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WIEN / Theater an der Wien: IPHIGÉNIE EN AULIDE ET TAURIDE

17.10.2014 | Oper

Iphigenie Eingangsszene E
Eingangsszene / Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Theater an der Wien:
IPHIGÉNIE EN AULIDE ET TAURIDE von Christoph Willibald Gluck
Fassung: Torsten Fischer, 2014
Premiere: 16. Oktober 2014

Auf den ersten Blick mochte es nach Sparmaßnahme aussehen (wogegen in Zeiten wie diesen nichts zu sagen ist), eventuell auch als Verlegenheitslösung, aber das war es nicht. Ja, das Theater an der Wien hat die beiden „Iphigénie“-Opern des Christoph Willibald Gluck, die Torsten Fischer bereits 2010 (die „Iphigénie en Tauride“) und 2012 (die „Iphigénie en Aulide“) am Haus inszeniert hat, zu einem Abend zusammen gefasst, also Vorhandenes neu verpackt (Reste-Verwertung war’s wirklich nicht).

Aber erstens stellt dies das einzige größere Unternehmen dar, das in Wien zur Feier von Glucks 300. Geburtstags (immerhin, so runde Jahreszahlen gibt es selten!) festzustellen ist. Und zweitens erweist sich das Endergebnis als intelligent, stimmig und packend. Das ist doch schon mehr, als man bei ganz neuen Projekten oft geboten bekommt.

Die beiden Werke passen nicht nur zusammen, weil die Titelheldin identisch ist – Iphigenie, Tochter von Mykenes König Agamemnon und Klytämnestra, Schwester von Elektra und Orest, knüppeldick ins Atriden-Schicksal verstrickt. In beiden Opern geht es um Menschenopfer (wie wir es gerade auch im „Idomeneo“ hatten…) – Iphigenie als Opfer, damit der Feldherr-Papa guten Wind bekommt, um Troja in Stücke zu hauen; Iphigenie als Opferpriesterin, weil es bei den Skythen in Tauris üblich ist, Fremde, die des Wegs kommen, den Göttern darzubieten. Man braucht sich über die alten Mythen nicht alterieren – sie waren so. Und wie Gott Abraham davor bewahrte, Isaak zu opfern (dass er es verlangt hat, war schon schlimm genug), so ist es diesmal Diana / Artemis, die Iphigenie vom Altar entrückt und damit rettet und die schließlich auch Orest und Pylades vor dem sinnlosen Tod bewahrt. Götter-Dame sei Dank.

Es macht jetzt keinen Sinn, ausführlich zu analysieren, was sich Torsten Fischer von seinen früheren Inszenierungen so geborgt hat: Das vordringlich „weiße Wände“-Bühnenbild, das sich dreht, ist eher aus der „Tauride“, desgleichen die fabelhafte Véronique Gens als Iphigenie 2, dazu die Besetzung von Orest und Plyades, während Klytänestra in Gestalt von Michelle Breedt schon einst in „Aulis“ dabei war.

Sinnvoll ist jedenfalls, dass auch die Toten des ersten Teils (Agamemnon und Klytämnestra werden ja nach der „Aulis“-Handlung ermordet) zumindest als sehr eindrückliche blutige Gespenster weiterhin präsent sind (schließlich jagen in der Antike noch die Erinnyen die Übeltäter, reuelos war man damals nicht) und dass die Erwachsenen des zweiten Teils (Orest und Pylades) uns schon als Kinder im ersten Teil begegnen. Eine komplette Familienaufstellung, in ihrer ganzen Schmerzlichkeit durchgezogen.

Eine dem Programmheft beigegebene Liste informiert über die Abfolge der Musiknummern des erstens Teils, wo gekürzt und umgestellt wurde, während der zweite alle Arien des Werks behielt, die Kürzungen sich auf Rezitative und Chorszenen bezogen. Die Spielzeit des Abends beträgt drei Stunden, und obwohl Gluck in Tauris die dramatische Schraube anzog, wirkt der Abend musikalisch und auch dramaturgisch aus einem Guß (wobei man nicht ausschließen möchte, dass die Kenner von Feinheiten möglicherweise noch zu anderen Urteilen kommen).

Auch Torsten Fischer gibt seiner Inszenierung einen cool-modernistischen Look, aber im Gegensatz zu Loy etwa in der „Zauberin“ geht es nicht um gezielte Verhässlichung der Szene, Verkleinerung der Handlung, Verschäbigung des Menschlichen. Die Ausstattung von Vasilis Triantafillopoulos und Herbert Schäfer bietet keine optischen Blickfänge, aber sie bewahrt gewissermaßen die Würde des Geschehens. Die Führung des Chors ist nie steif, aber auch nie überdreht, und wenn die Darsteller sich doch sehr in ihre Emotionen knien (so wie die Clytemnestre – um sie französisch zu schreiben – die Augen rollt, meint man sie auch mit den Zähnen knirschen zu hören), so sind sie doch nicht angehalten, sich lächerlich zu machen.

