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WIEN / Theater an der Wien: LA TRAVIATA

01.07.2014 | Oper

La_Traviata Plakat Wagner x~1 La_Traviata_sie zwischen Vorhängen (c)WernerKmetitsch x~1

WIEN / Theater an der Wien:
LA TRAVIATA von Giuseppe Verdi
Premiere: 1. Juli 2014

Für Direktor Roland Geyer ist diese „Traviata“ ein Haupttreffer. Regisseur: Peter Konwitschny, dem er seinen umstrittenen „Attila“-Erfolg im Vorjahr verdankt und der immer noch so wunderbar vom Flirren des Radikalen und möglicherweise Skandalösen umgeben ist (das sichert jedenfalls die Aufmerksamkeit). Hauptdarstellerin: Marlis Petersen, die im Theater an der Wien so etwas wie ein „Haus-Star“ ist, immer für außerordentliche Leistungen und exzessiven Einsatz gut (man erinnert sich an ihre Mozart’sche Elettra, die sich hingebungsvoll-abscheulich im Schlamm wälzte). Und dazu eine Inszenierung, die es schon gibt und die ausgesprochen sparsam angelegt ist – tatsächlich benötigt man außer den Protagonisten nicht viel mehr als eine Reihe hintereinander gehängter Vorhänge und ein paar Sesselchen. Kurz, dieses Preis / Leistungsverhältnis muss jubeln machen.

Und den Jubel gab es auch, völlig zurecht, am Ende der Vorstellung – nicht das geringste Stäubchen Widerspruch, aber wer hätte das angesichts einer solch überzeugenden Präsentation auch auf sich nehmen wollen? Die Inszenierung von Peter Konwitschny bekam ihre volle Anerkennung schon 2011 in Graz, und man kann ihr auch in Wien die Bewunderung nicht versagen. Natürlich ist es eine „Traviata“ für Fortgeschrittene, und wer sich etwa den Zeffirelli-Film mit Stratas / Domingo oder die alte Schenk-Inszenierung als Maßstab nimmt, der weiß, dass im Vergleich zu diesen herrlichen Belle-Epoche Herz-Schmerz-Tod-Dramen hier ein anderes Stück erzählt wird. Aber es ist, wenn man das Original kennt und von dieser Kenntnis ausgehen kann, eine ungemein packende Variante.

Hier zeigt Konwitschny (der ja zwischendurch – etwa im Wiener „Totenhaus“ – auch fast uninteressant war oder – im Wiener „Attila“ – sinnlos provokant) seinen gnadenlosen Zugriff, der kein anderes Interesse hat, als Alternatives aus dem Stück herauszuholen. Was sonst ein Fest bei der Kurtisane Violetta ist, wird bei ihm zu einer Party zum Fürchten: Es ist auch die Führung des Chors als geradezu grauenvolle Popanze, die ungemein viel Wirkung zu dem Abend beisteuert – und der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) erweist immer und immer wieder, dass ihm keine Anforderung zu groß ist, dass die Damen und Herren nicht nur alles singen können, was sie sollen, sondern auch alles spielen, was man von ihnen verlangt. Fabelhaft.

Auch Violetta erscheint anfangs wie ein erschreckender Popanz, zuerst mit schwarzer Cleopatra-Perücke, später mit künstlichem Blondhaar, eine harte Frau wie aus einem Porno-Schuppen. Dass man ihr den Bücherwurm Alfredo geradezu „entgegenschmeißt“, ist eine Gemeinheit der Gesellschaft, ein grausames Spiel, das dann eine andere Wendung nimmt, weil zwischen den beiden etwas ausbricht. Immer zwischen den Vorhängen verweilend (Ausstattung: Johannes Leiacker), nicht mehr an äußerer Aktion als diese auf- und zuzuschieben, wandelt sich Violetta im zweiten Bild zur (reizlosen) Durchschnittsfrau mit strähnigem Haar, Holzfällerhemd, Schlabberhose, Stiefeln.

