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WIEN / Volksoper: DIE LUSTIGE WITWE

Hanna Glawari und Graf Danilo als Liebespaar im fortgeschrttenen Alter: Eine Ansage

07.03.2024 | Operette/Musical

 

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Daniel Schmutzhard (Graf Danilo), Anett Fritsch (Hanna Glawari). Alle Fotos: Volksoper  / Werner Kmetitsch

WIEN / Volksoper: DIE LUSTIGE WITWE

2. Aufführung in dieser Inszenierung (Premiere 2. März 2024)

6. März 2024

Von Manfred A. Schmid

Houston, pardon: Wien, wir haben ein Problem. Ganz so schlimm ist es noch nicht, aber der derzeitige Zustand der Operette, die zu Wien gehört wie das Gulasch zum Saft, ist alles andere als zufriedenstellend. An der Volksoper, das einzige Haus der Stadt, das als Drei-Sparten-Bühne geführt wird und damit auch der Operette einen Platz auf dem Spielplan einräumt, führt sie, seit dem Amtsantritt von Lotte der Beer, nur mehr ein ziemlich armseliges Dasein. Es herrscht akuter Pflegenotstand. Schon die Eröffnungspremiere mit Die Dubarry, weder Fisch noch Fleisch, sondern eine unglückselige Verquickung von Millöckers Operette aus der zweiten Hälfte  des 19. Jahrhunderts mit einer seichten, schlager-revueartigen Bearbeitung aus den 30er Jahren, entpuppte sich als so schwach, dass sie nur – beatmet durch den als Publikumsmagnet hinzugezogenen deutschen Entertainer Harald Schmidt und viel zusätzlichem Klamauk – halbwegs lebensfähig wurde. Es folgte Offenbachs Klassiker Orpheus in der Unterwelt, der sich eine Monty-Pythonisierung unterziehen musste, sowie die Uraufführung von Die letzte Verschwörung, die – so die Ankündigung – zeigen sollte, wie die Operette im 21. Jahrhundert beschaffen sein könnte. Wenn das tatsächlich zutrifft, dann Gute Nacht. Dieses Werk war alles andere, nur keine Operette!

Natürlich braucht dieses Genre, um überleben zu können, neue Ideen bei der Umsetzung. Dass dabei angestrebte Versuche scheitern können, gehört dazu und ist in Kauf zu nehmen. Gerade die sogenannte „leichte Muse“ ist bekanntlich eine richtig schwere Herausforderung. Wenn nun die Volksoper eine Neuproduktion von Franz Lehárs Die lustige Witwe herausbringt, ist man darauf eingestellt, dass einiges anders sein wird, als man es gewohnt ist. Zu viel mehr als für ein schon in die Jahre gekommenes Paar Mittelpunkt, Danilo und Hanna, hat es in der Regie von Mariame Clément zwar nicht gereicht, aber das ist immerhin schon etwas Bemerkens- und Anerkennungswertes. Denn es passt zu den Bestrebungen, den Jugendwahn zu unterlaufen und Seniorinnen und Senioren ein Recht auf erfüllte sexuelle Beziehungen und erotische Abenteuer einzuräumen. Besetzungsmäßig hätte man da allerdings auch konsequenter vorgehen und, statt den betreffenden Sänger und die Sängerin mittleren Alters schminktechnisch auf alt zu stylen, gleich ältere Personen auswählen können. Es gibt gewiss welche, die noch genug Stimme haben und das spielend machen könnten.  Man hört in letzter Zeit immer mehr Frauen, die sich darüber beklagen, dass sie ab 50 keine entsprechenden Rollen mehr bekommen und nur noch als Omis besetzt werden. Männern ergeht es dabei noch etwas besser. Juppi Heesters hat den Danilo bekanntlich noch als Hundertjähriger gesungen…

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Anett Fritsch und Ensemble

Anett Fritsch in der Titelrolle und Daniel Schmutzhard als Graf Danilo machen ihre Sache ausgezeichnet. Diese Hanna Glawari kann tatsächlich mit einigem Recht davon ausgehen, dass sich, ob ihres Alters, viele der Werber nur aus finanziellen Gründen für sie interessieren, was das Hayppend am Schluss dann umso glückseliger erscheinen lässt. Gesanglich eine Freude ist vor allem ihre schwermütige, sehnsuchtsvolle Wiedergabe des Vilja-Lieds.

