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WIEN-Volksoper: DER KONGRESS TANZT – Heymann & Meyer & ein altwiener Allotria

21.02.2016 | Operette/Musical

Wiener Volksoper
20. 2.: 
„DER KONGRESS TANZT“ – Heymann & Meyer & ein altwiener Allotria


Copyright: Volksoper/ Barbara Palffy

Heymann & Meyer, diese beiden Namen prägen das Profil dieses musikalischen Nonsens-Spektakels rund um den historischen Wiener Kongress des Jahres 1815. Heymann ist Werner Richard Heymann, und Meyer ist nicht Dominique, der Pariser, sondern Robert, der bayerische Meyer. Somit wissen wir, wo wir gelandet sind: Nicht in der Staats-, sondern in der Wiener Volksoper. Dort ist jetzt zwar eine neue, trotzdem eine so ganz und gar nicht funkelnagelneue Operette zu sehen. Der Titel ist gut, ist ein sehr guter: „Der Kongress tanzt“. Dies ist ein feiner, ein zugkräftiger Werbeslogan für die älteren, die gestandenen Bürger (aber wohl nicht allzu intellektuellen) von Wien. Und für die jungen Wiener? Nun ja, das Wissen über Österreichs Geschichte hat sich im Bildungsprozess des Landes verflacht, versickert mehr und mehr, und mit dem Schlagwort eines „tanzenden Kongresses“ dürften wohl die Operettenfans alten Schlags aus besseren Operettenjahren in das Haus gelockt werden, um sich an dieser leicht und locker ins Ohr gehenden Schlagerparade des Werner Richard Heymann zu erfreuen. 

Heymann also zuerst. Der Name Werner Richard Heymann, 1896 bis 1961, scheint trotz zweier von ihm geschriebenen Operetten in keinem Operettenführer auf. Aber doch: Heymann ist Deutschlands gewichtigster Komponist in der Unterhaltungsbranche der 1920er Jahre gewesen. Zuerst als Kabarett-Musiker in Berlin, als ingeniöser Arrangeur von Begleitmusik zu Stummfilmen. Und dann, als Generalmusikdirektor der UFA, der Babelsberger Filmmetropole, ist er zum unschlagbaren Meister der „Tonfilm-Operetten“ geworden. Zu solchen Kinohits wie „Die Drei von der Tankstelle“ oder „Melodie des Herzens“ hatte er seine bestrickenden Schlagermelodien beigesteuert. Und, 1931, für der „Der Kongress tanzt“ von Regisseur Erik Charell mit den damaligen Stars Lilian Harvey und Willy Fritsch, Adele Sandrock, Paul Hörbiger. 1933 gelangen ihm und seiner Gattin rechtzeitige die Flucht vor den Nazis. Auch in Hollywood ist ihm hierauf eine Karriere geglückt. Die Filmmusiken zu den Ernst-Lubitsch-Klassikern „Ninotschka“ oder „Sein oder Nichtsein“, die sind von ihm komponiert. 

Ja, und 1955 hatte Franz Antels Wiener Neuverfilmung mit Johanna Matz und Rudolf Prack bei ihrem Liebesgetändel in schicker Biedermeier-Dress erneut für Schlagzeilen gesorgt. Und somit sind wir jetzt bei Robert Meyer angekommen. Der allgegenwärtige Chef im Haus stellt sich mit all seiner Spielfreude in den Mittelpunkt. Hier ist er als Regisseur wie als Darsteller des ebenfalls allgegenwärtigen Fürsten Metternich ein Drahtzieher in der ganzen leichtgewichtigen Chose. Müssen wir uns vor Metternichs Spitzel fürchten? Nicht gut zu sprechen soll er auf aufmüpfige Untertanen oder seine KritikasterInnen gewesen sein. Somit bemühen wir uns, auf die netteste Art auf dieses bunte niedliche Ringelspiel aufzuspringen.

Korrekt heißt es nun in der Volksoper zu deren „Der Kongress tanzt“–Schellackplatten-Revue: Operette in drei Akten. Nach dem gleichnamigen Film von Erik Charell. Neue Bühnenfassung von Michael Quast und Rainer Dachselt. Musik von Werner Richard Heymann. Musikalische Arrangements von Christian Kolonovits. Ein stolzes „Uraufführung“ ist am Premierenabend nicht auf dem Programmzettel gestanden.

