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WIEN/ Volksoper: DIE FLEDERMAUS – Glücklich ist, wer das ganz schnell vergisst –

29.09.2022 | Operette/Musical

Glücklich ist, wer das ganz schnell vergisst – Vom Tod eines Stücks Wiener Kulturgut
Neueinstudierung der Fledermaus an der Wiener Volksoper
(Vorstellung vom 28.09.2022)

Egal was passierte, egal wie unstet die Zeiten waren, an der Volksoper drehte sich das Riesenrad im Walzerdelirium in Form der Fledermaus zeitlos, charmant und durch und durch wienerisch. Strauß‘ große Operette war nicht nur eine feste Säule im Repertoire des Hauses, sie war in ihrer Aufführungspraxis durch und durch wienerisch, zeitlos, deutlich besser als die traditionelle Fledermaus zum Jahreswechsel an der Staatsoper und strotze nur so vor Witz, klugen Ideen und brillanten Pointen.

Mit der aktuellen Spielzeit 22/ 23 hat nicht nur eine neue Intendanz das Haus übernommen. Lotte de Beer hat – neben einem durchaus gelungenen Einstand mit „Die Dubarry“ – auch eine „szenische Neueinstudierung“ der Fledermaus auf den Plan gesetzt. War zunächst die Rede davon, dass Maria Happel hier nicht nur die Regie führen, sondern auch die Rolle des Frosch übernehmen solle, stellte sich diese, die Neugier weckende Überraschung bald als kurzes Strohfeuer heraus: Happel sagte aufgrund „gesundheitlich bedingter Verschiebungen“ ab.

Wir wissen nicht, was in der Originalkonzeption hätte entstehen können. Was nun jedoch unter der Regie von Ensemblemitglied Carsten Süss entstanden ist, kann schlicht nur als Reinfall bezeichnet werden. Zwar blieb das Bühnenbild bis auf einige Kleinigkeiten gleich, inhaltlich hat sich jedoch einiges geändert:

Bereits im ersten Akt wurde der charmante Schmäh durch billigen Slapstick ausgewechselt. Wie wir dem Programmheft entnehmen können, soll dies die nervliche Überlastung Rosalindes darstellen. Aha. Um so erstaunlicher ist es, dass Süss selbst im Programmheft darauf hinweist, daß der Charme der Wiener Operette im Allgemeinen und der Fledermaus als „Nonplusultra der Operette“ im Speziellen in ihrer Unkorrektheit liegt, im „ordentlich unordentlichen“.

Doch davon keine Spur! Fadeste Kalauer der Kategorie Mainzer oder Villacher Fasching sind zu ertragen. Geist und Hintersinnigkeit fehlen völlig, Eisenstein soll als chauvinistischer Macho dargestellt werden, dies geht zu Lasten des Librettos und erinnert höchstens an Didi Hallervorden oder platten Klamauk der Marke Sketch-Up.

Leider lässt auch bereits der 1. Akt gesanglich die gewohnte Qualität vermissen: Carsten Süss ist stimmlich außerordentlich schwach, sein Spiel ist hölzern, ja, viel zu Deutsch, was verwundert, hat er in der Vergangenheit doch einen überzeugend wienerischen Eisenstein geben können.

Hedwig Ritter tritt ganz furchtbar in einer tragischen Weise daneben: Trotz ihres wirklich schönen Klanges bricht sie ihre Partien häufig in Gelächter oder Gegröhle ab, anstatt die Partien auszusingen, was sie zweifelsohne kann. Gesangliche Marker wären hier sicher.
Weshalb also? Soll dies proletoides Gehabe eines Stubenmädchens darstellen?
Dies wäre nicht nur hochgradig unhöflich, sondern tatsächlich außerordentlich diskriminierend, ja sogar ein erbärmliches Klischee: Das dumme, einfältige Stubenmädchen, das sich an billigstem Gehabe ergötzt.

Gleiches bei der Rolle des Alfred: Dieser wird nun als tollpatschiger Trottel inszeniert, der den Balkon hinabfällt (unterstrichen von Katzengekreische vom Band) und den Rest des Stückes mit blauem Auge herumlaufen darf.

Hier drängt sich der Eindruck auf, dass die Regie sich auf Kosten der vermeintlichen „Primitivität“ der kleinen Leute belustigen möchte. Was hochgradig wenn auch ungewollt ironisch ist, denn im zweiten Akt entfaltet sich dann das ganze Potpourri der Neueinstudierung: Hier wird offensichtlich versucht eine politische Agenda der Identitätspolitik auf die Bühne zu bringen und sich in edlem Minderheiten“schutz“ zu sonnen.

