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WIEN / Theater an der Wien-Hölle: PREMIERE

26.09.2012 | Oper


Erik Årman und Ildiko Raimondi (Fotos: Barbara Zeininger)

WIEN / Theater an der Wien / „Hölle“:
PREMIERE von Tristan Schulze
Auftragswerk des Theaters an der Wien
Uraufführung: 26. September 2012

Hoffentlich ist es immer so vergnüglich, in die Hölle hinabzusteigen… Obwohl das Theater an der Wien nun über die Kammeroper verfügt, will man doch auf gelegentliche Aufführungen im Keller-Buffet des Hauses, „Hölle“ genannt, nicht verzichten. Diesmal gibt es nicht, wie meist, Kabarett, sondern die Uraufführung eines Auftragswerks – eine 75minütige Kammeroper von Tristan Schulze, die sich „Premiere“ nennt und genau das auf die Schaufel nimmt: die Premiere in einem Opernhaus, es könnte durchaus das Theater an der Wien sein…

Die Ausgangsposition ist erkennbar bis ins Detail: Premierengäste trudeln im Buffet ein, und es ergeben sich genau die Dialoge, die man aus der Realität kennt – da haben die Librettisten Rainer Vierlinger und Anton Maria Aigner gut die Ohren gespitzt. Da wissen die einen schon, dass man wieder nur blutbefleckte Nackte auf der Bühne sehen wird, da gibt eine Dame dem Unternehmen noch the benefit of the doubt (es könnte ja gut werden – auch wenn es keiner so recht glaubt), eine andere ist einfach aufgeregt, bei einer Premiere zu sein, und betrachtet sich die Kleider (die machen in Wien allerdings, wie man weiß, nie besonderen Staat…), und die Stehplatzbesucherin will wissen, wie lange es dauert, denn sie muss ja stehen…

Schließlich wälzt sich mit Klingelzeichen die teils mieselsüchtige, teils aufgeregte Menge in den Zuschauerraum – und zurück bleibt der Regisseur, der einfach nicht die Nerven hat, die Premiere seiner Produktion mit anzusehen. Als sich freilich eine Zuspätkommende zu ihm gesellt und ihn offensichtlich bewundert, ist er nur zu gerne bereit, ihr sein abstruses Inszenierungs-Konzept zu erklären… und so dumm kann es gar nicht sein, dass sie sich nicht in Begeisterung ergeht (weil sie ja offenbar etwas von ihm will) – bis sich herausstellt, dass sie eigentlich einen anderen Regisseur gemeint und gesucht hat…

Dann ist Pause, das Publikum meckert, der Kritiker geht erst gar nicht zurück, sondern formuliert schon seine Vernichtung, und während des zweiten Aktes stürmt die Diva herbei und versagt dem Regisseur weitere Gefolgschaft. Was glaubt er denn auch – wenn man einer Königin der Nacht die zweite Arie streicht? Man beschimpft sich nach allen Regeln der Kunst, die Diva verweigert den Auftritt, die Aufführung geht notgedrungen verfrüht zu Ende, schon ortet man die Katastrophe… bis irgendein Theaterbesucher vermerkt, das sei doch genial gewesen!

Und sofort schlägt die Stimmung total um, alle, die ohnedies keine Meinung haben, sondern nur nach einer suchen, die sie nachschnattern können, teilen auf einmal die Begeisterung. Schnell schwenkt der Kritiker um, schnell gibt die Diva ein Fernsehinterview und äußert sich enthusiastisch über den Regisseur, den sie kurz davor zur Schnecke gemacht hat, und bedankt sich auch triefend, wie es eben so üblich ist, bei den Kollegen und dem Ensemble und überhaupt allen…

Ja, da sind alle Klischees gleicherweise auf die Schaufel genommen, und dass dies so amüsant funktioniert, liegt nicht zuletzt daran, dass Komponist Tristan Schulze das Ganze mit einer lockeren, ironischen, im Grunde immer tonalen, und wenn banalen, dann bewusst banalen Musik versehen hat, die dafür sorgt, dass die Texte und Pointen auch verständlich die Zuschauer erreichen. Er braucht für sein Kammermusikwerk nur vier Musiker, drei Streicher und einen Akkordeonisten (Krassimir Sterev), er selbst streicht das Cello, gibt Einsätze und singt lautlos mit, Benjamin Marquise Gilmore spielt die Violine, Felipe Medina den Kontrabaß (Streicher-Trios sind des Komponisten Spezialität), und da der Buffetraum des Theaters nicht hoch und nicht groß ist, klingen die vier Musiker wie ein kleines Orchester.

Und die Sänger hören sich manchmal fast zu laut an, aber sie haben eben Stimmen… Vor allem Ildiko Raimondi, der man gerne wieder begegnet, nachdem die derzeitige Direktion der Wiener Staatsoper – das sei dieser offen gesagt – dieses verdiente Ensemblemitglied ziemlich schmählich behandelt. Und das ohne vernünftige Begründung, denn weder ist sie zu alt für ihre Rollen der Holender-Ära noch hat sie die Stimme verloren, und ihr Aussehen und ihr Können wären mehr wert als dreimal Rosalinde in einer ganzen Spielzeit… Immerhin, sie sucht sich ihre Aufgaben anderswo und ist nun in beiden weiblichen Hauptrollen zu sehen: Zuerst blond (und unglaublich schlank) als der ekstatisch zuhörende Regisseur-Fan (bis sie kapiert, dass es nicht um „La Boheme“ geht, was ihr da erzählt wird), dann im üppigen Kostüm der Königin der Nacht, beide Male witzig, präzise, präsent, brillant. Ein Vergnügen.

Die andere Hauptrolle des Abends, den Librettist Rainer Vierlinger in der Ausstattung von Thekla Naser ironisch, aber nicht bis zur Blödel-Satire überdreht inszeniert hat, hat der „Regisseur“, der in der Kehle und dem unglücklichen Gehabe von Erik Årman bestens aufgehoben ist. Die dritte Hauptrolle: der sardonische Kritiker (Markus Butter), der sein Mäntelchen nach dem Wind hängt. Die Handvoll „Premierenbesucher“ (Steffen Rössler und Wilhelm Spuller, Anna Magdalena Auzinger, Ingala Fortagne und Alice Rath) sucht und findet ihre jeweiligen Effekte.

Es ist eine kleine, hübsche Satire, die mit den Klischees des modernen Opernlebens jongliert. Jeder Zuschauer im Saal muss zweifellos eine Identifikationsfigur auf der Bühne finden, wenn er genug Humor hat, hier einfach lachend einzusteigen. Hoffentlich ist es immer so vergnüglich, in die Hölle hinabzusteigen…

Renate Wagner

 

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