TadWMacbeth 20.11. 2016 (Premiere am 13.11.2016) –
Copyright: Herwig Prammer
Gespielt wurde an diesem Abend die Fassung von 1865 (mit dem Schluss von 1847) und ohne Ballett. Es war der Abend des Plácido Domingo in darstellerischer Hinsicht bühnenbeherrschenden Ausnahmekünstlers. Und Hausherr Roland Geyer kam ihm bei der Verwirklichung seiner sängerischen Pläne gerne entgegen, wenn es galt das Mainstream Repertoire durch Raritäten wie Menottis „Goya“ (2004),Federico Moreno TorrobasZarzuela „Luisa Fernanda“ (2008), Daniel Catans „Il Postino“ (2010) und zuletzt Verdis „I due Foscari“ (2014) aufzulockern. Abgesehen von der unterschiedlichen Besetzung wird dieser Macbeth dem Publikum in zwei Fassungen dargeboten. Die Fassung der Uraufführung, wie sie am 14.3.1847 im Teatro della Pergola in Florenz gespielt wurde, enthielt im Unterschied zur revidierten Fassung, wie sie 21.4.1865 im Théâtre Lyrique in Paris zur Aufführung gelangte, noch die große Sterbeszene von Macbeth, die Verdi später zugunsten eines Siegeschores gestrichen hat.
Kocan, Domingo, Rodriguez. Copyright: Herwig Prammer
„Macbeth oder der Rattenkrieg“ kam mir sofort in den Sinn als während der bebilderten Ouvertüre ein gläserner Käfig sichtbar wurde, indem sich zwei dieser äußerst intelligenten und possierlichen Nager, neugierig ihre Behausung erforschend, tummelten. Dahinter stand Lady Macbeth und spielte mit „Hamlets Totenkopf“. Danach bewies Regisseur Roland Geyer, dass er ein Kenner älterer Produktionen der Wiener Staatsoper war. Ein silbriger Streifenvorhang und Hexen in androgyner Gewandung mit Bart erinnerten weiland an Kreneks „Jonny spielt auf“ oder Gounods „Roméo et Juliette“ ebendort. Meiner Meinung nach fehlte es hier dem Ausstatter Johannes Leiacker an Inspiration, deren Mangel er aber nach der Pause auf verblüffende Weise wettmachte. Nachdem er zunächst eine Varietéwelt mit roten Plüschvorhängen auf die Bühne gestellt hatte, und die Hexe in diesem Ambiente mehr als laszive androgyne Animierdamen fungierten, zeigte er nach der Pause mittels Videoprojektion von David Haneke einzelne schaurige Figuren aus Hieronymus Bosch‘ „Weltgerichtstriptychon“ und aus dessen Dreitafelbild „Der Garten der Lüste“, diesich bewegten und die armen Sünder grausam folterten und lustvoll hinschlachteten, wobei Ströme von Blut aus nie versiegenden Wunden schossen. Hätte man die gesamte Inszenierung bereits zu Beginn mit der gewaltigen Bilderwelt des niederländischen Renaissancemeisters versehen, wäre meiner Meinung nach ein atemberaubendes Gesamtkunstwerk entstanden, das alle Sinne des Betrachters in seinen Bann gezogen hätte. Natürlich mag man dann wieder einwenden, dass durch eine solche Bilderflut die Leistung der Sänger in den Hintergrund treten ließe, aber eine solche Gefahr wäre – mit Verlaub – nur äußerst gering.
Domingo, Rodriguez. Copyright: Herwig Prammer
Und nachdem sich das Publikum an der Bilderpracht von Hieronymus Bosch satt gesehen hatte, erscheint wieder der runde Zylinder, der während der ganzen Inszenierung immer wieder hoch- und niedergefahren wurde, aber dieses Mal wächst aus ihm eine schottische „Weltesche“. Später umrundet die inzwischen wahnsinnig gewordene Lady Macbeth diesen Zylinder und schiebt einen Kinderwagen, Symbol für den ausgebliebenen Kindersegen, wie er bereits in der Inszenierung von Vera Nemirova an der Wiener Staatsoper 2009 symbolträchtig gezeigt wurde und der schließlich während der Premiere vom verärgerten Simon Keenlysidemit einem gewaltigen Fußtritt in die Bühnengasse geschossen wurde. Und die Lady darf dann ihr Leben auf der Bühne noch hinreißend verhauchen und so liegen bleiben, damit ihr Macbeth noch ein Ständchen singen darf und damit den späteren Botenbericht Kammerfrau, die Lady sei tot, obsolet macht.
Der Applaus war am Ende gewaltig und galt wohl in erster Linie den Sängern. Allen voran Plácido Domingo, der dank seiner ausgezeichneten Technik gepaart mit einer schier unverwüstlichen Mittellage diese Gewaltpartie mit nur geringen, kaum nennenswerten, Abstrichen meisterte. Es war ein verdienter Erfolg und Domingo erhielt dafür auch verdientermaßen einige Blumensträuße von treuen Fans zugeworfen. Ihm zur Seite erfüllte die aus Las Palmas stammende Sopranistin DaviniaRodriguez als Lady Macbeth Verdis Credo, dass die Sängerin nicht schön singen solle zur Genüge. Selten hat man eine so expressive Lady, die von der Rollengestaltung schon mehr einer Hexe glich, erlebt. Während der Wahnsinnsarie holt sie dann aus dem Kinderwagen noch zwei tote Ratten, die sich zu Beginn der Vorstellung noch munter in ihrem Glaskasten bewegten und auch Hamlets Totenschädel. Man könnte jetzt einen Essay über die Symbolik schreiben, aber dazu fehlen der Raum und auch die Zeit des Rezensenten. Arturo Chacón-Cruz stattete den Macduff mit seinem gut geführten höhensicheren Tenor aus und erhielt für seine große Arie im vierten Akt „O figli, o figlimiei! da queltiranno tutti uccisivoifoste,…“ verdienten Szenenapplaus. Der slowakische Bass Stefan Kocan bettete seinen Banco in erdige Tiefe. Natalia Kawalek zeigte in ihrem kurzen Auftritt wie rührend besorgt ihre Pflichten als Dama di Lady Macbeth wahrnahm. Der aus Kolumbien stammende Julian Henao Gonzalez, Mitglied des jungen Ensembles des Theaters an der Wien, unterlegte seinen eher lyrischen Tenor Duncans Sohn Malcolm. Als MedicoSicario schritt Andreas Jankowitsch mit ausdrucksstarkem Bariton würdevoll durch die Szene. Anton Zabsky und Luis Aue ergänzten noch rollengerecht als Duncano und Fleanzio.
Erwin Ortner hatte den Arnold Schönberg-Chor wiederum exzellent auf die mannigfachen gesanglichen Herausforderungen, die gerade in dieser Oper Verdisan den Chor gestellt werden, vorbereitet, unterstützt durch die Choreographie von Peter Karolyi. Die grelle Beleuchtung des Varietés und die eher düstere im zweiten Teil des Abends verantwortete Bertrand Killy. Bertrand de Billy bot am Pult der Wiener Symphoniker dieses Mal einen eher kantigen Verdi, passend zur blutrünstigen Handlung.
Großer allgemeiner Jubel herrschte dann am Ende dieses Abends und es gab Standing Ovation für den noch immer recht rüstigen Domingo, dessen wahres Geburtsjahr an dieser Stelle nicht Preis gegeben werden sollte, zumal es ja nicht gesichert ist…
Harald Lacina