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WIEN/ Theater an der Wien in der Kammeroper: TRISTAN-EXPERIMENT. Premiere

29.05.2021 | Oper in Österreich

Theater an der Wien/Kammeroper: „Tristan Experiment“Premiere 26.5.2021

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Kristiane Kaiser, Norbert Ernst. Foto: Herwig Prammer/ Theater an der Wien

Was sonst beweist die Unsterblichkeit und damit die Qualität einer Geschichte – in diesem Fall als Musikdrama weltweit bekannt geworden -, wenn nicht ihre vielfache Deutbarkeit und Gefühlsintensität? Im konkreten Fall konnte diese Liebestragödie Richard Wagner zu einer Vertonung inspirieren, die den Komponisten selber überraschte und seit der Uraufführung 1865 die gesamte Musikwelt erneuern half.

Noch ehe die Corona-Lockdown-Periode angebrochen war, hatte Günther Groissböck die Idee, eine gekürzte Fassung von rund 3 Stunden für das Theater an der Wien in der Kammeroper zu bringen. Das Angebot kam vonseiten des intendanten Roland Geyer an den weltweit begehrten König Marke, dem er während der Proben des Sängers für den Wassermann in „Rusalka“ die Frage stellte, ob er nicht selber auch einmal inszenieren möchte. Daraus ist nun dieses „Tristan“-Experiment geworden. Die Besetzung, Dirigent wie Sänger, standen hiemit bereits vor mehr als einem Jahr fest und erwies sich nun als gute Wahl. Dazu hatten wir nun das Glück, dass diese Premiere in die Wiedereröffnungszeit der Theater nach der langen Kultursperre fiel. (Die üblichen Einschränkungen – begrenzte Zuschauerzahl und Maskenpflicht – verstehen sich von selbst.) Dass die Phantasie der Menschen unter den Pandemie-Bedingungen besondere Blüten treibt, mag generell zu einer neuen Sicht auf die Oper beigetragen haben. Ebenso wie das fast weltweite Gebot, die langen Wagner-Opern entweder ganz abzusagen oder in gekürzten, meist konzertanten Versionen zu bringen.

Hier aber wurde gespielt, in ungewohntem, zeitlosem Rahmen und in ungewohnter Kostümierung, samt zeitgemäßer Verwendung von Handys und Tablets. Vielleicht hängt meine Akzeptanz dieses Experiments (wie auch jene des neuen „Parsifal“ der Staatsoper) auch damit zusammen, dass man trotz unzähliger Vergleichmöglichkeiten neue Einsichten zu schätzen weiß.

Das Rührendste an der Tristan-und-Isolde-Geschichte ist seit den mittelalterlichen Urfassungen die lediglich mit der Wirkung eines Liebestranks erklärbare Zuneigung der beiden, und andererseits ihre „Anständigkeit“: Isolde weiß, dass sie Königin ist und bleiben muss, Tristan weiß und akzeptiert, was er seit seiner Geburt seinem liebevollen Onkel, König Marke, zu verdanken hat, und dieser respektiert eine Liebe, die in ihrer geistig-seelischen Intensität keiner sexuellen Befriedigung bedarf. Eigentlich sind sie alle „unschuldig“. Sie haben ja nichts getan außer miteinander gesungen. Nur ein banaler Außenstehender wie Melot, der keine Ahnung hat, was in diesen hochsensiblen Menschen vorgeht, kann sie zu Fall bringen. Für ihn hat Richard Wagner auch musikalisch nichts „übrig“!

In einem im Programmheft abgedruckten Gespräch macht Groissböck sehr gescheite Bemerkungen zu der Story. Audiovisuelle Einschübe in seiner Inszenierung, die man als Reizüberflutung kritisieren könnte,  verteidigt er so: „Die Musik ist so stark, die macht ein Video nicht so schnell platt.“ Dass die Liebe stärker sei als alles, bejaht er. „Kunst aber auch. Und aus der Liebe geschaffene Kunst ist am allerstärksten.

