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WIEN/ Volksoper: GRÄFIN MARIZA. Parallelbesetzung. Ein Hoch auf die Deutsche Bahn!

21.02.2023 | Operette/Musical

20.2.2023: GRÄFIN MARIZA (Parallelbesetzung) – Ein Hoch auf die Deutsche Bahn!

Der zweite Abend der aktuellen Serie der „Gräfin Mariza“, diesmal mit der Parallelbesetzung. Darunter unter den vier Hauptpartien drei Rollendebuts. Fürs Erste vermutlich genug für einen Theaterabend, der das Interesse von Publikum und Rezensenten weckt. Doch dann erkrankt der erste Tenor, der als Tassilo sogar sein Hausdebut begehen hätte sollen, sodass man auf seinen Kollegen aus der „anderen“ Tranche zurückgreifen muss. Der hat aber am Vortag erst in Oldenburg Turiddu und Canio gesungen und sitzt zum Zeitpunkt des avisierten Beginns der Vorstellung noch im Zug der Deutschen Bahn. Sodass der Abend dennoch, sozusagen ohne Rücksicht auf Verluste, mit dem erkrankten Erstbesetzten starten muss, bis der fliegende Wechsel gegen Ende des 1. Aktes quasi auf offener Bühne vollzogen werden kann. Wobei sich bis dahin mit Alexander Geller aus Hagen nicht nur ein ausgesprochen „fescher Kampl“ mit gewinnender Bühnenpersönlichkeit präsentierte, quasi ein Operetten-Held aus dem Bilderbuch, sondern auch ein Timbre, das aufhorchen lässt, ein Tassilo, der – trotz ein paar krankheitsbedingter Kürzungen, Transpositionen und dezenter elektrischer Unterstützung – fast den gesamten ersten Akt noch angeschlagen so bewältigt, wie man es sich von manch Anderem „als ein Gesunder wünschen würde“.

Ein veritables „Event“ also, an dem reichlich Adrenalin bei allen Beteiligten das Theaterblut in Wallung brachte. Da störte es nicht, dass es ein Weilchen gedauert hat, bis man über dem Einspringer Jason Kim den ursprünglichen Tassilo vergessen mochte. Spätestens als er am Ende des 2. Aktes in der großen Auseinandersetzung mit Mariza sich auch mit der kraftvollen Höhe seines eher baritonal gefärbten Stimme ins Geschehen warf, hatte der Südkoreaner das Auditorium gewonnen. Als Mariza an „ihrem“ Haus debutierte (erstaunlicherweise erst jetzt) Julia Koci, die man in dieser fordernden Partie aus Mörbisch 2014 noch in bester Erinnerung hatte. Von der Erscheinung her geradezu ideal zwischen Eleganz und Verletzlichkeit changierend, überzeugte die Wienerin angesichts des enormen Tonumfangs, den Kalman seiner Titelheldin abverlangt, vor allem durch ihre unanfechtbare Höhe, während in der Tiefe ein wenig mehr Durchschlagskraft bzw. Textverständlichkeit nicht geschadet hätte.

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Mit ihm wollen alle nach Varasdin – Jakon Semotan als Koloman Zsupan (hier mit Juliette Khalil als Lisa) © Volksoper Wien – Barbara Pallfy

Neu am Haus ist Hedwig Ritter, die als Lisa nicht so sehr das verträumt-weltfremde Internatstöchterlein aus gutem Hause vorstellt, sondern eher eine „g’standene junge Frau“ mit Tendenz zur reschen „Ulknudel“. Zudem verfügt die sympathische Burgenländerin über eine Bombenstimme, mit der sie vor allem in die Ensembles genüsslich hineinpfeffert. Damit passt sie hervorragend zu Jakob Semotan, der als nur vorgeblicher Schweinebaron Koloman Zsupán ohnehin eine Klasse für sich ist: bestens bei Stimme, spielfreudig, ein komisches Bewegungstalent und dennoch ein authentischer Menschendarsteller. Mit ihm verfügt die Volksoper tatsächlich über einen Buffo, dessentwegen die Menschen ins Theater kommen – wie es vermutlich seit dem legendären Sándor Németh keinen mehr gab.

Toni Slama muss eher die intriganten Züge des Fürsten Populescu hervorkehren, während Volksopern-Ikone Helga Papouschek als Tante Božena selbstironisch Witz und Charme versprüht – beiden hätte man allerdings mit einem Mikrophon entgegenkommen können. Ein solches keinesfalls benötigt natürlich Annelie Peebo als nach wie vor volltönende Wahrsagerin Manja.   

Thomas Sigwald musste als Diener Penižek in die Fußstapfen seines ehemaligen und in dieser Rolle vermutlich unvergesslichen Chefs treten – eine heikle Aufgabe, die er mit Anstand bewältigte. Nachdenklich und berührend interpretierte Wolfgang Gratschmaier den Tschekko, eine Figur, die in dieser Inszenierung als „Erzähler“ bekanntlich aufgewertet ist, Emma Westerkamp beeindruckt als „das Mädchen“ mit bemerkenswerter Authentizität.

Am Pult des Orchesters der Wiener Volksoper vermittelte Genre-Routinier Alfred Eschwé, unterstützt vom Chor und den Damen und Herren des Staatsballets, was für eine prachtvolle Musik hinter oder in der vermeintlich „leichten Muse“ steckt, eine Musik, die es zumindest in den Hauptwerken eines Lehar oder Kalman verdienen würde, dass man sich bei passender Gelegenheit ihrer auch am Ring annehmen würde. (Wer es nicht glaubt, sehe sich auf youtube die Ausschnitte zur Csardasfürstin mit Netrebko und Florez unter Thielemann an.)

Und überhaupt – das dauernde Gerede über die Unzeitgemäßheit der Operette: es muss nur eine Produktion sein wie die – übrigens 2014, also in der angeblich so verstaubten Ära Meyer – von Thomas Enzinger geschaffene, an der einfach alles stimmt; die dem Werk zutraut, dass es ohne beigemengtem Firlefanz bestehen kann; und die von sich „dennoch“ zu Recht behaupten kann, eine echte, zeitgemäße Interpretation zu sein: der Jubel des im Wesentlichen vollen Hauses spricht für sich. Und dass sich unter den Zuseherinnen und Zusehern mehr junge und jugendliche Begeisterte finden als in jedem anderen vergleichbaren Haus in Wien: was sagt uns das?

Valentino Hribernig-Körber

 

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