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WIEN/ TheaterArche: „PENTHESILEIA: unplugged“ von Nadja Puttner

13.04.2024 | Ballett/Performance

WIEN/ TheaterArche: „PENTHESILEIA:unplugged“ von Nadja Puttner

Tanz-Theater im Wortsinne. Die Wiener Choreografin und Tänzerin Nadja Puttner zeigte an sechs Abenden im März und April ihre jüngste Arbeit „PENTHESILEIA:unplugged“, inspiriert von Heinrich von Kleist’s „Penthesilea“ aus dem Jahre 1808. Der nutzt in seinem Trauerspiel die Geschichte der Amazonen-Königin aus der griechischen Mythologie abgewandelt zur Ausarbeitung eines Dramas über eine gesellschaftliche Ordnung, die dem Empfinden des Individuums gegenüber und entgegen steht. Frei verwendete sie die Vorlage, sollte es bei ihr doch um das Überwinden der Polarität gehen.

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Nadja Puttner PENTHESILEIA (C) Viktor Shekhovtsov

Groß der intellektuelle Anspruch, klar in ihrem Konzept und im Programmzettel formuliert das Ziel der Aussage des Stückes. „In „PENTHESILEIA:unplugged“ machen wir uns auf die Suche nach einem möglichen Ausweg aus einer beengten, dual-hierarchischen Weltordnung.“ Und sie schreibt der Gesellschaft und ihren Individuen eine Fülle diverser Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltens-Muster zu, als Angriffspunkte und Zielobjekte einer künstlerischen Bearbeitung.

Die drei Tänzerinnen Jasmin Avissar, Bianca Anne Braunesberger und Nadja Puttner und der Schauspieler Sascha Becker bespielen den Bühnenraum mit seinen vier Türen in der Rückwand und dem schmalen Podest davor geschickt. Mit Tanz (alle vier sind involviert), Theater und performativen Sequenzen wandern sie durch die Welten der griechischen Mythologie und des Heute. Neben zeitgenössischen, eigenen Texten (partiell auch ironisch-humorvoll) solche von Kleist und Schiller. Die häufig gewechselten, oft getauschten Kostüme und Masken (von Geraldine Massing, zwischen altgriechisch und casual mit rosa Fragmenten von Rüstungen und Kleidern und einer Hundemaske) zeigen die Fluidität von handelnden Personen (und dem Tier), von zugeschriebenen und empfundenen Identitäten und von Glaubensgrundsätzen.

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Nadja Puttner PENTHESILEIA (C) Viktor Shekhovtsov

Pentesileia, die Königin des in den Trojanischen Krieg eingreifenden, ausschließlich aus Frauen bestehenden Amazonen-Volkes, das sich uralten Traditionen folgend zu Fortpflanzungszwecken gefangener Männer bedient, wählt sich den Helden Achill als Geliebten und verstößt damit gegen eherne amazonische Gesetze. Und sie brüskiert ein patriarchal geprägtes Herrschafts-System. Achill verleugnet sich anfangs und wird später, dann von einer Frau (Jasmin Avissar) gespielt, von Pentesileia mit viel Theaterblut im Mund in den Tod geküsst. Denn man tötet das, was man liebt. Und das ist hier fluide.

Nadja Puttner baut eine Revue, deren Nummern verschiedensten Charakters durch Musikstücke aller Art (von Uralt-Schlagern über Rock-, Pop- und Punk-Songs bis zur Arie „Erbarme dich“ aus Bachs Matthäus-Passion) voneinander getrennt werden. Mit schwer nachvollziehbarer dramaturgischer Folgerichtigkeit. Die vier zeigen Ausgrenzung und Diskriminierung „Andersartiger“ zu allen Zeiten. In einer Szene spricht die gebürtige Israelin Jasmin Avissar kurz einmal hebräisch UND arabisch und wird dafür gewalttätig gemobbt. Hier erhält das Stück eine brandaktuelle politische Dimension. Überhaupt ist Gewalt, die den Abnormen angetan wird, ein zentrales Thema. Aber es gibt auch zärtliche Solidarität, Stützen und Halten, Verständnis und Mitgefühl.

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Nadja Puttner PENTHESILEIA (C) Viktor Shekhovtsov

Die zeitgenössische Choreografie aus Soli, teils synchronen Duetten und Gruppenparts, die von Aufbegehren, Kampf, Gewalt, Liebe, Begehren und Einsamkeit erzählen, in der sich die künstlerische Leiterin eine herausragende Rolle, die das expressive und tänzerische Potential der beiden anderen Tänzerinnen zurückstellt, zudachte, beschert dem Publikum mit den von ihr so geliebten Hebungen bange Momente. Die im Tanz üblicherweise angestrebte (und doch nur scheinbare) Leichtigkeit wünscht man den hier Tanzenden viele Male. Es hilft nicht. Die physische (Über-) Forderung ist allzu sichtbar. Wacklig-zittrig gehen sie am Ende aber doch alle gut aus. Auch hier zeigt sich das Gewollte, Uninspirierte der Choreografie. Die Choreografin ist vor allem Ego, nicht Gefäß.

