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WIEN/ Theater an der Wien: ORLANDO FURIOSO von Antonio Vivaldi. Konzertant

Raserei „con sordino“ …

27.03.2019 | Oper

 

WIEN/Theater an der Wien: „ORLANDO FURIOSO“ von ANTONIO VIVALDI;  konzertant

Raserei „con sordino“ …

  1. 3. 2019 – Karl Masek

Wikipedia sagt: Antonio Vivaldi hat wahrscheinlich 94 Opern geschrieben. Jedenfalls konnten bisher an die 50 identifiziert werden; ca. 15 dürften dauerhaft verloren gegangen sein. Die Geschichte vom „Rasenden Roland“ (Orlando), der schönen Prinzessin Angelica von Cathay und der Zauberin Alcina –letztere ist in Wien durch gleich zwei Händel-Inszenierungen im Haus am Ring und im TAW inzwischen eine „gute alte Bekannte“- wurde in den letzten Jahrzehnten sowohl szenisch (als zauberisches Ausstattungstheater) als auch konzertant sehr erfolgreich aufgeführt.

Im Oktober 2011 gab es zuletzt im TAW auch eine konzertante Aufführung der Vivaldi-Oper mit dem Ensemble Matheus und dem Dirigenten Jean-Christophe Spinosi. Nun also mit George Petrou mit seinem Ensemble Armonia Atenea.

Die Ereignisse spielten sich zur Zeit der Maurenfeldzüge Karls des Großen ab. Orlando ist nämlich der Neffe Karls des Großen, „Rolands“ Cousin Astolfo sowie Ruggiero und seine Gattin Bradamante verschlägt es auf die Insel Alcinas. Die Grundlage ihrer Zaubermächte ist die Asche des Magiers Merlin. Ritter, die auf dieser Insel ankommen, verführt sie „zu ihrem Ruhm ewiger Schönheit“. „Lieben & leiden“ findet naturgemäß statt. Verliebt sind: Orlando in Angelica, diese liebt einen Sarazenenjüngling, Medoro. Ruggiero gerät wiederum in die Fänge Alcinas – das kommt auch bei Händel so ähnlich vor. Verwicklungen sonder Zahl, Orlando furioso verfällt darob vorübergehend dem Wahnsinn, der Raserei. Er wird aber auch immun gegenüber Alcinas Zauberkünsten, kann ihre Macht brechen und gibt schließlich großmütig Angelica an Medoro frei. Natürlich: Lieto fine – auch für Ruggiero und Bradamante …

Ouvertüre ist offenbar keine überliefert. Man spielte daher diesmal Vivaldis Violinsonate in d-Moll, op.1, berühmt unter der Bezeichnung La Follia, mit Figural- und Charaktervariationen, die in aller Regel – in welcher Bearbeitung auch immer – hellen Jubel auslöst. Doch diesmal? Kein Drive, keine scharfen Akzente, keine Leichtigkeit, keine Spur von hispanisierenden Farben, keine Stimmungsschattierungen bei den langsamen Teilen. Schwerfällig, stumpf trotz rasantem Tempo klingen diese ersten  knapp zehn Minuten, die so viel sprudelnden Esprit verströmen könnten. So als hätte das sonst so erstklassige Barock-Ensemble diesmal einfach einen nicht so guten Abend erwischt. Man fand schließlich in die Gänge, es gab jedenfalls auch etliche schöne Momente klanglichen Farbenzaubers – z.B. das delikate, betörend schön  gespielte Traversflötensolo (Sieglinde Größinger-Potzmann) in Ruggieros seelenvoller Arie  Sol  da  te,  mio dolce amore  oder der parodistisch schaukelnde Schwung in Astolfos Rache-Arie  Benché  nasconda.

Leider gab es aber auch Passagen, die bedenklich zäh anmuteten. Und da sind wir auch schon bei den Sänger/innen. Enttäuschend an diesem Abend Max Emanuel Cencic, der in den Rezitativen in geradezu beiläufig wirkendes Gestalten verfiel und dort, wo er nicht mehr „Herr seiner Sinne“ ist, in Wahnsinn und Raserei verfallen soll, wollten sich kraftvolle Steigerungen auch nicht recht einstellen. Raserei „con sordino“ insgesamt.  Da konnte auch eine ziemlich lächerliche Maskerade im Schlussakt (als „Mädchen“ im gepunkteten Kleidchen, Masche im Haar und „Conchita“-Bart) nichts mehr herumreißen.


Julia Lezhneva. Foto: Emil Matveev

Die beste Sängerin des Abends war Julia Lezhneva. Makellos die Stimmführung, in allen Lagen gerundet, technisch perfekt geführt, mit dunkler und voller gewordener Mittellage, ohne die fulminante Höhe einzubüßen. Mit der eingelegten Arie aus Vivaldis Oper „Griselda“,  Agitata  da  due  venti brachte sie das Publikum, das einenAbend lang selten mehr als höflichen Szenenapplaus spendete, mit wahnwitzigen Koloraturkaskaden und waghalsigen Intervallsprüngen zu einem kollektiven, spontanen Jubelschrei. Da war es aber bereits 21:40 Uhr (Beginn war um 19:00 Uhr).


 Ruxandra Donose (Foto: Nicolae Alexa)

Die anderen dazwischen: Ruxandra Donose war mit angenehmem Mezzosopran eine rollenadäquate Zauberin Alcina, von der man allerdings gerne ein paar markantere Töne und bösere  Stimmfarben vernommen hätte. Sie sang übrigens in den 90er Jahren an der Wr. Staatsoper etliche Rollen des „Zweiten Fachs“ aber auch Cherubin, Niklaus und andere „Hosenrollen“. Mittlerweile singt sie sogar Kundry in Baden-Baden oder Fricka in Genf.

Der Koreanisch-kanadische Countertenor David DQ Lee sang den tapferen Ritter Ruggiero mit schönen Legatobögen, dialogisierte trefflich mit der Traversflöte. Da fielen ein paar nicht so schöne Registerwechsel kaum ins Gewicht.

Pavel Kudinov war mit schlankem, markantem Bassbarition ein Astolfo, auf der Haben-Seite des langen Abends.


Philipp Mathman. Foto: Sandra Konold

Eine beachtliche Talentprobe lieferte der Debütant des Abends, der deutsche Countertenor Philipp Mathmann als sympathischer Medoro mit hübscher, fast noch knabenhaft klingender Stimme. Dabei ist der Sänger, der als Bariton begonnen hatte, bereits approbierter Arzt, also nicht mehr im Jünglingsalter!

Blass, mit kleiner Stimme, kaum das relativ intime Theater an der Wien füllend, blieb die Bradamante der ukrainischen Mezzosopranistin Anna Starushkevych.

Trotz einiger Striche, die v.a. die Rolle der Bradamante betrafen, dauerte der Abend mehr als drei Stunden. Der Beifall war gerecht abgestuft. Den größten Jubel  räumte verständlicherweise Julia Lezhneva ab, in weiterer Folge David DQ Lee – und dann kamen  erst Cencic, Mathmann, Kudinov, Orchester & Dirigent, Donose und – ohne Bravi – Starushkevych.

Acht Minuten Applaus.

Karl Masek

 

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