hier eigentlich schief läuft. Zum einen ist es unerklärlich, woher Frau de Beer wissen möchte, wie Männerfantasien aussehen, oder wie diese bei Puccini aussahen (einmal ganz davon abgesehen, dass nicht dieser das Libretto geschrieben hat). Zum zweiten muss die Frage gestellt werden, auf welcher Hybris man denn bitte schwimmen muss, wenn man meint sich über die Qualität des Lucchesen stellen zu können, so daß man auch nur ansatzweise daran denken kann, eines seiner Werke verändern zu dürfen. Solch eine Anmaßung ist mitnichten als „Zukunft des Theaters“ zu sehen, sondern schlicht inakzeptabel. Es steht Frau de Beer frei, andere Stücke zu produzieren oder selbst zu schreiben. Die eigenmächtige Veränderung von Werken jedoch ist ein absolut unzulässiger Eingriff in das Oeuvre eines Künstlers, von dem noch immer die Rede sein wird, nachdem Frau de Beer schon lange vergessen ist.
Daß sie das Werk als solches offensichtlich auch nicht verstanden hat (denn es geht hier um eine Frau die sich selbst vollkommen frei für ein Leben entscheidet) kommt genauso verschärfend hinzu, wie die Tatsache, daß sie mit der absurden, als „Feminismus“ getarnten Klamauk-Einlage zum Schluß des Abends jedwede Gleichberechtigung pervertiert und als lächerliche Clownerie darstellt.
Und zu guter Letzt ist es schlichtweg untragbar, dass Frau de Beer auf Kosten des Steuerzahlers politische Propaganda betreibt, die offensichtlich ihrer Dienstherrin von den Grünen gefällig sein soll (bekanntlich ist ja bald über die Verlängerung ihres Vertrages zu entscheiden). Hier muss klar gesagt werden: Die Idee, den Schluss von La Rondine derart zu manipulieren, war weder witzig noch originell. Sie war anmaßend, beleidigend und ein Fehltritt der Extraklasse!
In der Saison 22/ 23 verkaufte die Volksoper insgesamt 302.694 Karten. Nur 126.524 davon wurden zum vollen Preis verkauft, also gerade einmal 41,8 %. Nun ist klar warum. Wenn Frau de Beer wirklich etwas an der Kunstform Oper gelegen ist, tut sie dieser und dem Wiener Zuschauern den Gefallen und tritt gar nicht mehr für eine zweite Amtszeit an, den sie hat bereits jetzt auf Kosten des Steuerzahlers (laut Rechnungshofbericht ein Gehalt von (224,2k € im Jahr 2023) den Kahn in den Sand gesetzt.
Dass die übrigen Leistungen des Abends dieses nicht retten können ist um so trauriger: Zunächst ist da der wirklich ausgezeichnete Chor der Volksoper zu nennen, welcher bravourös das Finale im 2. Akt gestaltet, bravi an alle Chormitglieder und der Leitung durch Roger Diaz-Cajamarca! Andrei Bondarenko bringt einen exzellenten Rambaldo auf die Bühne, der abgehärtet und seelisch vereinsamt sein Leben dem Mammon gewidmet hat. Stephanie Maitland, Johanna Arrouas und Julia Koci mimen mit kleinen gesanglichen Feuerwerken die Freundinnen Magdas und erhellen damit insbesondere im ersten Akt das Szenario durch ihre gesangliche Qualität. Und Rebecca Nelsen trällert leicht und unbeschwingt wie eine Schwalbe – auch wenn sie Lisette, das Stubenmädchen Magdas singt und spielt. Wobei sich hier die Frage stellen muss, weshalb Frau Nelsen nicht die Magda gesungen hat?
Denn leider ist die Partie für Matilda Sterby noch eine Nummer zu groß: Nicht weil ihr stimmliches Timbre nicht überzeugen würde. Das ist mit einer mysteriösen Schattierung wunderbar in der Lage, die seelischen Ambivalenzen Magdas darzustellen. Doch insbesondere bei den Höhen kippt ihr Gesang dann ins Kreischen und führt zu unangenehmen Spitzen, was gerade bei „Chi il bel sogno“ besonders schade ist. Auch Leonardo Capalbo konnte das notwendige Format für die Rolle des Ruggero Lastouc noch nicht vorweisen, oftmals knödelt er und verliert sich in den tiefen Lagen, so daß er ins Unhörbare abgleitet. Bleibt das Dirigat von Alexander Joel, dem es tatsächlich gelingt musikalisch ein farbenfrohes musikalisches Fest zu erzeugen. Mit viel Finesse arbeitet er die Nuancen der Musik Puccinis heraus, die bei der Rondine hochgradig komplex sind und bringt das Haus akustisch stellenweise fast zum bersten.
Und doch, es nutzt nichts: Weder die gesanglichen Leistungen, das Dirigat oder das ganz nett anzuschauende Bühnenbild retten den Abend, der durch den völlig vermessenen und hoffärtigen „neuen“ Schluss komplett zerstört wird. Zwischen die Jubelperser im Publikum mischen sich deutliche Buhrufe, schnell leert sich der Saal. Am darauffolgenden Tag erreicht uns via E-Mail ein Newsletter der Volksoper, der mit der Überschrift „Lustig sein ist jetzt noch einfacher“ für massiv vergünstigte Karten à 25€ wirbt. Uns hingegen ist nach diesem Abend nicht mehr zum Lachen zumute.
E.A.L.