Martina Jankova. Foto: Herwig Prammer
WIEN / Theater an der Wien: Henry Purcell „KING ARTHUR“
Semi-opera mit Rahmenhandlung – Dritte Aufführung der Serie
24.1. 2019 – Karl Masek
Die Semi-opera in 5 Akten von Henry Purcell mit dem Text von John Dryden entstand 1691. Nicht Schauspiel, nicht Oper, sozusagen ein englischer „Sonderweg“. Es ist eine Produktion des Theater an der Wien mit der Staatsoper Unter den Linden Berlin in einer Neufassung von René Jacobs, der das Werk auch bei der dortigen Premiere im Jänner 2017 dirigiert hat.
Die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch (in opulenter Bühnenbild-Lösung) wurde nun für 6 Aufführungen ins Theater an der Wien transferiert. In gleicher Besetzung der Sprechrollen. Der „vorlesende Großvater“, der beim „Spiel im Spiel“ zum Zauberer Merlin wird, war in Berlin übrigens noch der inzwischen verstorbene große Charakterdarsteller im Theater und Film, Hans-Michael Rehberg. Ihn verkörpert in Wien als kongenialer Nachfolger Jörg Gudzuhn, eine Theatergröße am Deutschen Theater Berlin und am Maxim Gorki Theater Berlin, wo er große Rollen von Dorfrichter Adam (Kleist), Saladin (Lessing), Othello (Shakespeare) und Mackie Messer (Weill/Brecht) spielte.
Womit wir bei der Rahmenhandlung sind, welche in den vierziger Jahren des 20. Jhts spielt. In einem englischen Wohnzimmer liest der Großvater seinem 8-jährigen Enkel Arthur (von bühnenbeherrschender Eindringlichkeit in der stummen Rolle: Samuel Wegleitner, er war schon in der Wozzeck-Inszenierung der Saison 2017/18 Mariens Knabe) aus der Artus-Sage vor. Der Vater des Buben ist im Zweiten Weltkrieg mit dem Flugzeug abgestürzt, was ein Kindheitstrauma auslöst. Während der Geburtstagsfeier zeigt sich Klein Arthur als aufsässiges Kind, das am Verlust des Vaters leidet und die Mutter für dessen Tod verantwortlich macht. In der folgenden Rahmenhandlung wird in den Träumen, der (Fieber)Fantasie Arthurs der tote Vater zu König Arthur, der gegen die Sachsen kämpft; die verwitwete Mutter zu Emmeline, der die Witwe schließlich heiratende Dr. Oswald mutiert in der Geschichtsebene zum sächsischen Angreifer Oswald.
Immer wieder erstaunlich, zu welch ähnlichen Grundideen Inszenatoren in unterschiedlichen Werken zu fast gleicher Zeit kommen und beim Betrachter für Déjà-vu-Erlebnisse sorgen. Auch Lydia Steier hat in der Salzburger Zauberflöte 2018 einen Großvater eingebaut, der den drei Knaben, die dann (werkgemäß) immer wieder in die Handlung eingreifen, eine Geschichte vorliest. Grundidee bestechend plausibel, Durchführung, naja, durchwachsen, weil sich der Verdacht einschleicht, hier habe wieder jemand ein Meisterwerk „verbessern“ wollen. In der Semi-opera mit Sprechtheater, Puppenspiel, Gesang, tänzerischen Einsprengseln, ist der hurtige Wechsel der Erzählebenen im Prinzip auch spannend. Julian Crouch sorgt mit seiner Bilderlösung für Atmosphäre, charmanten Bühnenzauber, Blickfänge, blitzschnelle Wechsel, Das abgestürzte Flugzeug ist gleich eingangs zu sehen, barocke Säulen werden durch tolle Beleuchtungstricks zum Zauberwald (Licht: Olaf Freese); Geburtstagsfest, Kinderzimmer, Veteranensaal, Hochzeitsbankett wechseln in rascher Folge, die Kostüme sind lustig, karikierend, grotesk vergrößernd (Kevin Pollard), die Videoprojektionen ergänzen prachtvoll, üppig, bunt (Joshua Higgason). Eine Szene, die mit gekonnter theaterhandwerklicher Brillanz beeindruckt.
