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WIEN / Volksoper: DER ROSENKAVALIER von Richard Strauss

Große Oper im Haus am Währinger Gürtel - Warum nicht!?

05.11.2021 | Oper in Österreich
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Die Marschallin (Jacquelyn Wagner) bedrängt vom Intrigantenpaar Valzacchi (Karl-Michael Wagner) und Annina (Margarete Joswig). Foto: Volksoper / Palffy

WIEN / Volksoper: DER ROSENKAVALIER von Richard Strauss

2. Aufführung in dieser Inszenierung

4. November 2021

Kurzkritik von Manfred A. Schmid

Der Rosenkavalier an der Volksoper. Geht das überhaupt? Natürlich geht das. Und wie!

Keine Frage: Der Rosenkavalier ist eine große Oper. Aber dass große Opern auch an kleinen Häusern mit Fug und Recht – und vor allem mit Erfolg – aufgeführt werden können, hat Ihr Rezensent als Gymnasiast am Stadttheater Klagenfurt in den späten 60er Jahren dankbar erlebt: In bester Erinnerung ein Rosenkavalier mit Rolf Polke als Ochs sowie der ganze Ring. Dass dort einmal auch Helge Rosvaenge aufgetreten ist, als er längst nicht mehr singen hätte sollen, steht auf einem anderen Blatt und kommt, wie man in Wien weiß, auch an großen Häusern vor.

Nun ließe sich natürlich einwenden, dass das, was für Klagenfurt gilt, für eine Großstadt, die ein Opernhaus wie die Staatsoper hat, nicht zutreffe. Der Rosenkavalier gehöre demnach an das Haus am Ring, Martha und Zar und Zimmermann an das Haus am Währinger Gürtel: Die großen ins Töpfchen, die kleinen ins Kröpfchen. Das mag manchmal schon angeraten sein, aber ein Monopol auf die großen Opern hat das große Haus am Ring damit noch lange nicht. Außerdem hat jedes Haus sein eigenes Publikum, und wer will es dem Volksopernpublikum verwehren, in seinem Haus auch einmal eine in Co-Produktion mit der Oper Bonn entstandene – also eine speziell für eine kleine Bühnen konzipierte – Inszenierung der Richard-Strauss-Oper Der Rosenkavalier zu sehen und zu hören?

Dass dann der Fall eintreten kann, dass das Publikum zunächst nicht in großen Scharen kommt, gibt es auch an großen Bühnen, besonders wenn man vom Gewohnten, Erwarteten einmal abweicht. Das ist ein Risiko, mit dem jede Bühne leben muss. Und vom Gewohnten, Erwarteten hie und da abzuweichen, gehört zu den Aufgaben eines jeden Hauses, das etwas auf sich hält und sich einem „Kulturauftrag“ verpflichtet fühlt.

Gerade an einem Haus, das mit Oper, Operette und Musical als Drei-Sparten-Betrieb geführt wird, ist es wichtig, sich manchmal (über-)großen Herausforderungen zu stellen, um seine Leistungsfähigkeit zu prüfen – mehr noch: diese zu fordern und daran zu wachsen. Was im Übrigen auch für das (Stamm-)Publikum gilt. Das ist im vorliegenden Fall dem Orchester der Wiener Volksoper bewundernswert gelungen. Dass man die am Haus am Ring bei Vorstellungen dieser Oper gewohnten silbrigen Klänge nicht so vernimmt, mag stimmen. In der Tat geht es diesmal im Orchestergraben stellenweise nicht so fein poliert zu, sondern um Einiges aufgerauter. Aber damit bekommt man diesmal zu hören, worüber ansonsten gerne beschwichtigend hinweggebügelt wird. Denn in der Partitur gibt es – nicht nur bei den Auftritten des Ochs und seiner Entourage – jede Menge rauer, verstörender Töne. Und die schonungslos hörbar gemacht zu haben, ist ein Verdienst des erfahrenen Kapellmeisters Hans Graf. Dass dieser „1982-1995 auch an der Staatsoper tätig, aber eher geduldet denn beliebt gewesen“ sein soll, ist Hörensagen und spielt hier keine Rolle. Seitdem ist ein Vierteljahrhundert verstrichen, und man sollte einem Künstler zubilligen, dass er sich weiterentwickelt. Was zur Beurteilung seiner Leistung herangezogen werden darf, ist der momentane Stand. Allein das, was er im vorliegenden Fall zu geben imstande ist. Und das ist, angesichts der Bedingungen, gar nicht gering. Zugegeben, das Blech klingt nicht immer ganz makellos, und das Schlagwerk drängt sich zuweilen zu sehr in den Vordergrund, aber Schlüsselstellen wie die Überreichung der silbernen Rose sind von zartester Art. Dass der Regisseur Josef Ernst Köpplinger diese entscheidendste Szene der Oper hingegen total versemmelt, trifft ebenso zu wie der von ihm unzureichende gelöste dritte Akt, während ihm in den vorangegangenen Akten Vieles gut gelungen ist. Darunter vor allem die vom Herkömmlichen abweichende Figur des Ochs, der mit dem stimmlich und darstellerisch erfrischenden Stefan Cerny toll besetzt ist, sowie Köpplingers Neudeutung des komplexen Beziehungsdreiecks Marschallin – Octavian – Sophie.

Anzumerken weiters, dass Vieles dafürspricht, dass die Handlung von Köpplinger nicht in die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts versetzt wird, sondern in das Jahr der Uraufführung der Oper, 1911, als die Monarchie, zwar schon etwas müde geworden, noch existierte  und sich viele Adelige wohl gerne in die Barockzeit zurückgebeamt hätten und sich manchen Tagträumen hingaben. Ein Indiz dafür: Der alte weißhaarige, bebrillte Mann, der im Schlussakt unbeachtet an einem Tischchen sitzt, das absonderliche Geschehen in der seltsamen Bar verfolgt und laufend Notizen macht: Professor Sigmund Freud bei der Analyse einer neurotisch gewordenen Gesellschaft am Rande eines (Nerven-)Zusammenbruchs?

 

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