Alle Fotos: © Moritz Schell
WIEN / Theater an der Wien / TV (ORF III):
LE NOZZE DI FIGARO von W. A. Mozart
Sendetermin: 29. November 2020
Als man die Saison 2020 / 21 plante, konnte niemand ahnen, was auf die Welt zukommen und welche Auswirkungen es auf die Theater- und Opernwelt und ihre Projekte haben würde. „Corona“ hat unendlich viele Pläne zunichte gemacht – aber wir leben schließlich im digitalen Zeitalter. Was nicht live vor Menschen sein darf, sucht mittlerweile über die Medien sein Publikum. Das Theater an der Wien, das bislang kaum Interesse gezeigt hat, sich Streams und Fernsehübertragungen zu öffnen, hat es sich auch überlegt – neulich gab es eine Aufzeichnung der (überschätzten) „Zaza“, nun wurde der „Le nozze di Figaro“ für das Fernsehen produziert. Wie gut, dass wir mit Ö III einen Kulturkanal haben, der für dergleichen Sendeflächen übrig hat. Stellen wir uns doch einmal vor, wir wären um das Opernregie-Debut von Alfred Dorfer gekommen!
Alfred Dorfer hat jede Menge Interviews gegeben und in jedem dasselbe gesagt. Dass er viele Geigen spielende Verwandte hat und mit Wiener Klassik aufgewachsen ist (was im Gemeindebau sicher nicht das Übliche ist). Dass sechs Jahre währender Klavierunterricht (der ihn auf Nachfrage nicht so begeistert hat) ihm die Fähigkeit vermittelte, Partituren zu lesen – Kompliment. Im allgemeinen bringt man es dabei zwar zum Notenlesen, das Partiturenlesen ist schon hohe Schule, aber wir wollen es ihm glauben.
Er selbst wäre, schüchtern, nicht auf die Idee gekommen, eine Oper zu inszenieren, aber Roland Geyer hätte ihn aufgefordert (obwohl es bei „artfremden“ Regisseuren wie Stefan Ruzowitzky und Christoph Waltz so gut ja nicht gelaufen ist). Ja, und natürlich liebt und bewundert er Mozart.
Dass es das Jus primae noctis vielleicht gar nicht gegeben hat, entnahm Dorfer offenbar Wikipedia, wo ja auch nicht alles stimmt – tatsächlich ging es an diesem Beispiel der selbstverständlichen sexuellen Vereinnahmung um die absolut willkürliche Gewaltherrschaft, die eine feudale Gesellschaft über ihre Bediensteten, die ihre hilflosen Untertanten waren, ausübten – allenfalls wäre die Französische Revolution wohl nicht dermaßen blutig ausgefallen…
Egal, das Werk spielt ja ohnedies, wie in unserer Zeit immer (was anderes wagt man gar nicht) hier und heute, angeblich in einem verfallenden Landsitz, wo Figaro Jeans trägt (Hat Dorfer noch nicht gehört, dass es der Gipfel an Abgeschmacktheit ist, klassische Opernfiguren in Jeans zu stecken, um zu signalisieren, wie heutig man sei?). Sei’s drum. So ernst hat Alfred Dorfer seine Aussage, viele Menschen gingen der Regie wegen nicht mehr in die Oper, wohl nicht gemeint, sonst hätte er sich nicht in die Reihe der Regisseure gestellt, die halt – irgendetwas machen…
Da stolpern sie also – ähnlich wie bei der Salzburger Festspiele- „Cosi“ – in Alltagskleidern durch ein eher leeres Ambiente: Immerhin sind es hier hohe Räume, die auf einer Drehbühne stehen, aber eigentlich nichts aussagen. Haben die Herrschaften schon alle Möbel versetzt (die Gräfin hat noch ein paar schäbige Stücke aus anderen Zeiten)? Mit dem Briefschreiben im dritten Akt wird es auch nichts, weil es ja weder Tisch noch Schreibzeug gibt. Aber wer kümmert sich noch darum, dass die Handlungsdetails stimmen? Kurz, die Minimum-Ausstattung von Christian Tabakoff trägt nichts zum Flair des Abends bei, das ohnedies nicht weiter vorhanden ist. Am Ende lugt eine Straßenbahn im Hintergrund herein. Finale in der Remise? Warum? Nicht fragen. Man hat gelernt, dergleichen „Regiearbeiten“ mit stoischer Gleichgültigkeit an sich vorbeiziehen zu lassen.
Alle Fotos: © Moritz Schell
Was soll es uns eigentlich sagen, wenn eine Handvoll Sänger in Straßenkleidern herumgehen und so gar nicht klar machen, wer sie sind, wo sie sind und warum sie tun, was sie tun? Die Personenführung neigt zu gewissen Grobheiten, aber nicht zur glaubhaften Darstellung von Charakteren. Vor allem ist das alles sehr unlustig – wie viel Humor in dem Werk (neben all dem legitimen Zorn) steckt, wissen wir schließlich.
Was sieht man also? Einen Figaro, der singen und Apfel essen und stellenweise ziellos-heftig herumtoben kann. Eine Susanna in Marlene-Dietrich-Hosen. Eine elegische Gräfin. Einen seltsam unprofiliert wirkenden Grafen, auch wenn er über seine Gattin ziemlich brutal herfallen muss. Einen Cherubino, der sich grenz-albern aufführen muss. Wir wollen nicht fragen, wozu man Alfred Dorfer in der Person von Kateryna Sokolova eine Co-Regisseurin zur Seite gestellt hat. Dieses Nichts einer Inszenierung, die zudem noch Corona-mäßig zusammen gekürzt ist (einige Details in den Arien hören sich mit Hilfe eingelegter Zwischentöne anders an), hätte auch einer allein zustande gebracht.
Nun retten die Sänger leider gar nichts. Cristina Pasaroiu ist eine Gräfin mit Wackel-Sopran – in einer Rolle, die berüchtigt dafür ist, dass man lange Phasen „spinnen“ muss. Susanna (Giulia Semenzato) und Cherubino (Patricia Nolz, aus der Staatsoper für die ursprüngliche Besetzung, ein Corona-Opfer, eingesprungen) rangieren unter „ohne besondere Kennzeichen“. Trockener als Florian Boesch kann man für den Grafen Almaviva gar nicht bei Stimme sein, während der Figaro von Robert Gleadow vor allem raue Töne zu bieten hat. Die Nebenrollen würden gar nicht auffallen, trüge die Marcellina (Enkelejda Shkosa) nicht ein so scheußliches Altweiber-Kostüm in Rosa. Ein Signal? Wohl nicht. Man wüsste nicht, wo es hinzielt.
Alle Fotos: © Moritz Schell
Aus dem Orchester kommen die bekannt schroffen Harnoncourt-Töne, die man so nachdrücklich kennen gelernt hat und die sein Ensemble Concentus Musicus unter Stefan Gottfried bewahrt, der sperrige Mozart stürmt heftig los und langweilt wenigstens auf dieser Ebene des Geschehens nicht. Wirklich viel ist das für einen ganzen Abend nicht.
Was bleibt ist die Sehnsucht nach der Ponnelle-Inszenierung, die die gegenwärtige Staatsoper-Direktion versprochen hat – damit das Stück wieder lebt, damit es in einer Welt spielt, wo die Geschichte auch Hand und Fuß hat und in all ihrem Charme, Humor und Zauber erzählt wird – und ihre Hintergründigkeit entfalten kann…
Renate Wagner