Wien überrascht manchmal sogar die Wiener – 09.09.2013
von Ursula Wiegand
Wien verwandelt sich und überrascht manchmal sogar die Wiener. Stadtteile, die früher eher unbeliebt waren, werden durch Renovationen und Neubauten plötzlich „in“. Dabei bewahrt Wien seine Traditionen, entwickelt aber laufend mehr Mut zur Moderne.
Donaukanal, Bauten von Heinz Neumann und Jean Nouvel. Foto: Ursula Wiegand
Die anfangs mitunter als sehr futuristisch empfundenen Hochhäuser am Donaukanal – konzipiert von Hans Hollein, Heinz Neumann und Jean Nouvel – gehören inzwischen zum „Altvertrauten“. So mein Eindruck als Besucherin.
Noch weit länger vertraut ist den Wienern das „Haus des Meeres“ in einem ehemaligen Flakturm am Fritz-Grünbaum-Platz (U 3 bis Neubaugasse). Hier hat man sich etwas einfallen lassen und obendrauf ein gläsernes Café gebaut.
Haus des Meeres mit Glascafé. Foto: Ursula Wiegand
Zunächst wird an diesem Donnerstag, dem 12. September, im darunter befindlichen 10. Stock das neue Hammerhai-Becken eröffnet, im Laufe des Freitag dann das Café darüber in Betrieb genommen, lautete die Auskunft. Am Wochenende läuft dort dann sicherlich alles rund.
Doch bloß keine Furcht oder Vorfreude! Der Boden des Cafés ist undurchsichtig. Beim Kuchenessen gibt es also keinen Blick auf hungrige Haie. Stattdessen aber eine Sicht in das Viertel und darüber hinaus.
Nora Kreimeyer kocht im Bistro Mamsell. Foto: Ursula Wiegand
In der Gumpendorfer Straße tut sich ebenfalls einiges. Gegenüber der Apotheke „Saint Charles“ (Nr. 30), die stark auf Naturprodukte setzt, hat im Sommer in der Nr. 33 das „Mamsell“ der Saint Charles Alimentary eröffnet, ein kleines Bistro neben einem Antiquariatsladen. Hier kocht Nora Kreimeyer, aber nichts Antiquiertes, sondern eine frische und gesunde Gemüsepfanne.
Leider kommt das für uns nicht infrage, haben wir doch gerade im Café „décor“ der Porzellanmanufaktur Augarten einen stattlichen Apfelstrudel genossen.
MuTh – Konzertsaal der Wiener Sängerknaben. Foto: Ursula Wiegand
Andererseits gab es – noch im August – leider keine Gesangskostprobe der Wiener Sängerknaben in ihrem neuen MuTh-Bau am „Augartenspitz“. Doch schon ein Blick in den Konzertsaal mit seiner ausgetüftelten Wand- und Deckengestaltung lässt ahnen, wie außerordentlich gut hier die Akustik sein muss.
Ein außerordentliches Unterfangen von ganz anderen Dimensionen – nämlich 1 Mrd. Euro – stellt der neue Hauptbahnhof dar. Zwar nervt der momentane Umsteige-Parcours rund um den Bau, ist aber eine geringe Mühe im Vergleich zu den Vorteilen. Dieser dringend benötigte Durchgangsbahnhof ist Wiens neue Drehscheibe zu den Nachbarländern.
Wiens neuer Hauptbahnhof. Foto: Ursula Wiegand
Beim Blick vom 66,7 m hohen Aussichtsturm „bahnorama“ beeindruckt vor allem die formschöne Dachkonstruktion, geplant von den Wiener Architekten Albert Wimmer und Ernst Hoffmann (geb. in Wels) sowie vom Büro Theo Hotz, Zürich.
Wie Donauwellen, wenn auch von etwas eckiger Art, schwingen sich die leicht geneigten Trapezflächen elegant über die Gleise. Von der Turm-Plattform sind auch die Baufortschritte beim neuen Stadtteil Belvedere am Hauptbahnhof zu erkennen, während sich die Karlskirche und der Stephansdom an diesem Tag im Nebel verstecken.
