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WIEN/ Theater an der Wien: HAMLET

22.09.2016 | Oper

TadW Anno Schreier (1979*) HAMLET 21.9. 2016 (Uraufführung am 14.9.)

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Bo Skovhus, Andre Schuen. Copyright: Monika Rittershaus

Rechtzeitig zum Shakespeare Jahr 2016 erlebte dieses Auftragswerk des in Aachen geborenen deutschen Komponisten Anno Schreier im ehrwürdigen Ambiente des Theaters an der Wien seine Uraufführung. Schreier kann den Einfluss seiner Lehrer Manfred Trojahn und Hans-Jürgen von Bose nicht verleugnen. Unter seinen bisher neun Bühnenwerken  befinden sich, der Gattung nach, bereits vier Opern: „Der Herr Gevatter“ (2004), „Kein Ort. Nirgends“ (2006), Die Stadt der Blinden“ (2011) und „Mörder Kaspar Brand“ (2012), wobei Anno Schreier bei der Oper „Der Herr Gevatter“ (in 7 Bildern) lediglich die Bilder 1, 6 und 7 vertonte.

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Theresa Kronthaler, Andre Schuen. Copyright: Monika Rittershaus

2012 hatte das Theater an der Wien bereits den „Hamlet“ in der Vertonung von Ambroise Thomas mit dem possierlichen Nackedei Stéphane Degout als Dänenprinz Hamlet gezeigt und im Sommer gelang den Bregenzer Festspielen eine sensationelle Ausgrabung von Franco Faccios „Amleto“.
Für Anno Schreiers „Hamlet“ schuf nun der 1966 geborene deutsche Dramaturg Thomas Jonigk ein Libretto in 24 Szenen, das abgewandelte Zitate aus anderen Opern, etwa aus Richard Strauss‘ „Salome“ („Du bist ein Ungeheuer“) nicht scheut, aber leider auch so manche sprachliche Plattitüde aufweist. Vermutlich kann das dadurch begründet werden, dass die Sprechrolle des toten Hamlet wie ein Conférencier durch die Oper geistert und seine Aperçus wortgewandt beisteuert. Für seinen Hamlet bemühte Jonigk neben Shakespeares Drama noch jene Quellen, aus denen dieses schöpfte, nämlich die „Dänische Geschichte“ des Saxo Grammaticus (um 1140-um 1220) und die siebenbändigen „Histoires tragiques“ von François de Belleforest (1530-83). Jonigk reduzierte den gewaltigen Personenapparat bei Shakespeare auf sechs Personen, die in einer Art „Familienaufstellung“ vorgeführt werden. Hamlet wird in Jonigks Sicht zwischen seinen Verwandten aufgerieben. Seine Mutter begehrt ihn in inzestuöser Weise, bis er schließlich von seinem Stiefvater Claudius ermordet wird. Aber auch die Prostituierte Ophelia fällt Claudius Mordplänen zum Opfer. Die schwangere Gertrud aber wird von Claudius einen Sohn empfangen, der wiederum den Namen „Hamlet“ tragen wird.

Dieses  Konzept sucht naturgemäß eine Nähe zu den antiken griechischen Tragödien und die wohl beabsichtigte Nähe zum Ödipus Stoff kommt nicht von ungefähr. Und noch ein wichtiges Element der antiken Tragödie fand Eingang in diese Oper: der Chor, dem hier wie dort eine kommentierende Rolle zukommt, indem er prophetisch moralisierend auftritt. Und auch der Geist von Hamlets Vater darf seine launigen Betrachtungen über die verweichlichte Jugend zum Besten geben.

Johannes Leiacker stellte für diese Familientragödie ein Einheitsbühnenbild mit einer geschwungenen und einer geraden Bühnentapetenwand  mit Blumen auf den schräg ansteigenden  Bühnenboden und als einzige Versatzstücke noch ein Sofa und eine Türe. Ein solches Ambiente eignet sich freilich idealtypisch für eine „Zimmerschlacht“ von Strindberg’schen Ausmaßen und das Duo  Jonigk/Schreier legt die seelischen Abgründe dieser Königsfamilie dabei wie Chirurgen mit dem Skalpell bloß und wühlten genüsslich in den Eingeweiden.