Prinz Orlofsky hat nun zwar keinen russischen Akzent mehr, ist dafür aber homosexuell und befummelt intensiv seinen Kammerdiner Igor. Das geht sogar so weit, daß beide wild fummelnd im Ballsaal des Palais ihren Begierden freien Lauf lassen – natürlich unter dem Blick aller Anwesenden.

Na bravo: Ohne Not, Tiefgang oder irgendeinem Mehrwert für das Stück hat man hier etwas dazu gedichtet, was dem Stück in keiner Weise etwas bringt. Aber egal, man kann ja ein LGBTQ Thema auf die Bühne bringen, wen interessieren schon Libretto oder die Intention eines Stücks?
Hauptsache man hat auch hier die Welt gerettet, zumindest jene von vermeintlichen Minderheiten. Der kleine Mann_Innen ist ja eh zu dumm so etwas zu verstehen. Dumm nur, dass das Haus VOLKSoper heißt und nicht WUK.

Gesanglich wird es nicht besser, Ursula Pfitzner geht in den Czardas völlig unter, ist oft nicht mehr zu hören, kann die hohen Stellen der Partie nur mit Not erreichen oder singt sie gar nicht erst. Garniert von weiterem billigen Klamauk, zieht sich der zweite Akt in unglaubliche Längen.

Schließlich zerschlägt sich auch die Hoffnung auf einen unterhaltsamen dritten Akt: Die Chance, einen weiblichen Frosch auf die Bühne zu bringen und damit wirklich etwas Brillantes, Neues und Kluges zu schaffen, wurde nicht genutzt. Im Gegenteil.

Sigrid Hausers Auftritt ist eine Mischung aus schlechtem Polit-Kabarett mit Witzen über Gender-Pay-Gap, pseudo-emanzipatorischem Gehabe (Herr Direktor, ich bin jetzt eine Frau!), Gender-Geschwurbel, uralte politische Anspielungen (Thomas Schmid Witze im Jahr 2022 – wie aktuell…) und übernommenen Schmähs aus der alten Inszenierung: Der österreichische Beamte, der in der Früh seine Ruhe haben will, ist nun eine österreichische Beamtin. Das ist fast schon originell. Nämlich einmal fast und einmal gar nicht.

Immerhin: Marco di Sapia als Frank und Daniel Schmutzhard als Falke sind durch und durch souverän, als auch heiter im Spiel und überzeugen auch gesanglich ganz wunderbar. Das Orchester der Wiener Volksoper ließ unter der Leitung von Alexander Joel durchwegs den satten, wienerisch-walzernden, fledermaustypischen Klang hören, der einen wichtigen Bestandteil der Fledermaus ausmacht.
Stimmlich waren auch Annelie Sophie Müller als Orlofsky und David Kerber als Alfred ganz herrlich, hier sind gute Sänger ans Haus geholt werden, die definitiv noch tolle Rollen liefern können.
Einzig und allein wirken sie in dieser Inszenierung fehl am Platze – was nicht an den beiden Sängern liegt, sondern an der Neukonzeption der Rollen.

Details wie die Tatsache, dass Anwalt Blind nun nicht mehr stottert (um eine mögliche Belästigung einer Minderheit auszuschließen?) fallen ohnehin kaum mehr auf, denn eigentlich möchte man schon während des zweiten Akts nur noch nach Hause und ist von dem „woken“ Gehabe auf der Bühne nur mehr gelangweilt.

Möglicherweise ist diese Neueinstudierung der Umplanung nach der Absage Maria Happels geschuldet. Wenn die Volksoper jedoch die Fledermaus als ihr Tafelsilber betrachtet, dann hat sie es mit dieser Neueinstudierung an den Zeitgeist verscherbelt. Und zwar zum billigsten Preis.

An diesem Abend ist ein Stück Wiener Kultur gestorben. Es bleibt zu hoffen, in Bälde eine vollständige Neuinszenierung erleben zu dürfen, die sich dem Stück klug und echt wienerisch nähert, damit das Stück wie Phoenix aus der Asche auferstehen kann. Eben als Rache einer nun gedemütigten Fledermaus.

Eric A. Leuer

 

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