La_Traviata_Germont (c)WernerKmetitsch x~1
Fotos: Theater an der Wien / Werner Kmetitsch

Den Luxus, den Papa Germont ihr vorwirft, findet man allerdings nicht mehr – und da wackelt auch in anderen Details die Übereinstimmung zwischen Libretto und dem, was auf der Bühne geschieht. Denn der alte Germont kommt ja angeblich, um die Hochzeit seiner Tochter zu retten (die nicht stattfände, wenn der Bruder mit einer Kurtisane zusammen ist). Hier erscheint der alte Mann allerdings mit einem kleinen Mädchen, und der brave Bürger knallt dem Töchterchen eine so kräftige Ohrfeige, dass sie zu Boden stürzt und laut schluchzt. Sicherlich eindringlich als Exempel für die Doppelmoral, aber letztendlich nur sinnvoll, weil Violetta hier ihre liebevollen, verständnisvollen Töne einem realen, leidenden Menschen zuwenden kann…

Die pausenlose Aufführung, die mit eindreiviertel Stunden angekündigt ist, dauert knapp zwei, die beiden ersten Bilder sind wenig gekürzt (das Duett Alfredo / Germont fällt weg, aber das ist man von ganz alten Wiener Aufführungen gewöhnt, wo es nie gesungen wurde), erst mit Bild 3 und 4 beginnt der „schnelle Durchlauf“ durch das Werk, wobei aber nichts fehlt, worauf man nicht verzichten könnte (vor allem in Bild 3 braucht man in diesem Rahmen das Ballett so gar nicht, wird also nicht vermisst, und die großen Szenen am Spieltisch sind ja auch nur Dekoration für die Belle Epoche-Variante, die Verdi seiner Zeit lieferte).

Dass „die Hure“ und die Bürgerlichkeit nicht zusammenpassen, zeigt Konwitschny in einem Sterbeakt, wo all die schöne Versöhnlichkeit, die aus dem letztlich doch braven Libretto leuchtet, weggewischt wird: Der Doktor kommt nicht in freundschaftlicher Anteilnahme, sondern taumelt besoffen vom Karneval herein, kaum interessiert. Papa Germont bleibt gleich „draußen“, sprich: im Zuschauerraum, und dort schleicht sich auch Alfredo hin, zum Papa, er hat seine Wahl getroffen. Dafür muss Violetta auch nicht sterben, zumindest nicht allein auf der Bühne – statt dessen geht sie in den Hintergrund ab. Eine Inszenierung, die das Werk und das Publikum in ihren Würgegriff nimmt.

Delikater als die Inszenierung ist der orchestrale Teil, denn die englische Dirigentin Sian Edwards (die sich in dunklem Männer-Outfit verbeugte) erzielte mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien viele differenzierte Töne, wo die Sänger offenbar angehalten waren, es durchaus hart und „direkt“ anzugehen, einfach im Stil der Inszenierung, die mit betörendem Belcanto einfach falsch gepolt wäre.

Marlis Petersen hat – wie man schon aus vielen Begegnungen weiß – ein etwas kalte Stimme, die nur gelegentlich Wärme zeigt (Schmelzendes, Sentimentales hingegen hie), sie ist technisch hervorragend, dennoch gelingt nicht alles (das hohe „Es“ war überhaupt nicht eingeplant), aber Perfektion wäre hier auch falsch: Der expressive Ausdruck, den sie als Sängerin und Darstellerin bietet, macht sie zu einer unvergesslichen Traviata, wenn auch zu einer „alternativen“.

La_Traviata_er und sie (c) Werner Kmetitsch x~1

Ähnlich überzeugend auch Arturo Chacón-Cruz: bebrillt, Strickjacke, immer ein Buch in der Hand – er muss den Alfredo darstellerisch gänzlich gegen den Strich bürsten, für einen „echten“ Liebhaber fast uninteressiert wirken. Aber er ist doch bewundernswert in dieser Darstellung – und ein Sänger mit Ausdruck, Höhe, Kraft, was dann darüber hinweghören lässt, dass sie Stimme gelegentlich forciert klingt.

Aber diesbezüglich schoss Roberto Frontali den Vogel ab: Wie er als hässliche Vater-Figur den „bösen Bürger“ geradezu aggressiv bellte, das war nicht gut anzuhören, aber genau das, was die hier so durch und durch verlogene Figur verlangte.

In den Nebenrollen (mit Ausnahme einer extrem rassigen Flora der Iwona Sakowicz) sah man Gesichter, die man im „jungen Ensemble“ des Hauses zwei Jahre lang in der Kammeroper kennen lernen durfte, und Gaia Petrone war eine so innige, intensive Annina (wenigstens sie musste ihre Figur nicht „hinunter“-spielen) wie selten, Igor Bakan ein grotesker, lächerlicher Doktor, Andrew Owens (als Gastone) und Ben Connor (als Barone Douphol) zwei oberflächliche Gesellschaftslöwen.

Da stimmte das Meiste in sich, was Peter Konwitschny erzählen wollte, teilte sich mit, und der Jubel war, wie erwähnt, uneingeschränkt.

Renate Wagner

 

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