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WIEN/ Theater an der Wien: OTELLO von Rossini

22.02.2016 | Oper

TadW Rossini:  OTELLO am 21.2.2016

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Wir schreiben das Jahr 1998. Im Rahmen des Klangbogenfestivals 1998 zeigt man im Theater an der Wien Rossinis Otello, der zu einem Debakel und einer regelrechten Schlammschlacht in den Gazetten  führte und schließlich in einer Rücktrittsaufforderung an Intendant Roland Geyer gipfelte. Inzwischen ist viel Wasser die Donau hinabgeflossen und das Theater an der Wien, als (Rechts)Nachfolgerin des einstigen Klangbogenfestivals, setzt nun zum zweiten Mal Rossinis dreiaktiges Dramma per musica auf seinen Spielplan. Der Librettist Francesco Maria Berio griff neben Shakespeares Drama aber vor allem auf „Othello ou Le More de Venise“ (1792) von Jean-François Ducis (1733 – 1816) und auf den „Othello“ (1813) von Giovanni Carlo Barone Cosenza (1765 – 1851) zurück. Rossini vertonte  seinen „Otello“ kurz nach der komischen Oper „La gazetta“ und noch vor „La Cenerentola“. Die Uraufführung fand dann am 4. Dezember 1816 in Neapel im Teatro del Fondo, anstelle des vorgesehenen Teatro S. Carlo, welches abgebrannt war, statt. Was auf den ersten Eindruck befremdlich wirkt, ist, dass Rossini alle männlichen Hauptpartien (Otello, Jago und Rodrigo) für Tenor komponierte, was jedoch durch die damals in Neapel verfügbaren Sänger begründet ist. Rossini oder Verdi? Zweifellos wird man letzterem Werk den Vorzug geben, wie man Rossinis „Barbiere“ den Vorzug vor Paisiello gibt? Aber wie verhält es sich dann bei der „Manon“, wo man gleich die Wahl zwischen Auber, Massenet, Puccini und sogar Henze als Komponisten (Boulevard solitude)  hat? Einen großen Nachteil hat Rossinis Otello gegenüber dem 71 Jahre später erschienen Werk Verdis allerdings. Es ist im Großen und Ganzen betrachtet eine reine Nummernoper, der damit der einheitliche dramaturgische Guss mangelt. Rossini lehnt sich im ersten Akt stark an Shakespeare an. Hier wie dort ist Otello bereits heimlich und ohne Wissen des Vaters (Bramantio/Shakespeare bzw. Elmiro Bargerigo/Rossini) mit Desdemona verbunden.  

Der aus Venedig stammende Regisseur Damiano Michieletto hat bei den Salzburger Festspielen bereits La Bohème und Falstaff und am Theater an der Wien 2012 il trittico und 2013 Idomeneo inszeniert. Während der Ouvertüre führt er die beteiligten Familienmitglieder in einem prächtigen Salon mit großer  Tafel von Paolo Fantin vor. Papa Elmiro hat zwei Töchter: die Ältere, Desdemona, und die Jüngere, Emilia, die am Schluss – bei Michieletto – Rodrigos Hand erhält. Der Doge wiederum hat einen Sohn namens Rodrigo, der sich die Hand Dand Desdemonas verspricht. Rodrigo hat aber auch einen speichelleckenden, intriganten Jago, der bei Michieletto darstellerisch stark aufgewertet wurde. Im Finale erschießt sich die verzweifelte Desdemona und Otello bleibt gebrochen zurück.

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Die Kostüme von Carla Teti verorten die Handlung in das mondäne 20. Jahrhundert der High Society Venedigs. Otello ist ein Araber in Diensten Venedigs, der für seine Treue das langersehnte Bürgerrecht vom Dogen erhält. Als gläubiger Muslim darf er schon einmal im ersten Akt Desdemona ein schwarzes Kopftuch als Geschenk überreichen, mit dem sie – in der gemeinsamen Zukunft – ihre Haartracht den begehrlichen Blicken anderer Männer entziehen soll. Im zweiten Akt rollt er dann auch seine Sajada, den Gebetsteppich, zu seiner Verzweiflungsarie „Che feci?… ove mi trasse“ aus. Zu Ende des ersten Aktes beschmiert Jago dann Otellos Hände symbolträchtig mit schwarzer Farbe. Jeden, der Otello nunmehr berührt oder von ihm berührt wird, wird nun auch „besudelt“ und unrein, ein Outcast – wie Otello und Jago. Und Elmiro sagt sich von seiner Tochter Desdemona ab, in dem er ihr Bildnis mit schwarzer Schleife wie bei einem Begräbnis mit Blumenspenden drapieren lässt. Aus dem Programmheft erfährt man noch von der tragischen Liebesbeziehung von Francesca da Rimini und ihrem Paolo, die beide in Umarmung von Francescas Gatten ermordet wurden, worauf die Oper Rossinis Bezug nimmt. Ein Gemälde des italienischen Symbolisten Gaetano Previati (1852-1920) ziert die Wand und die darauf Abgebildeten treten auch als Erscheinungen Desdemonas immer wieder während der Oper auf.