 Schmutzhards Danilo singt „Dann geh ich zu Maxim“ so, dass man erahnen kann, dass das inzwischen nicht mehr ohne gewisse Belastungen – Hexenschüsse und dergleichen – einhergeht. Eine tragische, zum Nachdenken anregende Note hinterlässt die Szene, wenn er im – in dieser Inszenierung von der Glawari im Keller ihres Hauses als Überraschung nachgebauten – Nachtlokal Maxim sitzt, umgeben von ziemlich farblosen, apathischen  Grisetten: Ein Bild der Einsamkeit und Verzweiflung, das ihn Zukunft immer mehr heimsuchen wird und seine Devise, sich oft verlieben, selten verloben und nie heiraten, grundlegend erschüttert. Erst die Verbindung mit seiner Jugendliebe, beschworen im innigen Walzerduett „Lippen schweigen“, wird ihn vor diesem tristen Ende bewahren.

Das turbulente Geschehen in der schon ziemlich heruntergekommen Pontevedrinischen Botschaft in Paris (Bühne und Kostüme Julia Hansen) ist geprägt vom angekündigten Bankrott des Landes. Fünfzigerjahre-Ostblockcharme, brüchige Fassaden und jede Menge komödiantisch-outrierende Akteure. Viele Gags, wie etwa die wiederholt stattfindende Schnapstrinkerei oder der wandelnde Lampenschirm in der Szene mit dem Pavillon, der sich hier als eine Kiste entpuppt, sorgen für Lacher im Publikum. Die von Jakob Semotan erstellte Dialogfassung für die Volksoper, in der er sich selbst – er ist auch Njegus, der Kanzlist der Botschaft – viele witzige Interventionen zuschanzt, ist eindeutig zu wortreich und damit viel zu lang.

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Jakob Semotan (Njegus) und die mit einem Lampenschirm behütete Hedwig Ritter (Valencienne)

Witzig sind die Auftritte von Nicolas Hagg als Gesandschaftsrat und Elisabeth Schwarz als dessen Frau Sylvane, sowie das knapp an einer Eifersuchtstragödie vorbeischrammende Geplänkel zwischen dem Gesandten Baron Mirko (Szymon Komasa) und seiner auf ihre Anständigkeit besonderen Wert legenden Frau Valencienne (Hedwig Ritter). Aaron-Casey Gould aus dem Opernstudio ist ein mit hellem Tenor und Matrosenleiberl auffallender Kunstmaler.

Die bereits erwähnten tristen Grisetten sehen aus wie jüngst aus dem Balkan eingeflogene junge Damen in uneleganten Kostümen in kräftigen Farben. Eine Gruppe von protestierenden Aktivistinnen nimmt sich ihrer an. So viel Political Correctness muss heute einfach sein.

Eine Freude ist das, was unter der Leitung von Ben Glassberg vom Volksopernorchester zu hören ist. Die Walzerseligkeit klingt sehr wienerisch, und die pontevedrinischen Weisen so exotisch-romantisch, wie sie sein sollen. Der Glanz, der bei dieser Lustigen Witwe auf der Bühne vermisst wird, hier ist er zu finden und zu verspüren.

Nicht sehr langer, aber heftiger Applaus. Es hat gefallen. Die Mode gewordenen, klamaukgesättigten TV-Unterhaltungsendungen bleiben nicht ohne Wirkung.

 

 

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