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WIEN / Vienna’s English Theatre: BLACK TIE

19.03.2013 | Theater

WIEN / Vienna’s English Theatre:
BLACK TIE by A. R. Gurney
European Premiere
Premiere: 19. März 2013

Rund um Hochzeiten muss scheinbar alles schief gehen, das scheint ein unumstößliches Gesetz des Lebens zu sein und kann folglich als Situation auch bestens im Theater angewendet werden. A.R. Gurney tut es in seinem Stück “Black Tie”, das gerade einmal zwei Jahre alt ist und von Vienna’s English Theatre als europäische Premiere nach Wien geholt wurde.

Bei A.R. Gurney kann nicht viel passieren – der Vielschreiber ist ein absoluter Routinier des „gut gemachten Stücks“. Eigentlich hätte sich der Autor, Jahrgang 1930, schon 1988 zur Ruhe setzen können: Damals kam ihm die Genieidee, in einem schlichten Brief-Gespräch, das zwei Schauspieler an zwei Tischen lesen können, zwei Leben nachzuzeichnen: Das heißt „Love Letters“ und wird seither landauf, landab von den besten Schauspielern verkörpert, allein in Wien hat man es mindestens ein halbes Dutzend Mal gesehen (auf Deutsch und am besten interpretiert von Michael Heltau und Ursula Lingen). Kurz, Gurney versteht sein Handwerk, und das zeigt sich auch an „Black Tie“.

Ein Hotelzimmer irgendwo in den Bergen, fünf Personen: das Ehepaar, das dem Sohn hier die Hochzeit ausrichtet, wobei man sich bei den Vorbereitungen zu dem findet, was man hierzulande „Polterabend“ nennt (der englische Begriff lautet „rehearsal dinner”), also die Party davor. Neben den Eltern treten noch auf: die Tochter, die ein paar Schreckensmeldungen parat hat (hysterische Brautjungfer bringt die ganze mühevoll geplante Tischordnung durcheinander, der Ex-Mann der Braut ist aufgetaucht, ein Stand-up-Comedian, der eine Show abziehen will, was die Rede des Vaters des Bräutigams gänzlich unerwünscht macht), der Sohn, der vor der Hochzeit die obligaten kalten Füße bekommt – und ein Geist.

Die gibt es auf dem Theater, den Geist von Hamlets Vater oder die toten Ehefrauen, ob bei Raimund, ob bei Noel Coward: Hier ist es der Geist des verstorbenen Vaters von Brautvater Curtis, und was das Stück – neben schwankhaften Hochzeits-Turbulenzen – eigentlich behandelt und aussagen will, ist die Frage nach der Tradition (tatsächlich fast im Sinn des guten, alten Tevje…). Curtis will zur Hochzeit des Sohnes, zu der alle anderen in zerfetzten Jeans erscheinen, wie es heute üblich ist, den dunklen Abendanzug und die schwarze Krawatte seines verstorbenen Vaters tragen, wie es so lange Sitte war. So lange? Gewiss. Aber heute noch?

Und während der Geist im Designeranzug, tadelloser Haltung, gepflegter Sprache und einer ermüdenden, wenn auch interessanten Fülle von Zitaten aufwartet, wird er von Sohn Curtis einerseits grenzenlos für seine Haltung und seinen Stil bewundert, den er unerschütterlich predigt und erhalten wissen will. Gleichzeitig findet sich Curtis auf der anderen Seite von seiner Familie gedrängt, die seine Wendung ins Gestrige nicht mitansehen will. Was nun?

Man bleibt mit der Problematik zurück: Was schulden wir der Vergangenheit, was der Gegenwart? Was verlieren wir an gutem Alten, wenn wir dem Zeitgeist alles preisgeben? Wie unabdingbar ist die stete Anpassung an das Neue? Am Ende wird es – trotz des leichtfüßigen, pointierten, boulevardesken Dialogs – fast eine ernsthafte Werte-Diskussion, wobei uns der Autor nicht des Nachdenkens enthebt, denn er wird nicht sagen, was er für richtig hält. Curtis muss in Fragen seines Anzugs zur Hochzeit seines Sohnes über mehr entscheiden als nur ein Kleidungsstück…

Ein klassisches Well-made-Play, das man sich so richtig „hoch“ besetzt vorstellen könnte – Gary Raymond, der Geist von Curtis’ Vater, sieht ein bisschen aus wie Sean Connery, das wäre doch eine Besetzung! Aber es ist lächerlich, den Darstellern im English Theatre vorzuwerfen, dass sie nicht die großen Stars sind, die das Stück verlangen würde, um wirklich zu glänzen. Denn tatsächlich machen alle ihre Sache sehr gut: Martyn Stanbridge als unentschiedener Curtis, Amanda Osborne als seine Gattin (an diesen beiden gießt der Autor auch seine Satire über die „Scheiß-Liberalen“ WASPs, die aus Todesangst, politisch unkorrekt zu sein, alles toll finden, auch eine Neger-Vietnamesische-Peruanische Mischung als Schwiegertochter), Madeleine Knight als Tochter mit den schlechten Nachrichten und Danny Mahoney als Sohn am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Das findet, inszeniert von Brooke Ciardelli, in einem äußerst stimmungsvollen, hölzern-ländlichen Bühnenbild von Sue Mayes, absolut das Interesse des oft verständnisvoll lachenden Publikums.

Renate Wagner

Noch bis 27. April 2013, täglich außer Sonntag

 

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