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WIEN/ Theater an der Wien: LE NOZZE DI FIGARO

21.04.2015 | Oper

WIEN/ Theater an der Wien:  LE NOZZE DI FIGARO 20.4.2015


Foto: Herwig Prammer im Auftrag Theater an der Wien

Der Vorhang hebt sich und Graf ‚Almaviva, der als eine Art Sigmund Freud in einem Irrenhaus agiert, streicht auf einer schwarzen Tafel, auf der geschrieben steht: „Heute Therapie Parsifal“, letzteres aus und schreibt darunter das Wort „Figaro“, was einen Besucher unverwandt zu einer Unmutsäußerung hinriss. Dieses skandalöse Benehmen ließ den Dirigenten Marc Minkowski die Ouvertüre nachwenigen Takten abbrechen und das Publikum in den Zuschauersaal gewandt, zur Räson ermahnen. Und das völlig zu Recht. Die ewigen Unkenrufer durften ihre vorgefasste Meinung auf die bisher veröffentlichten Kritiken stützen, ohne diese zu hinterfragen oder sich gar eine eigene Meinung bilden zu wollen. Dabei wäre das ganze ja nicht so schwer, würde man nur die grauen Hirnzellen etwas anstrengen.

Lorenzo da Pontes Libretto beruht ja bekanntermaßen auf Pierre Augustin Carin de Beaumarchais „La folle journée ou le mariage de Figaro“ (1784). Wo aber könnte ein solcher „tollster Tag“ im 21. Jhd. anders als in einer „Irrenanstalt“ spielen? Regisseur Felix Breisach verlegt die bekannte Handlung nun in ein Sanatorium, wo die Mitwirkenden an einer Gruppentherapie in Form von Rollenspielen teilnehmen. Und für die Theaterkundigen hat der Regisseur auch gleich den sprachhistorischen Hinweis der „Rolle“ auf die lateinische „rotula“, die Schriftrolle der Schauspieler in der Antike, miteingepackt, indem er die Handelnden immer wieder Zettel und Briefe in die Hand nehmen und verlesen lässt, die natürlich bei da Ponte/Mozart auch dramaturgisch notwendige Handlungs-elemente darstellen.

Dass es sich tatsächlich um Rollenspiele handelt, wird spätestens dann klar, wenn sich die handelnden Personen verkleiden und Perücken aufsetzen. Die Protagonisten versuchen sich zunächst unter Anleitung von Dr. Almaviva in existenziellen, psychologischen und sozialen Rollen. Am Ende des zweiten Aktes aber gerät das als Therapie beabsichtige Rollenspiel „Figaro“ jedoch aus den Fugen, Almaviva verliert die Kontrolle, die Gräfin und Susanna beeinflussen nunmehr quasi als „Selbsthilfegruppe“ den weiteren Verlauf der Handlung. 

Das zweistöckige Bühnenbild von Jens Kilian eröffnet, neben Assoziationen zu Thomas Manns „Zauberberg“, eine bislang noch nie gesehene Gleichzeitigkeit, die sehr viel zur Spannung an diesem Abend beiträgt. In der Mitte der Bühne befindet sich ein drehbarer Kubus, in welchem sich das berühmte Sofa von Dr. Freud befindet. Die Kostüme von Doris Maria Aigner sind in der heutigen Zeit angesiedelt. Für die „Therapiestunde“ legen alle Beteiligten dann aber fallweise Kostüme aus der Zeit der Oper an.

Wollte man in Cherubino einen „Transsexuellen“ oder in Barberina ein „drogenabhängiges Punk Girl“, wie in einer Rezension zu lesen war, sehen, würde man die Absicht des Regisseurs wohl völlig missverstanden haben. Nichts von beiden stimmt.

Da die Verortung der Handlung bei Breisach wohl in der Gegenwart liegt, sind die an der Therapiestunde teilnehmenden „Patienten“ eher solche, die an den modernen „Zivilisationskrankheiten“, wie Burnout, Depressionen, Traumata oder ähnlichem leiden. Natürlich bleiben die bei da Ponte und Mozart so fein gesponnenen zwischenmenschlichen Gefühle bei diesem Konzept auf der Strecke und es gibt auch kein Happy end bei dieser  Therapiestunde. Folgerichtig bleibt nur einer über. Anstaltsleiter Dr. Almaviva muss stumm erkennen, dass ihm sein Experiment aus den Fingern geglitten war…

Die einzelnen Therapiesitzungen wurden von Alessandro Carletti abwechslungsreich und stimmgebend eingeleuchtet.

Meiner bescheidenen Meinung nach war diese Produktion eine sehr gelungene, neue und diskussionswerte Sicht des „Figaro“. Manch Besucher mag eine klassische Inszenierung mit wunderschönen Rokokokostümen bevorzugen, mich hingegen reizt mehr das Aufbrechen althergebrachter Traditionsmuster!

Von der musikalischen Seite her überraschend war, dass Marc Minkowski am Pult des Orchesters Les Musiciens du Louvre Grenoble einen entfesselten Mozart-Sound präsentierte, der manchen Zuseher und manche Zuseherin zu leisem Mitsummen animierte. Wieder einmal hat sich Falcos Vision von Mozart als Pop-Ikone bewahrheitet.

Der französische Bariton Stéphane Degout, noch in sehr guter optischer wie gesanglicher Erinnerung als Hamlet im Theater an der Wien 2012, bewies auch im „italienischen“ Fach, wenn auch nicht bei Verdi oder Puccini, so doch bei Mozart, dass ihm die Rolle des Conte Almaviva in die Kehle geschrieben war.


Foto: Herwig Prammer im Auftrag Theater an der Wien

Stimmlich ebenbürtig war der italienische Bassbariton Alex Esposito als aufmüpfiger Figaro, der das Konzept des Regisseurs voller Spielfreude umsetzte.

Als Gräfin überzeugte Anett Fritsch mit angenehmen Spintosopran. Nach der Therapiestunde wendet sie sich wieder Cherubino zu, womit die spätere Beziehung Marschallin-Octavian bei Richard Strauss schon vorgezeichnet ist.

Die Ungarin Emőke Baráth als Susanna und die gebürtige Norwegerin Ingeborg Gillebo als Cherubino ließen durch ihr kokettes Spiel so manche kleinere stimmliche Schwäche vergessen. Beide erhielten auch für ihre Arien spontanen und eigentlich berechtigten Szenenapplaus.

Rollengerecht und stimmlich unauffällig wirkten noch die US-Amerikanerin Helene Schneiderman als Marcellina, deren Arie aber gestrichen wurde, die israelische Sopranistin Gan-ya Ben-gur Akselrod als Barbarina, sowie der ungarische Bariton Peter Kálmán als Bartolo, der südafrikanische Tenor Sunnyboy Dladla in der Doppelrolle als Basilio, dessen Arie gleichfalls einem Strich zum Opfer fiel, und als Don Curzio und der rumänische Bassbariton Zoltán Nagy als Antonio mit. Der Arnold Schoenberg Chor gab unter seinem verdienten Leiter Erwin Ortner Mozart-Sound vom Besten von sich.  

Am Ende der Vorstellung beklatschte das Publikum alle Beteiligten und den Dirigenten ausgiebig und spendete dem gräflichen Paar und Susanna sowie Figaro auch Bravorufe.                                                        

Harald Lacina

 

 

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