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WIEN/ Volksoper: KONTRAPUNKTE – das Wiener Staatsballett mit großem Elan auf Spurensuche

05.06.2022 | Ballett/Performance

Volksoper: „KONTRAPUNKTE“ – das Wiener Staatsballett mit großem Elan auf Spurensuche (4.6.2022)


Foto: Wiener Staatsballett/ Ashley Taylor

‚Kontrapunkte‘ steht über den neuen dreiteiligen Abend des Wiener Staatsballetts in der Volksoper. Ein etwas vager Titel und keine neuen Stücke. Doch ein interessantes Programm für Kenner: Es führt den Zuseher zurück in frühere Tage des modernen – vielleicht besser: heute noch aktuellen – Bühnentanzes. Kontrapunkte: Die jeweils spezifische Handschrift der drei hier präsentierten innovativen Choreographen. Doch mit teils durchaus ähnlichen Konformitäten. Etwa: Leere Bühne; psychische Statements oder Ästhetik pur anstatt einer spannenden Erzählung; musikalisch reduziert auf Kammermusik oder Elektronik; für kleinere Ensembles geschaffene und auf Abstraktion hinzielende Choreographien.

Somit auf zur Spurensuche: 42 Jahre zurück, nach New York. Merce Cunningham (1919 – 2009) hat zu einer Klangcollage seines Partners John Cage „Duets“ kreiert. Sechs Paare in farblich fröhlicher Kostümierung wechseln sich reizvoll in phantasiereich ausgedachten Duos ab. Als ein echter tanzender Avantgardist – über die ‘Cunningham Technique‘ wurde damals viel diskutiert – ist er seinerzeit auch im Wiener ‘Zwanzigerhaus‘ aufgetreten. Diese komplexen „Duets“ wirken heute sehr poetisch, haben in der feinen Wiedergabe bereits so etwas wie eine zeitlose Ästhetik angesprochen.

47 Jahre zurück, Londons Opera House Covent Garden: „Four Schumann Pieces“ hatte der Holländer Hans van Manen für das Royal Ballet choreographisch gedichtet. Van Manen, vormals wiederholt in der Staatsoper mit kammermusikalischen Piecen zu Gast, ist als 90jähriger wieder nach Wien gekommen … und wurde in der Volksoper gefeiert. Robert Schumann, dessen 3. Streichquartett, von Volksopern-Geigern im Orchestergraben musiziert, auf der dunklen Bühne von Davide Dato als in den Mittelpunkt gestellter virtuoser wie hocheleganter Protagonist sowie von Hyo-Jung Kang/Denys Cherevycko und Liudmila Konovalova/Alexey Popov angeführten mehreren Paaren ungemein stimmungsvoll interpretiert. Als Reflexionen über menschliche Beziehungen, zaghafte Annäherungen, ertragene Solitüde sowie doch wieder sich neu ergebende Berührungspunkte. 

Auch schon ganze drei Jahrzehnte alt, Brüssel 1992: Die Belgierin Anne Teresa De Keersmaeker (Jahrgang 1960), mit ihrer Kompanie Rosas nach wie vor aktiv, hat sich Beethovens spätes Streichquartett „Die große Fuge“ als nebensächliche Hintergrundmusik ausgewählt. Ein legerer, dabei sehr dynamischer Stil, ein nicht auf Aussage bedachter, wurde von Keersmaeker mitgeprägt. Die seelische Komponente ist nun eliminiert, ein für die Gruppe abgezirkeltes, sich wiederholendes Bewegungsspiel mit elanvollen Sprüngen wie mauem Gewälze am Boden, ganz ohne Gewicht auf tänzerische Persönlichkeit, wird nun demonstriert. Dies ist ein heute gängiges Schema, welches sowohl erfrischend vivid wie auch als ein sich wiederholender Zeitgeist-Manierismus konsumiert werden kann. Dieser wohl für eine kleinere Schicht von Ballettfreunde gedachte ‚alte Moderne’–Abend führt nun doch schon einige Jährchen zurück. Es sind feine choreographische Arbeiten. Doch die große, dramatisch allgemein berührende Erzählung, die ist diesen richtungsweisenden Kreativen nicht gegeben gewesen.    

Meinhard Rüdenauer

 

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