WIEN / Volksoper: ALMA
2. Aufführung in dieser Inszenierung (Premiere 26.10.24)
31. Oktober 2024
Von Manfred A. Schmid
Wie ist aus der jungen Alma Schindler, Tochter des Wiener Malers Emil Jakob Schindler, die von Alexander Zemlinsky in Komposition unterrichtet wurde und sich vorgenommen hatte, als erste Frau „ eine wirklich gute Oper zu komponieren“ und „etwas sein und werden wollte,“, jene berühmt-berüchtigte femme fatale geworden, die jahrzehntelang als umschwärmte Salondame mit ihren Ehen und Affären mit bedeutenden Künstlern die Klatschspalten füllen sollte? In Alma, ein Auftragswerk der Volksoper Wien, vor wenigen dort Tagen uraufgeführt, gehen der israelische Librettist Ido Ricklin und die ebenfalls aus Israel stammende Komponistin Ella Milch-Sheriff dieser Frage nach und finden die Antwort in Almas traumatischen Erlebnissen mit ihren Kindern und schließlich wohl in dem von ihrem ersten Mann Gustav Mahler über sie verhängten Komponierverbot. Diesem hatte sie allerdings zugstimmt, war es doch eine Bedingung für ihre Verehelichung mit dem 20 Jahre älteren, angesehenen Direktor der Wiener Hofoper und Komponisten, dessen Werke ihr gar nicht gefielen, wie sie ihn wissen ließ. Noch verwunderlicher ist, dass sie, eine deklarierte Antisemitin, nicht nur mit Mahler, sondern später auch mit Franz Werfel eine Ehe einging.
Die Oper beginnt aber 1935 mit dem Begräbnis ihrer Tochter Manon, ihr Ein und Alles, aus der Verbindung mit dem Architekten Walter Gropius, Begründer des Bauhauses. Ein kurzes Zitat aus Alban Bergs Violinkonzerts, das er ihr, „dem Andenken eines Engels“, gewidmet hatte, ist in die Trauermusik eingearbeitet, die ansonsten aber eher vom aufgeregten Getuschel der Menschen geprägt wird, als sich herausstellt, dass Alma nicht anwesend ist, was auch schon früher, bei Begräbnissen zweier weiterer Kinder, der Fall war. Alma trauert zu Hause, ruft verzweifelt nach Manon (berührend Lauren Urquhart), die als Wiedergängerin, von violetten Schmetterlingen umschwirrt, erscheint und aus ihrem kurzen Leben erzählt.
Die Oper spult das Leben Almas ab diesem Ereignis zurück bis zu ihrer ersten Ehe mit Mahler. Ausgangspunkte sind jeweils die verlorenen Kinder. Über sie kommen ihr Väter nach und nach ins Spiel. Der 2. Akt spielt 1918 und ist dem Sohn Martin (Christopher Ainslie in gespenstischer Aufmachung, mit Luftballons in der Hand, als Bild für seinen Wasserkopf) gewidmet. Martin kommt, durch einen heftigen Liebesakt Almas mit Franz Werfel ausgelöst, von dem sie schwanger ist, als Frühgeburt zur Welt und stirbt noch im ersten Lebensjahr an Gehirnwassersucht. Werfel (Timothhy Fallon) geht wie ein von Sadomaso-Trieben gepeitschter Gnom, mit quietschender hoher Tenorstimme, seinen Lüsten und dem unersättlichen Verlangen nach. Gropius, zu diesem Zeitpunkt noch mit Alma verheiratet, aber zunehmend entfremdet, ist der einzige ihrer Männer, der nicht singt, sondern als eleganter Tänzer in Erscheinung tritt Ein großartiger Einfall, den etwas kühlen Architekten (Florian Hurler) vor im Hintergrund projizierten geometrischen Mustern unbeirrt und unaufhörlich tanzen zu lassen.