Doch fesch gestylt gestanden und munter herum getummelt haben sich schon ziemlich viele Personen in den einfach gestalteten, doch sehr adrett anzusehenden Kongressräumen und Boudoirs von anno dazumal (Bühne: Eva-Maria Schwenkel,  Kostüme: Gertrude Rindler-Schantel).  Ein gewisser Wellington (Wolfgang Gratschmaier) ist hier zu finden, ein gewisser Talleyrand (Marco Di Sapia), ein General von Piefke (Bernd Birkhahn) sowie diverse originelle Gesandte (Franz Suhrada, Gernot Kranner). Und zu deren zwischenmenschlicher Betreuung wird eine Komtesse (Ildiko Babos) aufgeboten. Sie alle, wie auch König August von Sachsen (Axel Herrig), bleiben nur sanft polternde Stichwortebringer.

Metternich ist hier der klare Chef, und Robert Meyer ist sich schon sehr genau bewusst, wie mit all dieser durchaus sympathischen Mischpoche umzugehen ist. Kämpft nicht gegen Freimaurer, sondern sucht auch Russlands Zaren Alexander unter seiner Kontrolle zu halten. Müssen wir dem Zaren dies als argen Fehltritt vorwerfen, sich bloß mit der biederen Handschuh-Christel (Anita Götz) ein Gspusi anzufangen? Von verflossenem Spielfilm-Sentiment ist dabei so gar nichts zu spüren. Doch Boris Eder in der Doppelrolle des Zaren wie des seines im Gefolge mitgebrachten und dem Wodka (hier wohl dem Wein) ergebenen Doppelgängers Uralsky bietet als hilflos Besoffener köstliches Unterhaltungstheater. Ja, und so finden wir, um nicht andere fesche Spielgefährtinnen zu übersehen, Agnes Palmisano als stilsicher kultivierte Heurigensängerin, Renée Schüttengruber und Regula Rosin als Damen von adeligem Geblüt. Und weiter, tanzend oder auch nicht: Michael Havlicek als Metternichs Faktotum Pepi, Thomas Sigwald als des Zaren gefügiger Adjutant, Fritz von Friedl (Wiens derber Bürgermeister) und Nicolaus Hagg (Finanzminister). Sie alle sind gut und und schwungvoll unterwegs, doch so richtig witzig und geistvoll dürfen sie sich doch nicht ihren Konversationen hingeben.

Dazu noch ein bisschen Tanz in der ansprechenden Choreographie von Florian Hurler; insgesamt für eine Revue aber wohl zu wenig auflockernde Nummern. Und eingestreut, gerade passend oder weniger, doch von Christian Kolonovits stimmig eingerichtet und dirigiert, erfreuen der Reihe nach die Evergreens des Werner Richard Heymann. Bitte, bei solchen Schlagern wie „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder“ oder „Das muss ein Stück vom Himmel sein, Wien und der Wein“ muss wohl Hochstimmung im Haus aufkommen.

Kurz und bündig kommen wir doch noch zum Problem dieser Produktion: Einen Spannungsbogen, gibt es den? Solch einer fehlt total, den ganzen Abend lang und trotz so mancher Kongress-Turbulenzen. Die Dramaturgie eines Filmes mit seinen Stimmungswechsel und Bildersequenzen ist nicht die einer Bühnenshow. Hier werden auf der Drehbühne gleichsam wie auf einem Ringelspiel dem Publikum die wechselnden Protagonisten der abfolgenden Szenen oder Szenchen hereingereicht. Das Genre wird dabei getroffen, doch die Handlung bleibt trotz einiger Gustostückerln und den einschmeichelnden alten Edelhadern völlig uninteressant. Oder, anders gesagt, aus heutiger Sicht, für gestandene wie vielleicht doch auch etwas jüngere Wiener: „Du bist das süßeste Mädel der Welt“, nicht allzu geistreich ins Ohr geflüstert, nützt dies in solch einer kulturellen Umbruchszeit wie heutzutage noch etwas?

Meinhard Rüdenauer
 

 

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