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Andre Schuen, Marlis Petersen. Copyright: Monika Rittershaus

Schreiers Musik ist einer moderaten Moderne verpflichtet, die trotz umfangreichem Schlagwerk und starkem Bläsereinsatz, ariose Passagen mit reinem Parlando bis zum Sprechen kombiniert. Seine Musik brodelt, kocht, schäumt bisweilen auf und sorgt so für zahlreiche überraschende Effekte. Und natürlich werden hie und da auch geschickt musikalische Zitate eingestreut, etwa das Walzermotiv aus dem Rosenkavalier, die Basstuba Wagners sowie die volkstümliche Tanzmusik aus dem Wozzeck werden  zitiert. Trotzdem wäre eine Straffung der ohne Pause etwas mehr als zweistündigen Oper zu begrüßen, denn neben musikalisch gelungenen Szenen, wie vor allem jene zwischen Hamlet, Gertrud, Ophelia und Claudius sowie den Chorszenen finden sich zahlreiche schleppende und langatmige Übergänge. Eine pausenlose Aufführung einer etwa 90 minütigen gestrafften Fassung könnte diesem Werk, meiner bescheidenen Meinung nach, sicherlich zu einer größeren Durchschlagskraft verhelfen.  

Das ORF Radio-Symphonieorchester unter Michael Boder war bemüht eine spannungsreiche Umsetzung der an orchestralen Ausbrüchen überreichen Musik, trotz der bereits angesprochenen Längen, zu präsentieren. André Schuen konnte sich mit seinem kräftigen Bariton in der Rolle des hypersensiblen Dänenprinzen Hamlet gegen die Vereinnahmung durch seine Mutter Gertrud behaupten. Der jungfräuliche Dänenspross bleibt es trotz der Bemühungen seiner Mutter Gertrud und der Dirne Ophelia. Marlis Petersen war diese, von inzestuösem Verlangen zu ihrem Sohn, gepeinigte Mutter Gertrud, die mit äußerster Bühnenpräsenz stimmlich auch die extremsten Höhen mit ihrem formvollendeten gewaltigen Sopran ausfüllte. Sie geht in solchen irrwitzigen Rollen am besten auf, denn hier agiert und singt sie geradezu anbetungswürdig.  Stiefvater Claudius hielt sich in der Interpretation durch Bariton Bo Skovhus demgegenüber schon wesentlich nüchterner, doch plagen ihn Gewissensbisse ob des Mordes an seinem älteren Bruder Hamlet. Die Ermordung seines Neffen Hamlet und der Prostituierten Ophelia sind lediglich ein Ausfluss seiner „Realpolitik“. Theresa Kronthaler belebte die traurige Existenz der Prostituierten Ophelia mit ihrem einfühlsamen Mezzosopran und stellte ihre Modellmaße in Slip und BH appetitlich zur Schau. Kurt Streit gelang mit der Rolle des Pastors eine darstellerisch wie stimmlich hervorragende Studie eines biederen Moralisten. Ob mit der Sprechrolle des toten Hamlet (hervorragend Jochen Kowalski) eine  in  dramaturgischer Hinsicht notwendige Figur eingeführt wurde, mag dahin gestellt sein. Für den Verlauf der Handlung war sei jedenfalls entbehrlich. 

Der Arnold Schoenberg Chor unter der verdienten Leitung von Erwin Ortner sorgte für eine subtile Umsetzung der Chorpassagen und trug durch seine enge Einbindung in das Regiekonzept von Christof Loy viel zum Erfolg des Abends  bei. Zu Beginn der Oper und am Ende trat der Chor  übrigens in schwarzen Kostümen der Hofschanzen des elisabethanischen Zeitalters auf. Der junge Hamlet trägt ein weißes T-Shirt und Jeans und eine modische Frisur mit zusammengebundenen Haarschopf. Seine Ermordung durch Onkel Claudius vorausahnend und ersehnend, hat er sich schon einmal elegant mit dunklem Anzug und mit einer „Fliege“ um den Hals bekleidet. Christof Loy konnte die handelnden Personen einigermaßen routiniert führen. Gertrud und Ophelia dürfen, dank ihrer guten Figur, auch des Öfteren  freizügig und verführerisch auftreten, der Titelheld etwas unsicher durch die Szenerie herum irren.

Das Publikum spendete am Schluss allen Beteiligten viel Beifall, es gab ein Wiedersehen mit Countertenorlegende Jochen Kowalski, der ein ungeahntes Maß an sprechtechnischem Können unter Beweis stellte, das ihn für jedes  deutschsprachige Schauspielhaus empfehlen könnte. Marlis Petersen und Andrè Schuen waren gemeinsam mit Theresa Kronthaler die erklärten Lieblinge des Publikums an diesem Abend.               

  Harald Lacina

 

 

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