WIEN / Wiener Theaterkeller: Lotte-Ingrisch-Abend DIE 7FACHE LOTTE mit Musik
29. November 2024
Lotte Ingrisch (1930 – 2022) ist ein Leben lang von ihrer schier unerschöpflichen Phantasie getragen worden. Das poetische Denken der Wiener Autorin (Erfolge u.a. im Theater: Vanillikipferln, Damenbekannschaften; Opernlibretti: Jesu Hochzeit, Tulifant; Romane: Amour noir; Sachbücher: Reiseführer ins Jenseits) ist in die ansehnlichsten, merkwürdigsten Höhen gestiegen. In einem unter der Obhut der Internationalen Gottfried von Einem und Lotte Ingrisch Gesellschaft veranstalteten, höchst aufschlussreichen und amüsanten Abend im legendären Wiener Theaterkeller wird die enorme Bandbreite ihres literarischen Schaffens aufgezeigt, garniert mit Klaviermusik und Liedern ihres Gatten Gottfried von Einem, zu denen sie die Texte beigesteuert hat.
Das Konzept und die Textauswahl für diesen zum Sinnieren anregenden wie auch unterhaltsamen Abend stammt von Lore Sexl, unter Mitarbeit von Elisabeth Grossegger. Der dafür ersonnene Titel „Die 7fache Lotte“ spiegelt die Vielfalt ihrer Interessensgebiete wider und wird von den Rezitatorinnen Adeline Grossegger und Kathrin Körber mit dezentem Charme wachgerufen. Zu jeder der mit erhellenden, oft auch provokanten Zitaten vorgestellten Facetten ihres Schaffens werden auf einer Staffelei abwechselnd vergrößerte Porträts der Verfasserin präsentiert. Auch die Rezitatorinnen verleihen jeder der sieben Episoden mit farbenprächtig abgestimmten Schultertüchern ein eigenes Gepräge. Manfred A. Schmid, Präsident der Gesellschaft, weiß Ingrischs offene Weltsicht zu schätzen: „Sie hatte keine Scheu davor, die Wirklichkeit immer wieder in Frage zu stellen und zeichnete sich auch dadurch aus, selbst über sich lachen zu können.“ Neben schöpferischer Lust sei vor allem der Mut eine wichtige Eigenschaft gewesen, die sie mit Gottfried von Einem verbunden habe. Deshalb wurde der Abend auch musikalisch mit dem „Klavierstück Nr. 4“ aus Gottfried von Einems op. 3 aus den Jahr 1943 eröffnet. Eine freche, jazzige Komposition des 25-jährigen Componisten, der sich darin unverfroren über alle pseudoästhetischen Richtlinien der Nazidikatur (Jazz als „Negermusik“) hinwegsetzt. Der Pianist und gesuchte Liedbegleiter David Hausknecht verfügt über den jugendlichen Schwung und die technische Brillanz, um diese stark rhythmisierte Musik zum Funkeln zu bringen.
Pointiert formulierte Ingrisch-Zitate aus Publikationen wie Geisterknigge, Physik des Jenseits, aber auch schelmische Erinnerungen und Anekdoten aus ihrem Leben an der Seite von Gottfried von Einem sorgen dafür, dass die Spannung bis zum Schluss aufrecht bleibt. Natürlich darf auch eine kleine Führung in das „Quantenwunderland“ nicht fehlen, sowie – bei der bekennenden Katzenfreundin geradezu ein Muss – ein Exkurs in Schrödingers Katze, Lewis Carrolls Grinsekatze und die Folgen. Musikalisch bietet sich da Gottfried von Einems „Katzenlied“ an, das von der jungen Mezzosopranistin Josipa Bainac dann auch trefflich interpretiert wird, wie zuvor schon die innige Waldviertler Liebeserklärung „Mein liebes Haus“.
Lotte Ingrisch war es stets ein Anliegen, möglichst früh junge Menschen für die Rettung der Welt zu sensibilisieren. In ihrer Schmetterlingsschule forderte sie „Phantasie als Unterrichtsgegenstand“ und kämpfte für vernünftige Reformen in den Schulen, sie trat aber auch ein für Jenseitsforschung, für das Sterberecht, und für verbesserten Tierschutz. Ihren ernsten Themen und Sorgen entsprachen das Lied „Die Zeit ist ein Lied“ aus dem Liederzyklus Bald sing‘ ich das Schweigen und die tiefsinnige „Arie der Magdalena“, mit der die Mysterienoper Jesu Hochzeit ausklingt. Von Josipa Bainac und David Hausknecht stimmungsvoll vorgetragen und vom Publikum im restlos ausverkauften Theaterkeller ebenso begeistert gefeiert wie die beiden exzellenten Sprecherinnen Adeline Grossegger und Kathrin Körber.
Der Abend hat dem entsprochen, was sich Lotte Ingrisch gewünscht hatte: „Begleiten Sie mich auf meiner Entdeckungsreise. Sie war verblüffend, erschreckend und fast immer komisch. Ich hab‘ mich gewundert, mich gefürchtet, aber viel gelacht.“ Was man sich an diesem Abend vor allem mit nach Hause nehmen kann, ist die Erkenntnis: „Lachen ist die Musik der Seele.“
Meinhard Rüdenauer