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WIEN / Theater Nestroyhof Hamakom: DER GOLDENE PFAU

Klezmer heute und die Suche nach unrettbar verlorenen Tagen

06.05.2024 | Konzert/Liederabende
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Helene Maimann und Edek Bartz. Alle (Handy-)Fotos: Martina Schmid.-Kammerlander

WIEN / Theater Nestroyhof Hamakom:  DER GOLDENE PFAU mit Helene Maimann, E. Bartz und A. Biz

5. Mai 2024

Von Manfred A. Schmid

„Jede Volksmusik ist schön, aber von der jüdischen muss ich sagen, sie ist einzigartig! Sie ist so facettenreich, kann fröhlich erscheinen und in Wirklichkeit tief tragisch sein. Fast immer ist es ein Lachen durch Tränen“, so beschrieb der russische Komponist Dmitri Schostakowitsch den Klezmer.

Der literarisch-musikalische Abend mit der Autorin Helene Maimann, dem Musiker und Konzertmanager Edek Bartz und dem Geiger und Kabarettisten Aliosha Biz geht den Wurzeln dieser ostjüdischen Musiktradition und ihrer Wiederbelebung in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg nach und fragt sich auch, wohin sich Klezmer in Zukunft entwickeln könnte. In ihrem im Vorjahr erschienenen Buch Der leuchtende Stern. Wir Kinder der Überlebenden hat sich Maimann bereits mit diesem Thema beschäftigt und Edek Bartz ein eigenes Kapitel gewidmet. Bartz und sein Schulfreund Albert Misak, mit dem er in den 70er Jahren das Duo Geduldig und Thimann gegründet hatte, waren die ersten, die in Österreich als Klezmorim, wie man diese Musiker nennte, tätig waren und diese Musik in ihren Auftritten bekannt machten. Im Theater Nestroyhof Hamakom erzählt Bartz, dass die Renaissance des Klezmer, der auf der Musik jüdischer Wandermusiker basiert, die auf Hochzeiten und anderen Festen gespielte wurde, erst auf dem Umweg über Amerika in Europa ihren Anfang genommen hat. Eine wesentliche Rolle spielte dabei der aus Österreich stammende Sänger, Schauspieler und Bürgerrechtskämpfer Theodore Bikel, dessen Schallplattenaufnahmen jüdischer Lieder die jungen Österreicher dazu inspiriert hatten, es ihm nachzumachen. Zunächst aber mussten sie dazu erst einmal Jiddisch erlernen. Ein weiteres Vorbild für ihr Bestreben war laut Bartz der singenden Rabbi Shlomo Carlebach.

Helene Maimann, die das Programm zusammengestellt hat und moderiert, liest aus ihrem jüngsten Buch und erklärt, was es mit dem „goldenen Pfau“, dem Titel der Veranstaltung, auf sich hat. Der goldene Pfau, jiddiisch „di goldene pave“, ist laut Maimann eine Pfauin, die um die Welt fliegt, Sehnsucht und Unruhe verbreitet und hinter sich einen Schwarm verflogener Vögel herzieht, „auf der Suche nach unrettbar verlorenen Tagen“. Dazu passt das Lied von einem Jungen, der davon träumt, wie ein Vogel zu einem Baum fliegen zu können, von seiner überprotektiven Mame aber nur zu hören bekommt, was er alles anziehen müsse, um auf dem Flug nur ja nicht zu erfrieren, und dann darauf verzichtet, weil er viel zu schwer beladen wäre, um abheben zu können. Gesungen wird es von Aliosha Biz, aber auch Maimann, die als Universitätslehrerin und Gestalterin vieler Radiosendungen und Filme für den ORF tätig war, singt selbst einige ihrer Lieblingslieder vor,  „Friling“ und „Oy, Avram“. Mit zarter Stimme und sehr viel Herz. Schade nur, dass Edek Bartz nur erzählt und, abgesehen von gelegentlichem, unhörbarem Mitsummen, nicht als Sänger in Erscheinung tritt, sondern nur als aktiver Zeitzeuge zu Wort kommt.

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Aliosha Biz und Helene Maimann

Der in Russland geborene Aliosha Biz, der seit rund 30 Jahren in Österreich lebt, als virtuoser Klezmorim auf der Geige sowie als erfolgreicher Kabarettist bekannt (die letzte Vorstellung seines aktuellen Programms „Der Fiddler ohne Ruf. Comedy mit a bissl Musik“ ist am 27.5. im Orpheum Wien zu sehen), berichtet über seine Begegnungen mit jüdischer Volksmusik. Auf seiner Geige spielt er einige technisch geradezu akrobatische Stückeln zu Gehör, singt gelegentlich dazu und gibt auch Anekdoten zum Besten, ohne dabei mit dem Spielen aufhören zu müssen. Besonders berührend sind seine Interpretationen von Liedern Mordechai Gebirtigs, darunter ein innig-trauriges Liebeslied sowie das Bekenntnis eines Waisenkindes, das auf die schiefe Bahn geraten ist, seinen Stolz aber nicht verloren hat und in seinem Berufsleben als meisterhafter Taschendieb Wert auf eine gute Gesinnung und moralische Werte legt.

Ein Abend, der tief bewegt und zum Nachdenken anregt. Dass er ausgerechnet am Tag des Gedenkens an die Befreiung des KZ Mauthause stattfindet, ist vermutlich kein Zufall. Die Shoah hat auch fast zur Vertilgung dieser Musik geführt, die im Exil in Osteuropa entstanden ist, im Exil in Amerika nicht vergessen, weiter gepflegt wurde und heute weltweit zu einer musikalischen Größe geworden ist. Wie der Jazz ist aus Klezmer ein weltweit anzutreffendes Genre entstanden, das von Künstlern jeglicher Herkunft und Religion geschätzt und ausgeübt wird. Diese Weitläufigkeit ist im Klezmer allerdings schon seit jeher angelegt, handelt es sich dabei doch um eine Urform des heute so geschätzten Fusion-Musikstils: eine Mischung aus rumänischer, russischer, polnischer, ukrainischer, litauischer ungarischer, griechischer, osmanischer, balkanischer und „zigeunerischer“ Musik. Die jüdischen Wurzeln dieser „Weltmusik“, die Hochzeitsmusik, dürfen dabei nie vergessen werden. Und damit ist man wieder beim Bild des goldenen Pfaus angelangt, der um die Welt fliegt, Sehnsucht und Unruhe verbreitet und hinter sich einen Schwarm verflogener Vögel herzieht, „auf der Suche nach unrettbar verlorenen Tagen“.

 

 

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