Ein weiteres Riesenprojekt ist nach knapp 4jähriger Bauzeit weitgehend vollendet: der neue Campus der Wirtschaftsuniversität, kurz WU-Campus, nahe dem Prater und der Messe Wien. Damit ist dieses größte europäische Uni-Bauvorhaben pünktlich fertig geworden, selbst wenn bei meinem Besuch am 26. August stellenweis’ noch gewerkelt wurde und einige Bauzäune noch nicht beseitigt waren.
Darüber hinaus wurde der veranschlagte Kostenrahmen von knapp 500 Millionen Euro eingehalten. Als Berlinerin erscheint mir das (angesichts der kostspieligen Verzögerungen bei unseren Großbauten) fast wie ein Wunder. Applaus für diese Punktlandung!
Doch nicht nur dafür. Renommierte Architektenbüros aus aller Welt haben hier ein Vorzeigeprojekt realisiert, haben ein hoch interessantes, sehenswertes und sicherlich auch funktionstüchtiges Ensemble für 25.000 Studierende geschaffen. Locker reihen sich die einzelnen Gebäude, jedes hat seinen eigenen und eigenwilligen Stil. Im Übrigen gibt man sich international und benennt die Bauten auf Englisch.
TeachingCenter, BUSarchitektur ZT GmbH, Wien. Foto: Ursula Wiegand
In warmem Braun falten sich die Gebäudeteile des „Teaching Center“ vom Architekturbüro BUSarchitektur ZT GmbH, Wien.
Learning Center von Zaha Hadid Architecture, Hamburg. Foto: Ursula Wiegand
Gleich daneben bzw. dahinter das „Learning Center“ von Zaha Hadid Architecture, Hamburg, dessen Dachgeschoss wie ein Pfeil über die unteren Etagen hinausragt.
Departmentgebäude 2 von Hitoshi Abe, Sendai. Foto: Ursula Wiegand
In strengem Schwarz-Weiß hat Hitoshi Abe aus Sendai (Japan) das „Students Center“ und das „Departmentgebäude 2“ (ein skurriles Zweisprachenwort) gestaltet, beide Bauten jedoch durch einen wellenartigen Schwung aufgelockert. Auf hell-dunkel setzt auch das Architekturbüro Estudio Carme Pinós S.L. Barcelona bei ihrem „Departmentgebäude 4“.
Departmentgebäude 3 von CRABstudio, London. Foto: Ursula Wiegand
Gegenüber jedoch, in grellem Bunt, das „Departmentgebäude 3“ und die „Administration“ von CRABstudio, London. Als Gag verbleiben die Gerüste an den Fassaden, wirken aber sonderbar. Oder dachten die Planer bereits an spätere Reparaturen?
WU-Campus, Executive Academy. Foto: Ursula Wiegand
Wesentlich feiner wirkt die relativ kleine, kantige und vorwiegend dunkle „Executive Academy“ von NO.MAD Arquitectos, Madrid. Sie steht am Ende oder Anfang des WU-Campus, je nachdem, von welcher Seite sich Studenten und Besucher nähern. Die Spanier haben zwei Würfel schräg gegeneinander gesetzt und erzielen damit einen modernen, aber gediegenen Eindruck..
Learning Center von Zaha Hadid, innen. Foto: Ursula Wiegand
In das „Learning Center“ der Stararchitektin Zaha Hadid gehen wir hinein und sind sogleich begeistert. Welch eine fantasievoll fließende Gestaltung der großen Halle, fast ohne Ecken und Kanten und mit gekonnter Lichtführung! Schräge schlägt hier den rechten Winkel, zumindest optisch. Insgesamt entsteht ein Raumerlebnis, das nicht einschüchtert, sondern in seiner Harmonie alle willkommen heißt, die ab dem Wintersemester hier lehren und lernen.
Vermutlich werden bald Architekten und Bauleute aus aller Welt anreisen, um diesen Campus zu bestaunen, diese überzeugende, international geprägte Gemeinschaftsarbeit zu Gunsten der Jugend. Die Rendite wird sicherlich auch nicht ausbleiben.