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WIEN/ Theater Arche: MOIRA von Nadja Puttner

15.01.2020 | Ballett/Performance

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WIEN/ TheaterArche: „Moira“ von Nadja Puttner. 14.1.2020

Als Uraufführung präsentierte Nadja Puttner im Rahmen des vom TheaterArche veranstalteten einwöchigen ARCHE ART FEST ihre Arbeit „Moira“ (aus dem Griechischen für Schicksal, Los), eine Tanz-Theater-Performance, in der eine Frau den nachhaltig wirkenden destruktiven Mächten elterlicher Erziehung ihren Lebenswillen entgegenstemmt.

Ein gläserner, nach vorn offener übermannshoher Käfig steht mitten auf dem Bühnen-Podest, an dessen Seiten zwei Kleiderständer mit bunten Gewändern. Eingespielter Oberton-Gesang eröffnet den zweiteiligen Abend. Jene oberwellenhaltige Vokal-Artistik führt gleichnishaft ein in die inneren Schichtungen der drei Akteure: Eine erwachsene Frau und ihre realen sowie als psychische Instanz wirkenden Eltern.


Moira: Mara Kluhs, Nadja Puttner, Sascha Becker. Foto: Ingrid Chladek

Aus der Zusammenführung von Schauspiel, Zirkus, Slapstick und Tanz entsteht ein fließender szenischer Reigen. Anfangs überdeutlich in der Aussage und weitgehend frei von fiktiven oder metaphorischen Elementen, entwickelt das Stück emotionale Tiefen. Eine tragende Rolle in dieser Performance spielt die Musik. Mit vielfältigen Stilen, vom Obertongesang über Klezmer bis zum Pop der 80er und 90er, spannt die Choreografin einen dramaturgischen Bogen, der mit der selten gehörten, orchestralen Version von Peter Gabriels „Digging in the Dirt“ (New Blood) und seinem Song „My Body is a Cage“ sowie Cate Bush’s Wuthering Heights, jeweils tänzerisch interpretiert, seine emotionalen Maxima erreicht.

Und worum geht es? Die in Kindheit, Jugend und Erwachsenen-Dasein vielfach erlebten Herabsetzungen, Diffamierungen, Entwürdigungen und Entmutigungen erzeugen unsichere, ängstliche, schuldbeladene, traurige, sich selbst entfremdete Menschen, die sich andererseits mit hohem Leistungs-, Erfolgs- und Anpassungsdruck konfrontiert sehen. Elterliche, soziale und gesellschaftliche Erwartungshaltungen, im Laufe des Lebens in die Seele implantiert, werden zu den eigenen. Konformismus, neurotisch-zwanghaftes Rollenverhalten und konsequentes, krank machendes Gegen-sich-selbst-Leben sind die Folgen. Und wer sich die Wahrnehmung seines Leidens an sich selbst gestattet, beginnt Mechanismen der Betäubung oder, bestenfalls, der Heilung zu entwickeln. Letzteres hier.


Moira: Mara Kluhs, Nadja Puttner. Foto: Ingrid Chladek

Nadja Puttner ist mutig. Sie macht ihre ureigenen inneren Kämpfe um Selbst-Findung, -Ermächtigung und -Behauptung zum zentralen Thema (nicht nur) dieser Arbeit. Mit „Moira“ entwickelt sie ihre 2016 uraufgeführte Arbeit „My Body is a Cage“ weiter zu einer komplexen Analyse der Ursachen unterdrückten Selbstwertgefühls, zerstörerischen Selbsthasses, mangelnder Selbstliebe und somit letztlich gespaltener Persönlichkeiten. Die liebevolle Wertschätzung, mit der sie uns den Spiegel präsentiert, durchdringt diese Arbeit.
Dass auch Vater und Mutter nur Glieder in einer langen Kette unreflektiert weitergegebener und fort gelebter psychischer Deformationen, also „auch nur Opfer“ sind, zeigt sie mit Respekt und Verständnis. Die – im eigentlichen Wortsinne – Not-Wendigkeit, aus jener Opferhaltung in die des Schöpfers des eigenen Selbst zu wachsen, wird zur Kernaussage des Stückes.

Nadja Puttner beschränkt sich in „Moira“ auf die individualpsychologischen Konsequenzen seelischer Unterdrückung. Die immensen sozialen und mithin gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen diskutiert sie in ihrem Stück „HIRAETH – I carry someone else’s memory“, zuletzt im November im Odeon aufgeführt.

Das Explizite, Unverschlüsselte und damit Unmissverständliche in der Darstellung ihres insbesondere in ihren umfänglichen Texten beschriebenen inneren Dramas hat beinahe Dokumentarisches. Sie will, dass sie, dass ihr Theater verstanden wird. Seine Höhepunkte erreicht das Stück in den tänzerischen Passagen, die die emotionalen Impulse für ihr Arbeiten spürbar machen. In einem Zwangs-Kleid oder an Gummiseilen gehalten den Kampf gegen die sabotierenden Instanzen tanzend, im Käfig sich windend oder in durchbrechender Freiheit den Bühnenraum erschließend, Nadja Puttner ist authentisch und spricht damit direkt die Emotionen des Publikums an. Und sie erreicht sie.


Moira: Sascha Becker (hinten), Nadja Puttner, Mara Kluhs. Foto: Ingrid Chladek

Auch in „Moira“ kann die Tänzerin Mara Kluhs, seit Jahren verbindet die beiden Frauen eine fruchtbare Zusammenarbeit, mit der unaufdringlich-eindringlichen Strahlkraft ihres Tanzes überzeugen. Der Sprecherzieher, Sprecher und Performer Sascha Becker, unter anderem Dozent an der MUK Wien, spielt seine „Vater-Rolle“ mit Klarheit und souveräner Präsenz. Ihn reden zu hören ist tatsächlich ein Genuss.

Die beispielhafte, fein beobachtete Vielschichtigkeit und Komplexität der Charaktere, deren innerer und äußerer Konflikte und ihrer Herkünfte sowie letztlich die Unerschrockenheit Nadja Puttners, sich gegen mächtige Strömungen in zeitgenössischen Kunstschaffen einem rational intendierten Konzept zu verweigern, geben dieser Arbeit ihren Wert. Weil das Leben es, irgendwie, von uns allen verlangt, uns dieser großen, schweren, schönen Aufgabe der Selbst-Befreiung zu stellen.

Rando Hannemann

Moira“ von und mit Nadja Puttner, Mara Kluhs und Sascha Becker im TheaterArche Wien am 14. Jänner 2020.

 

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