Ein ebenfalls m Programm abgedrucktes Zitat von Ernst Bloch mag die szenische Realisierung erklären helfen: „Tristan und Isolde handen nicht. Es ist unser eigenes tiefinneres Träumen, dort zu finden, wo die Worte und Schritte nicht mehr eilen. Wir sind es, die mitgehen, wir trüben uns chromatisch. Wir bewegen uns in Sehnsucht und schwimmen dem Traum entgegen, der in der vorrückenden Nacht sich bildet.“

Regisseur Günther Groissböck und seine Helfer Stefanie Seitz (Ausstattung), Philipp Batereau (Videodesign) und Franz Tscheck (Licht) haben in mehreren Phasen kooperiert. Für Tristan und Isolde, die zunächst als äußerlich ganz neutrale Menschen in weißen Alltagsgewändern (lockeres Nachthemd in Knielänge, weiße Leinenhose und ein kurzärmeliges weißes Leibchen) offensichtlich von einem Psychotherapeuten auf zwei Behandlungsstühlen erwartet und später, nach dem Tageseinbruch im 2. Akt, auch dort festgehalten werden, treten einander in naturgegebener Haartracht erstmals gegenüber. Nach dem Liebestrank im stark gekürzten 1. Aufzug kommt der große musikalische Sprung zum ersten großen Wiedersehen in der vereinbarten Liebesnacht. Die beiden treten kurz ab, die Bühne verfinstert sich, und nach erneuter Erhellung ist Isolde, Kristiane Kaiser, zu Mathilde Wesendonck geworden und Tristan zu Richard Wagner. Das besagt, dass die beiden einem realen Zusammenleben entsagt haben und sich auf poetisch-musikalischer Basis treffen – eine Gemeinsamkeit, wie sie erhebender und beglückender nicht sein könnte.

Von Frau Wesendonck gibt es nicht so viele Fotos, dass man mit Sicherheit sagen könnte: Das ist sie! Aber als Norbert Ernst, etwa in Wagners Körpergröße, mit dem vielfach bekannten Haarschnitt, Bart und markanaten Profil erschien, erschrak ich geradezu über so viel Authentizität. Mühelos konnte man fantasieren: Ja, so mochten die beiden sich verhalten und gefühlt haben…So konnten beide die nicht im üblichen Sinn erfüllbare Zweisamkeit ertragen, konnten überleben und in ihre Gefühle in eine Kunst münden lassen, die Ewigkeitswert haben sollte. Die beiden blieben ja realiter auf Distanz verbunden, während Wagner in Venedig den 2. Akt komponierte. In Groissböcks Inszenierung beschäftigt sie sich mit den Möglichkeiten ihres Tablets, er hat zur Feder gegriffen. Die Schöpferkraft hat gesiegt.

Im 3. Akt (hier Teil II) kehren wir in die Realität zurück. Der Mann findet aus seiner angenommenen Rolle nicht mehr heraus. Im Fieber durchlebt er Vergangenheit und Gegenwart. Er stirbt, nachdem er Isoldes Stimme vernommen hat. Sie aber lebt in der Erinnerung.

Sehr eingeschränkt wurden die Rollen der Brangäne und des Kurwenal. Die schönstimmige, großgewachsene  Mezzosopranistin Juliette Mars sieht man fast nur regungslos entweder im Hintergrund oder an der Seite stehen, bis sie zu ihren wenigen Aktionen aufgefordert wird. Der isländische Heldenbariton Kristján Jóhannesson, sowohl als Kurwenal wie als sehr böser Melot im Einsatz, nimmt vor allem mit seinem Tablet am Geschehen teil, eine Teilnahme, die sich für den treuen Diener und Helfer derart intensiviert, dass er am Ende seinem Herrn freiwillig nachstirbt.

Sehr überrascht war ich von Günther Groissböcks Marke. Während ich ihn etwa aus Amsterdam (Jänner 2018) als unendlich tieffühlenden Freund seines Neffen bewundert hatte, für den er daran war, Isolde königlich zu entsagen (was Melot verhinderte), war er diesmal, mit gleicher bassaler Intensität im gekürzten Monolog ein empörter Richter der Liebenden. Mag sein, dass man damit an Otto Wesendonck denken sollte.