Natürlich erklären uns die Dramaturgen, worum es in King Arthur „eigentlich“ geht. „Es geht um die Feindschaft zwischen den Königen Arthur und Osmond, die sich an der Rivalität um die schöne Emmeline entzündet hat, …, um die Macht zweier auf verschiedenen Seiten stehender Zauberer, Merlin und Osmond, denen gute und böse Geister dienstbar sind.,…, um den Gegensatz zwischen Kultur und Wildheit, … um eine patriotische Komponente …“, so der Musikwissenschaftler und Dramaturg der Lindenoper, Detlef Giese, im Artikel „Fantasie und Melancholie“ im Programmheft.
Die musikalische Substanz besteht aus 7 „Musikalischen Szenen“, die das „Spiel im Spiel“ umrahmen. René Jacobs hat aber auch einiges an „Background“- Musiken in die Aufführung integriert, „um die Spannung in den Sprechpassagen aufrecht zu erhalten…“. Also wieder gewisses Misstrauen einem Ursprungswerk gegenüber? Jacobs hat dieses Verfahren ja bereits bei Mozarts „Entführung“ und „Zauberflöte“ angewendet. Da Bechtolf und Crouch das Werk als Gesamtkunstwerk sehen wollten, aber dann (inkonsequenter Weise) dennoch auf den Tanz verzichteten, wurden in Jacobs‘ Fassung Purcells Tänze für pantomimische Szenen bereit gestellt. Zuschreibungsprobleme wie oft bei Monteverdi gibt es nicht – es ist alles Purcell pur.
Und die Musik des „Orpheus britannicus“ ist wundersam, theaterwirksam, sehr eingängig in ihrer Melodik, aber auch ironisch, karikierend, rhythmus-betont bis hin zu einer “frühen Variante von blue notes … und dem sogenannten Scotch snap, ein rhythmisches Phänomen von einer betonten kurzen und einer unbetonten langen Note, welches sich aus der englischen Sprache herleiten lässt, …, hier gibt es viele Wörter, die mit einer kurzen betonten Silbe beginnen, z.B. das Wort ‚mother, …“. Der Wechsel von zart-poetisch zu derb-wild. Wenn am Schluss das Hochzeitsbankett von einer Gruppe Betrunkener gestürmt wird, erinnert das fast an Musik der irischen „Dubliners“. Purcell war damals ein Komponist, den man heute durchaus als Pop-Künstler bezeichnen würde. Und der Satz Harnoncourts: „Purcell schrieb die ersten Musicals der Musikgeschichte“ ist treffend wie so viele seiner Aussprüche.
Foto: Herwig Prammer
Einmal mehr großartig der Arnold Schoenberg Chor, der mit der speziellen Stilistik musikalisch und sprachlich perfekt umging und sich darüber hinaus als spielfreudig und wandelbar (viele Kostümwechsel) erwies. Höhepunkte: Szene V „What ho! Thou genius of this clime…“ (Die Frierenden und die Erwärmten), wo das Schlottern vor Kälte und das Zähneklappern virtuos Klang wird – der kultige Cold-Song verfehlt auch in der kältewobbelnden Interpretation des Basses Jonathan Lemalu seine Wirkung nicht – , berührend der Chor der Veteranen in den Rollstühlen. Hier liegen die Stärken in der Personenführung Bechtolfs, die sich immer an der Musik orientiert.
