DER ROSENKAVALIER – Volksoper, 2. Vorstellung am 4.11.2021
(Heinrich Schramm-Schiessl)
Jaquelyn Wagner, Emma Sventelius. Foto: Volksoper/ Palffy
Den ganzen Abend über stellte ich mir wieder einmal die Sinnfrage. Warum führt die Volksoper ein Werk auf, dass einerseits ohnehin in der Staatsoper im Repertoire ist und andererseits dem Haus am Währinger Gürtel zumindest um eine Nummer zu gross ist, allein schon was das Orchester betrifft – doch davon später.
Das Haus zeigt das Werk in einer Koproduktion mit dem Theater Bonn und liegt die Inszenierung in den Händen von Josef Ernst Köpplinger. Ich schätze Köpplinger an sich sehr und hätte ihn mir, wie viele andere auch, als Nachfolger von Robert Meyer gewünscht. Seine Inszenierungen sind immer nah am Stück, er verbiegt und bricht nichts, sondern erzählt einfach die Geschichte. So auch beim „Rosenkavalier“, allerdings mit einem schweren Gedankenfehler – er verlegt ihn in die Zwischenkriegszeit, genauer gesagt in die 1920er-Jahre. Er vergisst nämlich, dass bereits Strauss und Hofmannsthal nicht bloss eine Geschichte aus der Maria Theresianischen Zeit schreiben wollten, sondern eben diese Zeit durch eine ironische Brille gesehen haben. Sowohl das Libretto, das in einer Kunstsprache mit der Verwendung zahlreicher tatsächlicher oder vermeintlicher Worte oder Redewendungen von damals verfasst ist, als auch die Musik, z.B. durch die Verwendung der Walzermelodien, die man damals noch gar nicht kannte, weisen darauf hin. Dazu kommt noch, dass sich dieser Zeitsprung mit dem Text spiesst, denn immer wieder ist von „Euer Gnaden“ , „von der Gnade Ihrer Majestät Geadelter“ oder „Eure hochfreiherrliche Gnaden“ die Rede, obwohl zu der Zeit, in der Köpplinger das Stück spielen lässt, der Adel in Österreich längst abgeschafft war, ja sogar das Führen von Adelstiteln mit einer Geldstrafe belegt wurde. Dabei hätte er solche Mätzchen gar nicht nötig, denn er besticht durch eine ausgezeichnete Personen- und Chorführung.
Das einzige was man ihm ankreiden kann ist, dass er dort, wo Strauss und Hofmannsthal explizit „grosse Oper“ wollen, diese nicht stattfinden lässt. Zwei besonders auffällige Beispiele seien herausgegriffen. Zu allererst die Rosenüberreichung, die von ihrem ganzen Aufbau her, ein grosses Ambiente verlangt. Zunächst die Rofrano-Rufe hinter der Bühne mit der Steigerung der Musik, bei der man ganz genau den Punkt erkennt, wann Octavian mit seiner Entourage mit der silbernen Rose in der Hand auftritt. Hier kommt er einfach rein, legt seinen Mantel ab und trägt die Schatulle mit der Rose, die sich Sophie selbst herausnimmt. Der zweite Moment, der total unwirksam bleibt, ist der Auftritt der Marschallin im 3. Akt. Obwohl die Musik völlig klar einen grossen Auftritt vorsieht, geschieht hier nichts dergleichen, sie kommt einfach herein.
Die Bühnenbilder von Johannes Leiacker waren für den 1. und 2. Akt durchaus ansehnlich, jenes für den 3. Akt jedoch total misslungen. Das war weder ein „gemeines Beisl“ noch eine „Wirtschaft, die den Wirten schlecht rekomandiert“. Die Kostüme von Dagmar Morell waren hübsch und kleidsam.
