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DER ZIGEUNERBARON – Premiere Volksoper, 29.2.2020
(Heinrich Schramm-Schiessl)
Die „Political Correctness“ ist eine der wichtigsten Errungenschaften des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sie ist ein nützliches Regulativ für das Zusammenleben der Menschen in einer immer vielfältiger werdenden Gesellschaft. In einigen Bereichen, und hier speziell in der Kunst stößt sie allerdings an ihre Grenzen. In der Kunst betrifft das jene Werke, die beereits zu einer Zeit geschaffen wurden, in denen es diese Regelungen schlichtweg nicht gab und die durch ihre Anwendung in ihrem Sinn und/oder ihrer Aussage verändert werden. Eines der markantesten Beispiele hiefür ist zweifelsohne „Othello“ – egal ob von Shakespeare oder Verdi. Othello ist ein Schwarzer, der durch hervorragende Leistungen in der Kriegsführung Eingang in eine höhere Gesellschaftschicht gefunden hat, aber gerade wegen seiner Hautfarbe dort nicht oder bestenfalls nur bedingt akzeptiert wird. Wenn jetzt der Darsteller des Othello aus Gründen der Political Correctness nicht schwarz geschminkt werden darf, dann verliert das Stück seinen Sinn. Das manchmal vorgebrachte Argument, der Zuschauer könne sich dies ja vorstellen, ist nur eine künstliche Begründung für etwas, was nicht zu begründen ist. Ähnliches gilt für den „Zigeunerbaron“. Die Zigeuner – und ich verwende hier jetzt bewußt diese politisch unkorrekte Bezeichnung – sind in diesem Stück nämlich die Guten. Bleibt noch die von manchen gefühlte Kriegsbegeisterung in diesem Werk, die vor allen Dingen den dritten Akt dominiert. Kriege waren und sind etwas Schreckliches. Umso verständlicher mag die Erleichterung über das Ende eines Krieges sein, und nichts anderes passiert im dritten Akt. Natürlich in der Form, wie sie zur Zeit der Entstehung des Werkes üblich war. Wir vergessen heute gerne, dass Operette damals ausschliesslich der Unterhaltung diente.
„Man kann dieses Werk heute nicht unreflektiert inszenieren“ sagte der Regisseur Peter Lund in einem Interview und das konnte man durchaus als gefährliche Drohung verstehen. Was man als naiv-romantische, heiter-sentimentale Operette kennt, kam hier als bleischweres Melodram daher. Das beginnt bereits damit, dass die Ouvertüre nach wenigen Takten unterbrochen wird und der Chor die erste Strophe des Zigeunerliedes singt. Für den Rest der Ouvertüre muss man sich einen Schattenspieltrickfilm über die Türkenbelagerung samt der Befreiung Wiens ansehen. Danach stellt man dann fest, dass Peter Lund den auch nicht mehr ganz neuen Trick des „Theaters auf dem Theater“ anwendet, indem der Leiter einer Wandertheatertruppe ankündigt, dass man ein Stück über das Schicksal der Zigeuner aufführen werde – also den „Zigeunerbaron“. Die Handlung nimmt dann ihren Verlauf, wobei einige Änderungen sofort ins Auge springen. Am markantesten ist, dass bei der Wahrsagerszene der Czipra die Prophezeiung für den Conte Carnero fehlt. Dadurch fällt dann auch die Erkennungsszene zwischen ihm und der Erzieherin Mirabella weg, in der sich herausstellt, daß er einen unehelichen Sohn hat – für einen Sittenkommissär natürlich besonders peinlich. Weiters fällt auf, dass Zsupan eigentlich weniger Schweinezüchter denn Fleisch- und Wurstfabrikant ist. Das ganze würde man ja alles irgendwie noch akzeptieren, würde es mit Schwung und Humor auf die Bühne kommen.
Lucian Krasznec, Kurt Rydl, Boris Eder. Foto: Wiener Volksoper
Aber es gibt praktisch weder eine Personen- noch Chorführung. Die Protagonisten stehen meist an der Rampe und der Chor zappelt wie heute üblich bei seinen Passagen. Unbedingt zu erwähnen ist natürlich der Schluss. Zu Beginn des dritten Akt verkündet der Conférencier, daß mit einer Ausnahme – Zsupan – alle am Ende des zweiten Aktes in den Krieg gezogenen Männer gefallen sind. Zsupan singt dann noch sein Couplet und damit sei das Stück zu Ende. Da das „Publikum“ auf der Bühne aber murrt, entschließt man sich doch ein Happy-Ende zu zeigen, was ich als unzulässigen Eingriff in das Libretto bezeichnen möchte. Zudem wird das Finale dann in einer bonbonhaft kitschigen Art gebracht. Das ganze spielt – wir sind ja im zeitaktuellen Theater – in einem Einheitsbühnenbild von Ulrike Reinhard. Es ist ein nach einer Seite offener Turm – offenbar die Ruine des Schlosses – der durch verschiedene Versatzstücke bzw. Beleuchtungseffekte für alle Schauplätze herhalten muß. Die Kostüme von Daria Kornysheva sind ein ziemlicher Stilmix, wobei einige (Saffi) eher wenig kleidsam sind.
Im Grunde erleben wir wieder einmal Belehrungstheater, das längst zu hinterfragen wäre, in der Operette aber überhaupt nichts verloren hat.
Man hätte ja über manches vielleicht hinwegsehen können, wäre der Abend wenigsten musikalisch zufriedenstellend gewesen. Alfred Eschwé, eigentlich normalerweise ein Garant für gutes Operettendirigat, ließ sich offenbar von der Bühne anstecken und dirigierte alles andere als einen schwungvollen Strauss. Das Orchester klang schwerfällig, zeitweise hatte man das Gefühl, als käme die Aufführung nicht vom Fleck.
Lucian Krasznec verfügt als Barinkay über eine angenehme Tenorstimme mit durchaus sicheren Höhen. Allerdings klingen diese Höhen dann meistens etwas eng. Kristiane Kaiser sang die Saffi mit etwas steifer Stimme, die in der Höhe mit einem ziemlichen Tremolo behaftet ist. Außerdem vermag sie überhaupt nicht zu berühren. Kurt Rydl als Zsupan merkt man schon deutlich an, dass er eine lange Karriere hinter sich hat. Auch bei ihm muss man ein ziemlich heftiges Tremolo feststellen. Anita Götz als Arsena klingt etwas spitz mit schrillen Höhen. Martina Mikelic (Czipra) verfügt zwar über einen schön klingenden Mezzo, fällt allerdings in der Höhe auch durch ein gewisses Tremolo auf. Marco Di Sapia, der sonst eigentlich immer auf der Haben-Seite zu finden ist, klang als Graf Homonay diesmal ziemlich fahl und flach. Regula Rosin blieb als Mirabella eher unauffällig, während David Sitka als ihr Sohn Ottokar einer der wenigen erfreulichen Momente war. Boris Eder blieb als Conte Carnero eher trocken und humorlos.
Der von Thomas Böttcher einstudierte Chor zählte ebenfalls zu den postiven Eindrücken des Abends.
Am Ende eher schaumgebremster Applaus, wobei die üblichen Premierenjubler etwas verzweifelt um bessere Stimmung bemüht waren. Aber das Regieteam kam ohne Misstöne davon.
Heinrich Schramm-Schiessl