Bereits während des Vorspiels zum 1.Akt, wie es in  der 21-köpfigen Musikerbesetzung aus dem kleinen Orchesterraum ertönt, erleben wir – nach dem mehrfach erwartungsvoll intonierten Sehnsuchtsmotiv ein Lichtspiel im Bühnenraum, das die Wahnvorstellungen der Liebenden in allen Farben und kühnsten Formen zeigen mag. Den ganzen dreistündigen Abend über wechselt die Ansicht des Bühnenraums zwischen möglicher Realität und ebenso schönen wie gefährlichen Wahnvorstellungen. Ist alles in der Musik drinnen.

Der Dirigent Hartmut Keil leitete eine gemeinsam mit Matthias Wegele erstellte Kammerfassung der Musik. Ich konnte nicht genug staunen, wie erträglich, ja fast unmerklich, ich die Übergänge nach den diversen Strichen fand. Für Neueinsteiger im Publikum mochte nie der Eindruck entstanden sein, dass da was fehlte. Das Wiener Kammerorchester, bestehend aus 21 Musikern (3 erste  und 2 zweite Violinen, 3 Violen, 3 Celli, 1 Kontrabass, 1 Flöte, je 1 Oboe/Englischhorn, 1 Klarinette/Bassklarinette,1 Fagott, 2 Hörner, 1 Trompete, 1 Posaune und ein Akkordeon!), spielte mit großer Intensität erstmals diese Musik. Ich könnte mir vorstellen, dass in den Reprisen die Lautstärke gelegentlich reduziert wird, vor allem in der Liebesnacht. Da fehlten mir die Verinnerlichung des Klanges und viele Feinheiten der Partitur blieben unausgelotet. (Zieht man in Erwägung, dass die für Wien geplante Uraufführung der Oper wegen der für ein damaliges Orchester und die Sänger als unspielbar bzw. unsingbar erachteten Partitur unterblieb, so darf man bei jeder Erstinterpretation auch heute Nachsicht walten lassen.)

Die große sängerische Überraschung für mich war Norbert Ernst. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit ihm vor etlichen Jahren, wo er beklagte, dass man ihm keine große Wagner-Rolle zutraue. Bei einem „Rheingold“-Stream aus der Staatsoper im letzten Monat dachte ich bei Anhörung seines immer kraftvollen und belkantesken Loge, dass da noch viel mehr drin stecken müsste. Nun hat es sich in geradezu aufregender Weise bewahrheitet. Und nicht nur die großen Töne und weiten Gesangsbögen waren beglückend, sondern auch die vokale Ausdruckskraft, die sich mit der körperlichen und mimischen vereinte. Im Programmheft lässt sich nachlesen, dass der vormalige „Charaktertenor“ mit der schönen, souveränen Stimme bereits Lohengrin, Florestan und Paul in der „Toten Stadt“ im Repertoire hat und sein Rollendebut als Stolzing im Sommer 2021 in – Tokyo geplant ist. Wir wünschen ihm und uns viel Freude und Erfolg mit diesen und weiteren lang erträumten Rollen!

Die ebenfalls in Wien geborene Kristiane Kaiser, Ensemblemitglied der Volksoper, und dort sowie andernorts in den unterschiedlichsten Rollen von Donna Anna über Verdis Leonora („Il Trovatore“), Wagners Senta oder Saffi im „Zigeunerbaron“ bis Rusalka, La Wally oder Salome im Einsatz, bewältigt ebenso souverän die Isolde. Groß, voll und weich klingt ihr Sopran auf fester Mittellagebasis und die Künstlerin kann ihre Gefühle voll in den Gesang einfließen lassen.

Der Schritt von der Opernhandlung zum Seelendrama ist nicht nur Richard Wagner mit „Tristan und Isolde“ gelungen, sondern auch Günther Groissböck mit seiner Kammeropernfassung.                       

Sieglinde Pfabigan

 

 

 

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