Die Sprechtexte sind pointenfreudig (was nicht heißt, dass alle Pointen auch gelungen sind, vor allem wenn Bechtolf in heutige norddeutsche Sprachmuster und –floskeln verfallen lässt), wenn nach der Pause das Geschehen substanzarm wird und leicht zu „lahmen“ beginnt, bemerkt man sogleich, dass doch ziemlich schamlos outriert und Vulgäres über Gebühr zelebriert wird. So ist ein überwiegend (weil musikalisch) gelungener Abend doch um die gefühlte halbe, dreiviertel Stunde zu lang. Schließlich ist nicht in Stein gemeißelt, dass Bühnenwerke aus dem 16. und 17. Jht über drei Stunden dauern müssen. Ein paar Striche (nicht bei der Musik!) hätten gut getan…
Martina Jankovà singt mit stratosphärischen Soprantönen (und Schwindelfreiheit!) den Luftgeist Philidel, aber auch den frechen Cupido, Schäferin, Sirene und Venus. Robin Johannsen gestaltet ebenfalls 5 Rollen und erfreut mit gut geführtem, hübsch timbriertem Sopran. Ohne Fehl und Tadel alle anderen Sänger: Der aus Venezuela stammende bemerkenswert dunkle Counter-Altus Rodrigo Sosa Dal Pozzo (die Counters wachsen wie die Schwammerl aus dem Waldboden!), die Tenöre Mark Milhofer und Johannes Bamberger mit schlanken, apart klingenden Tenören und Dumitru Mădărăsăn (das rumänische Mitglied des „Jungen Ensembles des TAW“ mit vielversprechendem Bass) bilden ein homogenes Ensemble.
Positiv der Eindruck vom Gastspiel der Berliner schauspielernden Fraktion, erfreulich gute Sprecher/innen obendrein – mit der kleinen Einschränkung, gelegentliches Schrei-Theater subsummiere ich unter „Outrage“ – :
Michael Rotschopf (intensiv vor allem in der Schluss-Szene, in der der tote Vater dem kleinen Arthur nochmal erscheint) ist ein „Arthur“ mit Haltung; Meike Droste mit der großartig gespielten Szene, wenn sie das Augenlicht erlangt; Oliver Stokowksi als bühnenbeherrschender „Osmond“ und schleimiger „Conferencier“; Max Urlacher als der schwächliche Sachsenherrscher „Oswald“ und schüchterne Liebhaber „Dr. Oswald“; Tom Radisch als der böse Erdgeist „Grimbald“ mit bewegungssprachlichen Anleihen beim „Glöckner von Notre Dame“; Roland Renner („Conon“), Sigrid Maria Schnückel („Mathilda“) und der Pfarrer Aurelius (Steffen Scheumann) setzen ebenfalls Akzente.
Der Concentus Musicus Wien bewährte sich einmal mehr als exzellentes Ensemble für Henry Purcell. In der besuchten dritten Vorstellung dieser Serie hatte sich mögliche Premierenanspannung wohl gelegt, das Ensemble (Konzertmeister: Thomas Fheodoroff) glänzte mit all seiner Erfahrung durch farbigen Nuancen und kostbar musizierten Details. Homogen die Streicher und das „Holz“, subtil grundierend das Continou (Laute: Hubert Hoffmann; Gitarre: Pierre Pitzl; Cembalo & Orgel: Reinhard Führer); markant die Trompeter (Andreas Lackner, Herbert Walser-Breuß) und der gastierende Paukist Michael Metzler (Akademie für Alte Musik Berlin).
Stefan Gottfried wächst immer besser in eine sehr eigenständige künstlerische Leitung am Pult des „Concentus“ hinein. Er lässt fein tariertes, tänzerisches Musizieren zu, belässt der Musik Purcells ihren speziellen Charme, trumpft nur am Rande mit ruppigeren Akzenten auf.
Der kleine Arthur hat seine patriotische Lektion von Großvater und idealisiertem Vater gelernt und besteigt das Flugzeug. Wie einst der Vater und Kriegsheld. Mit der pessimistischen, traurig machenden Erkenntnis, Geschichte wiederholt sich immer wieder …
Der Abend wurde herzlich akklamiert – schon zur Pause war der Applaus auffallend lang ausgefallen.
Karl Masek