Kann man mit der Inszenierung trotz obiger Einwendungen leben, so wurde man mit der musikalischen Seite kaum glücklich. Der einzige, der annähernd voll überzeugen konnte, war Stefan Cerny als Baron Ochs. Er hatte mit den Schwierigkeiten der Partie kaum Probleme, weder in der Tiefe noch in der Höhe. Manch etwas vorsichtig gesungener Ton war offenbar auf eine Indisposition zurückzuführen, für die er sich vor dem 3. Akt entschuldigen ließ. Es ist leider schade, daß die Rolle in jüngster Zeit immer als unsymphatischer Fiesling gesehen wird, der er eigentlich nicht wirklich ist. Sicher, er ist ein Landedelmann mit etwas rauheren Umgangsformen, aber trotzdem eine Standsperson, die auch Symphatien weckt. Natürlich erhebt sich die Frage, ob er auch an großen Häusern mit dieser Rolle reüssieren kann, aber wenn er konsequent seinen bisher erfolgreichen Weg weiterverfolgt, könnte er einer der auch international wichtigen Interpreten sein.
Jacquelyn Wagner, eine Sängerin die bereits an fast allen großen Häusern zu Gast ist, gestaltete die Marschallin als Frau in den besten Jahren, von der man sicher ist, dass Octavian weder der erste Liebhaber ist, noch der letzte sein wird. Die Melancholie des Monologes spiegelt eher die Sorge wieder, dass Sophie das gleiche Schicksal ereilen könnte wie sie, die auch in eine Ehe mit einem älteren Mann gezwungen wurde. Ihre Stimme ist sehr schön und sie sang alles relativ problemlos, blieb aber trotzdem einiges schuldig. Emma Sventelius war ein sehr engagiert spielender, wirklich blutjung wirkender Octavian, hatte allerdings in manchen Passagen ihre Probleme. Lauren Urquhart als Sophie spielte auch sehr engagiert und kam auch stimmlich ganz gut zurecht. Allerdings fehlte ihr sowohl das schwebende Piano als auch der für die Rolle unerlässliche Silberklang. Allen drei Sängerinnen gemeinsam war der Umstand, dass ihre Stimmen zu leichtgewichtig sind und damit vieles nicht so über die Rampe kam, wie man es gewohnt ist. Besonders gelitten hat darunter das Terzett im 3. Akt, sonst eigentlich immer der Höhepunkt jeder Rosenkavalier-Aufführung.
Morten Frank Larsen sang mit etwas flacher Stimme den Faninal und blieb darstellerisch eher unauffällig. Karl-Michael Ebner war als Valzacchi weniger umtriebig als man es sonst gewohnt war, konnte aber stimmlich durchaus überzeugen. Margarete Joswig (Annina) fiel vor allen Dingen durch ein heftiges Tremolo auf. Vincent Schirmacher kam mit dem Sänger nicht wirklich zurecht. Den übrigen Mitwirkenden sei ein Pauschallob für ihre Leistung ausgesprochen. Der von Thomas Böttcher einstudierte Chor entledigte sich seiner Aufgabe mit Anstand.
Kommen wir zum Schluss zum wundesten Punkt der Aufführung, dem Orchester. Dem Dirigenten Hans Graf, von 1982-1995 auch an der Staatsoper tätig, aber eher geduldet denn beliebt gewesen, gelang es keinen Moment dem Orchester einen dem Werk adäquaten Klang zu entlocken. Jetzt ist mir schon klar, dass das Orchester der Volksoper nie den Klang des Staatsopernorchesters haben wird, aber die technischen Probleme waren nicht zu überhören. Da gab es viele Wackler und irgendwie plätscherte die Musik nebenher. Dies wurde besonders schmerzhaft beim bereits oben erwähnten Terzett spürbar, dem jeglicher kontinuierlicher Aufbau fehlte.
Am Ende eher uninspirierter Applaus mit vereinzelten Bravorufen. Erschütternd wie schlecht besucht das Haus war, im hinteren Teil des Parkett waren ganze Reihen frei oder nur von 2-3 Zuschauern besetzt.
Heinrich Schramm-Schiessl