Es gibt die große Tragödie – eins zu eins. Mit ein paar grellen Effekten – wenn etwa mit roter Farbe riesig „Iphigénie“ auf die Wand geschrieben und dann noch der Kübel mit Blut (pardon, roter Farbe) darüber gekippt wird, dass Nitsch vor Neid erblassen könnte; oder wenn mit großen Bewegungen Ruder von Ankunft und Abfahrt erzählen, so ist das als Symbolismus ein bisschen dick, aber nicht unbedingt billig. Kurz, es stimmt schon so.

Man hätte nichts dagegen gehabt, wenn eine Iphigénie durchgehend auf der Bühne gestanden wäre, aber der helle Sopran der Aulis-Heldin und der dünklere, viel dramatischere jener in Tauris hätte wohl nicht in viele Kehlen gepasst. So tauschen zwei Damen die Rollen, jede von ihnen ist sowohl Iphigénie wie auch Göttin Diane, nur in umgekehrter Reihenfolge, und wenn – als Teil 1 fugenlos in Teil 2 übergeht – die Verwandlung auch nicht wirklich logisch erscheint, so stellt sie doch kein größeres Problem dar. Zumal beide Damen optisch und darstellerisch exzellent in ihre Rollen passen.

Iphigenie 1LennekeRuiten Iphigenie VeroniqueGens
Iphigénie 1 und 2: Lenneke Ruiten und Véronique Gens

Lenneke Ruiten (die Pereira im Sommer für den Salzburger Giovanni entdeckt hat, was nicht so sensationell ausfiel) ist eine schöne Erscheinung und kann zarte Piani spinnen, die Stimme wird allerdings flattrig, wenn sie beansprucht wird: Aber sie ist jung genug, noch an ihrer Technik zu arbeiten. Véronique Gens wiederum ist als die zutiefst tragisch gebeutelte zweite Iphigénie in jeder Hinsicht eine Idealbesetzung, ihr dunkler Zwischenfach-Sopran fügt sich ideal in die wunderbare Gluck’sche Gesangslinie. Die dritte Dame des Abends ist Michelle Breedt als Clytemnestre, blonde Furie, die schon von der Rolle her durchaus auch schrill klingen darf und bei der man keine Sekunde bezweifelt, dass sie ihren Gatten umbringen wird … wobei man dann auch zuschauen darf.

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Tobende Clytemnestre (Michelle Breedt) und liebendes Freundespaar (Stéphane Degout und Rainer Trost)

Im ersten Teil singt Maxim Mironov den Achill (im Grunde die einzige Figur, die verschwindet und auch nicht stumm in den zweiten Teil hinübergezogen wird): Wenn man ihn bisher auch bei Rossini und Donizetti gehört hat, wo er schon in ziemlich vorderer Reihe rangiert, hat er doch für diesen dramatisch-tragischen französischen Gluck genug Volumen und lospreschende Kraft, um lange der stärkste Mann auf der Bühne zu sein.

Der Bariton Christoph Pohl, erst Agamemnon, dann Thoas hält einigermaßen kräftig mit, und Andreas Jankowitsch ist immer dabei, wenn es darum geht, mit Bösewicht-Miene ein Messer zu schwingen – bis im zweiten Teil dann zwei Herren das Ruder an sich reißen: Oreste und Pylade (gleich besetzt wie in der Premieren der Solo-Tauris-Oper) sind hier mehr als nur Freunde, das sieht nach großer Liebe aus, und wenn es darum geht, Oreste zu retten, dann springt der Pylade des Rainer Trost von der Bühne ins Orchester und von dort in den Zuschauerraum, um seine Forderung mit Schmettertenor noch nachdrücklicher zu verkünden. Der Oreste des Stéphane Degout singt sich mit vorzüglichem Bariton die Seele aus dem Leib, und sie alle erfüllen (was man sicher auch der Führung durch den Regisseur dankt) mit ihren Persönlichkeiten das Haus, auch wenn stellenweise nichts anderes zu tun ist – als Arien zu singen…

Zur absoluten Öde wie in der Opferungs-Oper der Staatsoper gerät es jedenfalls nie, was auch auf das Konto von Leo Hussain am Pult der Wiener Symphoniker geht: Pastos und seelenvoll ist nicht gleichbedeutend mit pathetisch und laut, hier bekommt man es schön vorgeführt. Und der für das Theater an der Wien unentbehrliche Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) kann wieder einmal alles, was er soll.

Das Publikum erwies sich sensibler als üblich, es zerklatschte die Spannung (mit einem einzigen schüchternen Versuch, der glücklicherweise misslang) auch dann nicht, wenn der Dirigent nach Arien Generalpausen einlegte. Dafür ließ man alle Beteiligten am Ende hören, dass man den Abend ohne Einschränkungen positiv sah und hörte.

Renate Wagner

 

 

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