Die Oper erfordert zumindest drei Tenöre der Spitzenklasse. John Osborn war ein fulminanter, höhensicherer Otello, der diese Partie zuvor bereits in Zürich an der Seite von Cecilia Bartoli gesungen hatte. Er ist in dieser Inszenierung der edle Muslim, ein Geschäftsmann, der weit entfernt ist von einer fehlgeleiteten Indoktrinierung durch fanatische Eiferer. Er ist ein angepasster Fremder in einer ihm doch distanziert gegenüber stehenden Gesellschaft, deren kalte, ablehnende Haltung nur durch die Liebe zu Desdemona aufgewogen wird. Maxim Mironov als Rodrigo war ein ebenbürtiger Gegenspieler Otellos um die Gunst Desdemonas. Gesanglich betrachtet ist es die stärkere Rolle von beiden. Besonders eindringlich gelang dem blonden Russen die Arie zu Beginn des zweiten Aktes „Che ascolto? ahimè, che dici?“, wofür er spontanen und verdienten Szenenapplaus erhielt. Der dritte der großen Tenöre war Vladimir Dmitruk mit langen Haaren und wild funkelnden Augen, der die Intrige mittels eines gestohlenen Briefes und einer Haarlocke Desdemonas ins Rollen bringt. Man fragt sich da unwillkürlich, weshalb Desdemona in dem vermeintlichen Brief ihren Liebhaber nicht per Namen genannt hat, dann hätte sie sich die ganze Tragödie ersparen können? Allerdings gäbe es dann auch keine Oper und auf diese wollen wir ja – unter Ausblendung unserer Logik – nicht verzichten. Und dann gibt es noch den zumeist in einem Rollstuhl sitzenden Dogen von Nicola Pamio, ebenfalls ein resoluter Tenor. Fulvio Bettini als Desdemonas leidgeprüfter Vater Elmiro Barberigo wartete demgegenüber mit einem robusten Bariton in seiner Kehle auf. Nino Machaidze, die Musetta in Michielettos Salzburger Bohème von 2012 wirkt als Rossini-Desdemona viel verzweifelter als bei Verdi. Besonders beklemmend trug sie die Weidenarie und das Gebet im dritten Akt „Assisa a’ piè d’un salice“ vor. Ihre jüngere Schwester Emilia ist hier nicht Jagos Gattin, erhält dafür aber quasi als Happy End die Hand Rodrigos. Gaia Petrone war diese noch etwas mädchenhafte Göre mit zufriedenstellendem Mezzosopran, die die ältere Schwester um ihr Glück beneidet. Die kurze Arie des Gondolieres Lucio „Ah! / Dagli affanni oppressa“, bei Michielotti der Leibarzt der Familie Barberigo, war in der Kehle des in Kolumbien geborenen Tenors Julian Henao Gonzalez gut aufgehoben. In den stummen Rollen des Liebespaares Francesca und Paolo waren Fabiola Varga und Viktor Saxinger zu sehen. Als Cameriere fungierten noch Michaela Klamer und Christian Garland.

Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor sang und mimte die wenig sympathische Glamourgesellschaft um den Dogen und seine Entourage. Antonello Manacorda am Pult des Orchesters der Wiener Symphoniker  bot einen zu Beginn erstaunlich heiter klingenden Rossini, der sich nach der Pause aber zu tragischen Momenten voller lyrischer Verinnerlichung verdichtete. Interessant war für mich ein kurzes Motiv im dritten Akt, das, wenn ich nicht einem Trugschluss unterlag, Dvorak offenbar später in seiner Rusalka aufgriff.                       

Das Publikum bejubelte alle Mitwirkenden, einige Buhrufe galten wohl der Regie, die relativ frei mit Rossinis Vorlage umsprang. Sei‘s drum: auch mir hat es gefallen!                                                                       

Harald Lacina

 

 

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