In ihrem Ankündigungstext/Programmzettel schreibt Puttner: „Inspiriert vom Dichter Heinrich von Kleist und seiner „Penthesilea“, setzt sich dieses Projekt mit der „Essenz des Anders-Seins“ und unserem Umgang damit auseinander. Warum erscheint uns das Unbegreifliche, das „Fremde“ oft als existentielle Bedrohung? Warum kann „Andersartigkeit“ eine unerklärliche Angst, manchmal sogar Wut in uns auslösen? Was bringt es, das „Unfassbare“ mit Gewalt unter Kontrolle bringen oder sogar zerstören zu wollen? Wäre es nicht hilfreich, mehr nach dem Verbindenden zu suchen statt am Gewohnten, am Trennenden festzuhalten?“

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Nadja Puttner PENTHESILEIA (C) Viktor Shekhovtsov

Damit ist das Stück kurz umrissen erklärt. Der Subtext allerdings erzählt etwas für diese Arbeit Fundamentales: Das Stück erforscht nicht. Es stellt keine Fragen, es schreibt zu, legt fest und erklärt. Die im Konzept festgesetzten Bedingtheiten (Fremdes ist eine existenzielle Bedrohung,  Andersartigkeit verursacht unerklärliche Angst/Wut, das „Unfassbare“ wird mit Gewalt kontrolliert und zerstört) werden mit Text, Spiel und Tanz bebildert, deren Ursachen aber nicht untersucht. Auch die Probenarbeit kann sich nur auf die Suche nach physischen Ausdrücken für diese vorgesetzten Zusammenhänge und Ergebnisse beschränkt haben. Offenheit für Spiel- oder Zwischenräume, Alternativen, zwischen den Polen existierende Varianten? Zweifel oder ein differenzierendes Hinterfragen der eigenen, Realität bildenden Annahmen? Fehlanzeige. Und das macht das Stück einseitig und intentiös, fast unerträglich trocken.

Die dramaturgische Wendung am Ende überrascht. Die vier streben, nach dem Aufräumen des Schlachtfeldes und der Integration der traurig-einsamen, dann getrösteten Pentesileia/Puttner, entspannt lächelnd auseinander. Woher kommt die Läuterung, woher die Heiterkeit? Sei selbstverständlich du, lebe dich! Und schon geht’s?

Die aktivistische Attitüde des Konzeptes („Gewidmet Heinrich v. Kleist und allen anderen, die sich auf Grund ihres tatsächlichen oder empfundenen «Anders-Seins» benachteiligt, allein gelassen oder an den Rand gedrängt fühlen.“) prägt die Umsetzung. Sie spült die Poesie aus dem Stück, lässt Metaphoriken flach und aufgesetzt erscheinen. Sie dominiert Tanz, Text und Spiel.

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Nadja Puttner PENTHESILEIA (C) Viktor Shekhovtsov

Was das eineinhalb Stunden lange Stück zu einem so angestrengten macht ist der Mangel an Kraft, innerer Dringlichkeit und Stringenz, ist sein konstruierter, gewollter Charakter, sein rationales Konzept, ein Konstrukt, das aus einer gefühlten Andersartigkeit der Choreografin zu entspringen scheint, aus ihren ihre Umwelt einengenden Projektionen und aus Beobachtungen, die durch ihre Fokussiertheit ihre individuelle gedankliche und emotionale Prädisposition immer nur bestätigen können, ein Konstrukt, das jenes Gefühl der Fremdheit aber nicht transportieren respektive nachempfindbar machen kann.

Wovon das Stück eigentlich erzählt ist vielmehr ihre eigene schwarz-weiße, also duale Sicht auf die Welt, für die sie mit „PENTHESILEIA:unplugged“ einen Ausweg sucht, ihn aber nicht findet. Denn die plötzliche finale Gelassenheit der ProtagonistInnen wirkt konstruiert, nicht nachvollziehbar. Und es spricht implizit von der Enttäuschung der Choreografin über die ihrer Wahrnehmung nach mangelnde Anerkennung ihrer Arbeit in der Kunst-Community, der sie ihren Willen entgegenstemmt. Berühren oder gar fesseln, eine emotionale Ebene ansprechen kann das Stück nicht. Es nötigt einem Respekt vor der investierten Arbeit und dem Mut der Offenbarung ab.

PENTHESILEIA:unplugged von Nadja Puttner am 11.04.2024 im TheaterArche Wien.

Rando Hannemann

 

 

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