Im beklemmend anmutenden 3. Akt hat Alma kurz nach Mahlers Tod eine Affäre mit dem Maler Oskar Kokoschka (energisch und besessen Martin Winkler). Der exzentrische Künstler, besitzergreifend, von Eifersucht und Kontrollzwang gehetzt, flippt völlig aus, als er von der Abtreibung des gemeinsamen Kindes erfährt. Eine von ihm angefertigte, riesengroße Alma-Puppe dient in seinem Wahn als Ersatz für die Geliebte, während Alma. mit dem Embryo (Hila Baggio) per Nabelschnur verbunden, davor herumtanzt, bis sie die Nabelschnur kappt. Dass der als „Oberwildling“ verschriene Kokoschka bei seinem ersten Erscheinen mit Almas Tochter gemeinnsam ausgerechnet das Liedchen „In Frühtau zu Berge“ trällern muss, passt überhaupt nicht zu ihm. Da dürfte die Komponistin oder der Librettist falsch beraten worden sein.
Im letzten Akt steht Mahler im Mittelpunkt. Alma erwartet 1902 ihr erstes Kind. Maria kommt in einer traumatischen Steißgeburt zur Welt. Mahler (nobel und ernsthaft Josef Wagner), dessen 3. Symphonie in Krefeld zur Aufführung kommt, wird als Komponist immer berühmter und widmet sich ganz der Musik, während Alma in tiefe Depressionen versinkt und ihre Komponiertätigkeit vermisst. Anna, die zweite Tochter, kommt auf die Welt, und im Sommer 1907 erkrankt Maria (Laetitia Arztmann) an Diphterie und stirbt. Hier verliert die gekonnt orchestrierte, eklektizistisch angelegte Musik von Ella Milch-Sheriff ihre Eigenart und wird zu einem musikalischen Fleckerlteppich: Mahlers 3. Symphonie geht in weiterer Folge in mahlerische Paraphrasen über, die zuweilen schon mehr nach Richard Strauss klingen, man hört Zitate aus Mozarts FIgaros Hochzeit, inklusive „contessa perdono“ und auch Bachs „Erbarmen“ aus der Matthäus Passsion. Etwas zu viel des Guten und zu wenig des Eigenen. Und dramaturgiscgh etwas zu langatmig.
Dennoch ist diese neue Oper musikalisch weitgehend gelungen und durchaus wienerisch durchflutet. Das beginnt schon mit der charakteristischen Heurigenmusik am Anfang als Lokalkolorit und wird unter der musikalischen Leitung von Omer Meir Welber am Pult des Orchesters der Volksoper sowie des Bühnenorchesters der Staatsoper auch gut umgesetzt. Anette Dasch, die viele Kostümwechsel und einige Fatsuits (Kostüme Alfred Mayerhofer) über sich ergehen lassen muss, ist eine auch darstellerisch imponierende, letztlich schwer zu begreifende Alma. Annelie Sophie Müller, Almas ungeliebte Tochter, ist von Anfang fast immer anwesend, steht stets in einem Spannungsverhältnis zu ihrer Mutter, verbirgt sich oft hinter ihrer Arbeit an der Skulptur, einer Büste ihres Vaters, die sich dann am Schluss, als sie umgedreht wird, überraschend als Alma erweist, an der sie sich ein Leben lang abgearbeitet hat. Eines der vielen feinen Details der gelungenen Inszenierung von Ruth Brauer-Kvam. Die Bühne von Falko Herold kombiniert ein Künstleratelier mit einer Remise, in der auf Schienen die verstorbenen Kinder Almas auf wunderliche Gefährten hervorkommen, einen Bogen machen und wieder verschwinden. Ein unseliger, ewiger Kreislauf, der Alma wohl bis an ihr Ende verfolgt haben dürfte.
Ob Ido Ricklin und Ella Milch-Sheriff damit das Rätsel rund um Alma gelöst haben? Darauf kommt es nicht an. Es ist jedenfalls eine gut argumentierte und in dieser Inszenierung hervorragende vorgeführte Variante. Warum aber hat Alma nach Mahlers Tod nicht wieder als Komponistin zu arbeiten begonnen. Wer oder was hätte sie daran gehindert?
Das Haus ist auch bei der zweiten Vorstellung gut besucht. Kräftiger Applaus.